Ein Netzwerk der professionellen Tierretter?
Landwirtschaft
Lässt das kranke Schwein die Spenden sprudeln?
Schweine werden krank. Schweine sterben. Schweine müssen gehalten werden, weil die Menschen Schweinefleisch essen. Der Verzehr wird auch in 20 Jahren auf hohem Niveau bleiben. Aus Sicht der Schweinehalter ist die Zukunft gesichert.
Die Arbeit mit Nutzvieh ist eine ganz besondere und in keinster Weise mit dem Halten von Haustieren zu vergleichen. Tier und Mensch gewöhnen sich einen „robusten Umgang“ an. Der Tritt einer Milchkuh gegen das Schienbein ist äußerst schmerzhaft und Schweine lassen sich nicht per Streicheln in einen neuen Stall treiben.
Das Modell hinter dem kranken Schwein
Die Tierhaltung ist einer steten Veränderung unterworfen. Aus hygienischen Gründen sind Landwirte froh, nicht mehr mit ihrem Vieh unter einem Dach leben zu müssen. Wie eng es damals zuging zeigt jedes Freilichtmuseum. Noch in den 1980er Jahren dachten die meisten Landwirte, Kälber brauchen es warm. Heute wächst nahezu kein Kalb mehr ohne Kälberhütte im Freien auf, weil das Steppenrind auf diese Weise artgerecht gehalten wird.
Keine Frage: Es gibt Tierhalter, die ihre Tiere schlecht behandeln. Dazu gehören auch gut gemeinte, aber schlecht umgesetzte Freilaufmaßnahmen im Ökobetrieb, wenn Dreck und Keime Überhand nehmen. Jedes schwarze Schaf diskreditiert das gute Betriebsmanagement ökologischer und konventioneller Betriebe.
Die Berichterstattung über das schlechte Beispiel aber hat an Eigendynamik gewonnen, die mittlerweile zu einem Geschäftsmodell geworden ist; nur beim Blick hinter dem Bild eines kranken Schweines zu erkennen. Anders gesagt: Ein krankes Schwein lässt die Spenden sprudeln.
Den Landwirten sind die Stalleinbrüche zur Videodokumentation mehr als nur ein Dorn im Auge. Mittlerweile trauen sich Familienangehörige keinen nächtlichen Kontrollgang durch ihren eigenen Stall zu. Rechtlich gesehen werde eine „nicht legitimierte Parallelkontrollstruktur“ geschaffen. In keinem anderen Berufs- und Unternehmerzweig wird vergleichbares durchgeführt und geduldet.
Am 14. Juli hat die Interessengemeinschaft der Schweinehalter Deutschlands (ISN) eine Petition zur Durchleuchtung des „nebulösen Geflechts der Tierrechtsszene“ an den Landtag in Nordrhein-Westfalen geschickt. Der Landtag soll die parallele Kontrollstruktur sowie das Verbandsklagerecht als daraufhin überprüfen, ob es bei den Tierrechtlern gegen den Grundsatz der Vertraulichkeit verstoße.
Hintergrund sind die von stern.tv am 12. Juli veröffentlichten Bilder von tierretter.de aus dem Schweinemaststall der Familie Schulze Föcking [1].
Passgenaue Veröffentlichung
Zum einen wäre es das Thema nicht so durch die Medien gegangen, wenn die Familie nur lokale Bedeutung hätte. Die Ehefrau Christina wurde nach der Wahl in NRW zur Landwirtschaftsministerin befördert. Neu berufen und noch vor der ersten Amtshandlung kamen die Bilder aus dem Schweinestall zum anderen zeitlich passgenau in die Medien. Um das Thema „Neue Landwirtschaftsministerin mit kranken Schweinen“ kommt, bei aller Sachlichkeit, kein Medium herum.
Arbeitsteilung?
Die Form der an die Medien lancierten Videos ist nicht neu. Der Argwohn, dass dahinter ein bestimmtes Geschäftsmodell existiert währt ebenfalls schon lange. Die ISN hat jedoch die Seite der Animal Rights Watch (ARIWA) im Zusammenhang mit Schulze Föcking angeschaut und die Links offenbart, die sich zu einem Netzwerk zusammenfügen: „Man spielt sich unter den Tierrechtlerorganisationen wohl die Bälle entsprechend zu. Die eine Organisation dringt nachts in die Ställe ein, die nächste stellt Strafanzeige, wiederum die nächste erhält Zugriff auf vertrauliche Daten der landwirtschaftlichen Betriebe im Rahmen des Verbandsklagerechts. So kann eine Organisation als „Saubermann“ die Spenden einsammeln und das Verbandsklagerecht öffentlich wirksam zu Werbezwecken nutzen, während die andere sich die Finger schmutzig macht.“
Besonders bedenklich sei, dass sich diese Organisationen gar nicht an den Diskussionen und Debatten mit Wissenschaftlern und Politikern beteiligen, um Fortschritte beim Tierschutz zu erlangen.
Ein „nebulöses Geflecht der Tierrechtsszene“?
Auf Anfrage von Herd-und-Hof.de teilt ARIWA mit: „Von einem „Netzwerk“, wie es die ISN offenbar vermutet, ist uns nichts bekannt“. Auf Arbeitsebene hat ARIWA selbstverständlich Kontakt zu anderen Organisationen, die im gleichen Themenbereich tätig sind, heißt es weiter. „Und selbstverständlich können wir als gemeinnütziger Verein unsere Arbeit nur mithilfe von Mitgliedsbeiträgen und Spenden tun.“ Das habe ARIWA mit jedem Tierschutz-, Philatelie- oder Sportverein gemeinsam. Daher erschließen sich der Organisation solche Selbstverständlichkeiten nicht als Skandalisierung.
Was bleibt?
Jedes kranke Schwein ist eines zu viel. Die Verantwortung hat der Tierhalter, dem wirklich auf die Finger geklopft werden muss, wenn es Missstände gibt. Billiges Fleisch, für dessen Erzeugung kaum noch ein Entgelt für regelmäßige Kontrollen enthalten ist, muss raus aus den Läden. Dieser Zusammenhang ist den meisten Verbrauchern noch immer nicht klar. Ob drastische Bilder der richtige Weg sind, ist offen.
Und zum Schluss: Was die Ernährungsindustrie längst schmerzlich gelernt hat, fehlt in der Landwirtschaft noch immer: Eine Krisenkommunikation. Im Agrarbereich herrschen noch immer Schweigen und Defensivstrategie vor. „Mit Handwerkszeug und gutem Team die Krise managen“ hieß das Motto der Fachseminars der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie im Mai in Berlin.
Aussitzen ist so wenig tauglich wie die Hoffnung, dass sich solche Medienberichte überholen. Daher: Für den Start in eine ruhigere Amtszeit gehört auch ein Wort der Ministerin selbst. Das gab es leider nicht. Auch der verantwortliche stern.tv-Redakteur ist in Sommerpause und bis Ende August für Antworten nicht erreichbar.
Lesestoff:
[1] Nach-Wahl-Debatte in NRW: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/nach-wahl-debatte-in-nrw.html
Roland Krieg