Entwicklung am Rande

Landwirtschaft

Tropentag in Bonn

>„Development on the margin“ lautet das Motto des Tropentages in Bonn, der am Mittwoch begann. Nach Joachim von Braun, vom Zentrum für Entwicklungsforschung der Universität Bonn, kann das Motto in zwei Richtungen gelesen werden. Einmal die Entwicklung für marginalisierter Räume und Menschen, aber auch Entwicklung, um Menschen und Räume nicht erst zu marginalisieren.
Es ist auch das Motto des Schirmherrn, des Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), erläutert Mathias Becker von der Uni Bonn. Die bedeutendste Tropentagung mit fast 1.200 Teilnehmern im Bereich der Agrarwirtschaft, Ernährungssicherheit und Entwicklung will bis Freitag genauer definieren, was marginalisiert ist, wer die Menschen sind, die in diesem Raum leben und welche Strategien die Regionen wieder in die Mitte der Gesellschaft bringen. Development on the margin ist nicht nur im Krisenfall, bei Katastrophen oder angesichts des Hungers in Ostafrika aktuell, sondern dem Gedanken liegt ein grundlegendes Prinzip zugrunde.
Neben internationalen Akademikern ist der Tropentag vor allem durch junge Wissenschaftler geprägt, die ihre Erfahrungen an den jeweiligen Universitäten vernetzen sollen. Denn, so Prorektorin Claudia Müller: „Entwicklung kann nur erfolgreich sein, wenn sie die marginalisierten Menschen erreicht!“ Im Fokus stehen die Low-Input-Systeme, die Ernährungssicherung und der Zugang zu Ressourcen.

Zweite grüne Revolution

Die so genannte grüne Revolution hat zweifelsohne in den frühen 1970er Jahren Erfolge gehabt. Sie hat Menschen vor allem in Südostasien ernährt. Sie hat aber auch Abhängigkeiten, Internationalisierung und einen Verlust traditioneller Anbausysteme mit sich gebracht. Trotzdem hält Gordon Conway an dem Begriff fest und fordert eine zweite grüne Revolution.
Der Professor vom Londoner Imperial College sieht keine andere Möglichkeit. Fast eine Milliarde Menschen hungern, zwischen 70 und 100 Prozent muss die Nahrungsmittelproduktion für bald 10 Milliarden Menschen gesteigert werden und die Menschen müssen sich an hohe Lebensmittelpreise gewöhnen. Die seit 2007 auftretenden Preisspitzen haben sich mittlerweile in ein Dauerhoch verwandelt. Veränderte Nahrungsgewohnheiten, mehr tierische Lebensmittel, teurere Betriebsinputs wie Treibstoff und Dünger, sowie Degradierung von Land und die Herausforderungen des Klimawandels lassen keine andere Möglichkeiten zu.
Weltweit gibt es rund 200 Millionen Kleinbauern mit weniger als zwei Hektar Land von dem zwei Milliarden Menschen abhängen. In Afrika passen fast 80 Prozent der Betriebe in dieses Schema. Gerade hier sind die meisten Fortschritte zu erzielen. Jedes Prozent vom Nationaleinkommen, das in diesem Bereich investiert wird, führe zu einer sechsprozentigen Wachstumssteigerung und erreicht die zehn Prozent der Ärmsten jeden Landes.
Auf diesen Betrieben sind Ertragssteigerungen von einer auf zwei Tonnen Nahrungsmitteln je Hektar mit verhältnismäßig wenig Aufwand möglich. Ein Kronkorken mit Mineraldünger in einem kleinen Loch an der Pflanze platziert, erreicht mehr als ein flächendeckendes Düngen. In der Saatgutbeize kann ein Herbizid eingearbeitet werden, dass wirksamer ist als eine flächendeckende Spritzung mit Pflanzenschutzmitteln. Zu Conways Vorschlägen zählen aber auch das Mobiltelefon, mit dem der Bauer mehrere Erzeugerpreise abfragen kann, und die gentechnisch veränderte Banane.
Voraussetzung zur Produktionsverbesserung ist eine Politik, die den Kleinbauern Marktchancen ermöglicht. Denn jede einzelne Strategie birgt zwei Seiten. Ein Bewässerungssystem kann den Profit dem Staat, aber auch den Bauern zukommen lassen. Strom aus einer Photovoltaikanlage erzeugt Licht, bei dem die Kinder ihre Hausaufgaben machen können, aber auch Energie, mit dem der Fernseher westliche Konsummuster transportiert.

Den Boden schätzen lernen

Boden ist mehr als nur Dreck unter unseren Füßen. Er ist ein Lebensraum von Mikroorganismen und Würmern, er hält Pflanzen fest und versorgt sie mit Nährstoffen. Rattan Lal von der Ohio State University mahnte, mit dem Boden sorgsamer umzugehen. Vielfach werden dem Boden mit dem Pflanzenbau Nährstoffe entzogen, die nicht wieder ergänzt werden. Vor allem bei der Biomasseproduktion werde oft der Fehler begangen, die ganze Pflanze vom Feld zu nehmen und den Nährstoffkreislauf zu unterbrechen. Weitere anthropogene Ursachen der Bodendegradierung sind Versalzung, Erosion und Anlagerung von Schadstoffen. Vielfach fehle es an politischem Willen, die Degradierung aufzuhalten.
Rund 20 Millionen Hektar Ackerland gehen jährlich verloren. Alleine für die Verstädterung erden weltweit jährlich rund drei Millionen Hektar Land gebraucht. Rund 40.000 Hektar genügen, um eine Million Menschen zu ernähren, so Rattan Lal.
Rattan Lal hat Richtlinien für ein nachhaltiges Bodenmanagement aufgestellt. So sei der einseitige Nährstoffentzug hauptsächlich sozial und ökonomisch bestimmt. Es hänge mehr davon ab, „wie“ etwas produziert wird, als „was“. Nach Lal führt Armut zur Degradation von Boden: „Marginalisierte Böden werden mit marginalisierten Betriebsmitteln bearbeitet und erzielen lediglich marginalisierte Ernten für ein marginalisiertes Leben!“ Premiumpflanzen brauche einen guten Boden.
Großflächige Farmen müssen nicht unbedingt den Boden und seine Funktionen beeinträchtigen. Brasilien sein hier positiver Vorreiter. Nur schlecht gemanagte Großbetriebe, wie in den USA, bedrohten die Bodenfruchtbarkeit.

Marginalisierung ein Kopfproblem

Paul Richard von der Wageningen Universität in den Niederlanden wagte das Gedankenexperiment, dass marginalisierte Menschen nur in den Köpfen des Betrachters existierten.
So traf die Lepra im frühen Mittelalter zunächst nur die Adeligen. Die Menschen lebten in einem feudalen System und hielten die Krankheit für eine Strafe Gottes für schlechtes Regieren. Während der Anfänge der ökonomischen Lebensweise im späten Mittelalter betraf die Krankheit die Armen. Die Menschen glaubten, Lepra entferne nun die „überzähligen“ Arbeiter.
Deshalb erforscht Richards die Möglichkeit, dass Menschen in einer Region nur deshalb marginalisiert sind, weil die Mehrheit an deren Marginalisierung glaubt. Die jungen Menschen in Afrika südlich der Sahara bräuchten keine Agrotechnik von außen, sondern Landnutzungsrechte von innen, um sich selbst weiter zu entwickeln. Menschen am Rande der Betrachtung sind nicht weniger innovativ und erfolgreich – wenn man ihnen keine Diaspora zuteilt.

Lesestoff:

Kleine Schritte mit großen Erfolgen

Zahlungswilligkeit für Umweltleistung und zertifizierte Produkte in den Entwicklungsländern

Roland Krieg

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