Ernte 2010: Zitter- und Verlustpartie

Landwirtschaft

Ernte 2010 kein Grund zur Preiserhöhung

Am letzten Wochenende haben die Bauern im Oderbruch Überstunden geschoben. In der zweitägigen Regenpause waren sie mit allen Mähdreschern und Transportfahrzeugen auf den Feldern und Straßen unterwegs, um Getreide zu ernten. Überall kamen sie aber nicht hin, denn manche Feldern stehen unter Wasser. Nicht nur dort.
Dr. Klaus Kliem, Vorsitzender des Fachausschusses Getreide beim Deutschen Bauernverband (DBV) und Präsident des Thüringer Bauernverbandes sagte auf der Erntepressekonferenz am Mittwoch in Berlin: „Die Ernte 2010 war eine Verlust- und Zitterpartie, wie ich sie seit 40 Jahren nicht erlebt habe.“
Für viele Bauern ist sie auch noch nicht zu Ende. In Bayern, Schleswig-Holstein und Thüringen stehen noch 50 Prozent der Sommergerste auf dem Halm und der Winterweizen ist noch im Westen, Südwesten und Bayern zu 20 Prozent auf den Feldern. Der Regen hat das Getreide zur Notreife gebracht, es lagert und ist kaum noch zu dreschen. Es droht eine verspätete Aussaat der Winter- und Zwischenfrüchte, so Kliem.

Getreide
2010

Anbau
in Hektar

% zu 2009

Ernte
in Tonnen

% zu 2009

Ertrag
in dt/ha

% zu 2009

Wi-Weizen

3.254.600

2,4

22.664.410

- 9,0

69,6

- 11,2

Wi-Gerste

1.322.000

- 8,9

8.590.644

- 14,8

65,0

- 6,5

So-Gerste

367.800

- 13,7

1.667.970

- 24,4

45,3

- 12,3

Roggen

685.300

- 12,2

3.020.202

- 29,3

45,9

- 19,5

Triticale

404.000

0,7

2.210.926

- 12,1

54,7

- 12,7

Hafer

150.900

- 7,2

689.708

- 16,5

45,7

- 10,0

Körnermais/CCM

471.900

1,6

4.608.389

1,8

97,7

- 1,0

Gesamt

6.712.500

- 2,8

43.895.598

- 11,8

65,4

- 9,3

Q: DBV, Destatis

Mengen- und Qualitätsverluste
Der lange Winter, der heiße Juli und der verregnete August lassen die Erntemenge auf das schon länger prognostizierte Minus von rund zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückfallen. Der nasse August gibt dem Getreide mit Schmachtkörnern den Rest und die Bauern bangen um die Qualität. Die Trocknungskosten liegen derzeit zwischen 0,70 und einem Euro je Dezitonne. Mehr als 43,9 Millionen Tonnen Getreide werden die deutschen Bauern nicht in die Scheune fahren.
Wer aber seine Ernte schon eingefahren hat, der kann sich über hohe Preise freuen. Qualitätsweizen erzielt derzeit Preise zwischen 150 bis 200 Euro je Tonne, Futterweizen 120 bis 130 Euro.

Keinen Grund für Preissteigerungen
Schon der Raiffeisenverband hat es vor kurzem gesagt: Auch wenn die Erntemenge zurückgegangen ist, liegt sie immer noch über dem Bedarf. Auch Futter wird nicht knapp. Nach Angaben von Dr. Kliem hat Frankreich ein hohe und qualitative Ernte eingefahren. Die aufnehmende Hand decke sich auch mit gutem Weizen aus Tschechien ein. „Von Versorgungsengpässen bei Getreide sollte und darf keine Rede sein“, so Kliem. Weltweit gesehen sind die Lagerbestände höher als im Jahr 2007, „dem Jahr der vermeintlichen Versorgungskrise“.

Wir brauchen höhere Preise
Auch wenn die Ernte keinen Grund zur Freude gibt, die Ernte 2010 ist kein Grund, die Lebensmittelpreise zu erhöhen. Da ist sich Dr. Kliem ganz sicher.
Was die Bauern aber brauchen sind langfristige Preiserhöhungen, denn während die Betriebskosten stetig steigen, sind die Lebensmittel in Deutschland viel zu billig.

Heute geben Verbraucher nur noch jeden siebten Euro für Nahrungs- und Genussmittel aus. Vor 100 Jahren war es noch die Hälfte ihres Budgets. Europaweit hat Deutschland mittlere Preise. In Dänemark, Finnland und Irland liegen die Preise ein Viertel bis knapp die Hälfte über dem EU-Mittel. Auch für Belgien und Österreich liegt der Preisindex mit 12 Punkten über dem Durchschnitt dopelt so hoch wie in Deutschland.
Seit 1950 sind die Löhne um das zwanzigfache, der Brotpreis um das neunfache gestiegen, aber der Getreidepreis für die Bauern hat sich kaum verändert. Alle Erlösanteile, die nicht über den Markt finanziert werden, müssen als Direktzahlungen von der Gemeinschaft getragen werden.

Risiken absichern
Mit zunehmenden Wetterkapriolen sei der Begriff „Klimawandel“ bei den Bauern nicht nur eine Floskel, so Kliem. Damit schwanken auch Angebot und Preise. Für die Landwirte sind die volatilen Märkte eine besondere Herausforderung, die Marktbeobachtung und Risikovorsorge erfordern. Vorkontrakte können eine Preisabsicherung sein – das aktuelle Erntejahr allerdings zeigt, dass die Bauern, die welche abgeschlossen haben bei den hohen Preisen zur Ernte bislang nicht profitieren konnten, so Kliem. Für den DBV erneuerte Dr. Kliem daher die Forderung nach einer steuerbefreiten Risikoausgleichsrücklage.
Auch die Börse ist ein Risiko, weil mittlerweile unterschiedliche Protagonisten den Spekulanten Einhalt gebieten wollen. Auch Dr. Kliem ist der Meinung, dass „Spekulationen an den Börsen die Preise angeheizt“ haben. Er fordert, dass bei Spekulationsgeschäften an der Agrarbörse Eigenkapital wie bei Warentermingeschäften hinterlegt sein müsste. Beide Parteien sollten Sicherheitsleistungen bis zu 20 Prozent hinterlegen. Das gelte auch bei Optionsgeschäften, die auf den Warenterminkontrakten aufsetzten.

Roland Krieg; Grafiken: DBV, Situationsbericht 2010

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