Ernte 2015: El Nino oder Regionalfenster?
Landwirtschaft
Gutes Erntejahr 2015 trotz aller Widrigkeiten
Vergleiche mit dem letzten Jahr sind schwierig. Da haben die Bauern eine Rekordernte eingefahren. Auch die Jahre davor konnten die Läger gefüllt werden [1]. Das Erntejahr 2015 hat klimatische und politische Widrigkeiten gesammelt, die am Mittwoch den vorläufigen Ernteabschlussbericht des Deutschen Bauernverbandes in Berlin ordentlich einrahmten.
Ökonomie
Mit Blick auf die jüngsten nachbarlichen Proteste
wiederholte Bauernpräsident Joachim Rukwied, dass die Lage nicht nur in
Frankreich oder Deutschland angespannt ist. „Die Preise sind in allen Sektoren
massiv eingebrochen“, leitete er seinen Erntebericht ein. Das Bündel der
ökonomischen Gründe ist lang. Es reicht von den guten Vorjahresernten über
sinkende Nachfrage aus China bis zum erneuerten Russland-Embargo. Dessen
einkommensrelevante Einbußen für die Landwirte bezifferte Rukwied mit 600 bis
700 Millionen Euro.
Das Wetter
Das Wetter in diesem Jahr ist überwiegend von Trockenheit geprägt, die vor allem in Bayern, Hessen, Rheinland-Pfalz und den östlichen Bundesländern Ertragseinbußen zwischen 15 und 30 Prozent verursacht hat. Lokal sogar mehr. Demgegenüber stimmen die Erträge in den südlichen Teilen Baden-Württembergs und Bayerns sowie Schleswig-Holstein. Mit 46,5 Millionen Tonnen Getreide liegt der Getreideertrag lediglich elf Prozent unter Vorjahresniveau.
Die Trockenheit begann im zeitigen Frühjahr. Die ersten skeptischen Prognosen über die Qualität haben sich jedoch nicht bewahrheitet. Die Qualitäten stimmen. Bäcker und Brauer freuen sich über Fallzahl [2] und Proteingehalt bei Weizen und Gerste.
Allerdings konnten die Tierhalter vom Grünland in vielen Regionen bislang nur einen ersten Schnitt einfahren. Vertrocknetes Gras verspricht keinen zweiten Schnitt für das Futtersilo. Futter wird knapp.
Viele Landwirte haben etwa vier Wochen früher als üblich mit der Silomaisernte begonnen. Die Pflanzen haben zwar keinen Kolben gebildet, aber noch ist genug Restfeuchte in der Pflanze vorhanden, um im Silo den Milchsäurebakterien eine Grundlage für die Gärung zu geben. Wer wie im Rheinland auf Körnermais gesetzt hat, also auf die Kolbenbildung angewiesen ist, muss mit Verlusten zwischen 50 und 100 Prozent rechnen.
Die Gesellschaft
Nicht nur Politik und Wetter, sondern auch die Gesellschaft vermiest den Bauern die Stimmung. So hat der Raps ohne Beizmittel der Neonicotinoide Erdfloh und Kohlfliege erdulden müssen. Gegen den Erdfloh hilft derzeit nur der Einsatz von Pyrethroiden. Gegen die „Kleine Kohlfliege“ existiert kein anderes Mittel. Da stehen ackerbauliche Maßnahmen bei Aussaat und Auflauf der Keimlinge im Vordergrund. Das Moratorium trägt Mitschuld an einem Hektarertrag, der rund 13 Prozent unter Vorjahresniveau liegt.
Die Investitionsbereitschaft ist deutlich gesunken. Anforderungen über die Düngeverordnung, an die Tierhaltung oder durch den Naturschutz erfordern Investitionen, die über die Tiefpreise kaum amortisiert werden können. Hier fehlt die Rückkopplung an die Verbraucher, Billigpreis und Produktionsrealität miteinander zu verbinden. Unter dem Motto „Schleuderpreis zerstören“ demonstrieren in Bayern an mehr als 40 Standorten Bauern für höhere Erzeugerpreise. Darauf verwies Rukwied. In Ostfriesland brannten mehr als 100 Mahnfeuer gegen die Milchpreise – organisiert vom Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM), der seit Jahren vom DBV abgekoppelt gegen Einkommensverluste in Höhe von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr demonstriert.
„Eine große Aktion in ganz Bayern“, freut sich Rukwied,
während Andrea Sweers vom BDM auf die Solidarität bei den Mahnfeuern durch vor-
und nachgelagerten Bereiche bauen durfte.
Der Weg nach Brüssel
Kommenden Montag wird der BDM eine Staffelfahrt von Aurich nach München organisieren und zusammen mit den Schwesterorganisationen zur außerordentlichen Agrarministerkonferenz am 07. September in Brüssel seine Stimme erheben. Während die Traktoren in Aurich die Motoren starten, trifft sich Joachim Rukwied mit seinem französischen Kollegen, um sich ebenfalls in Richtung 07. September über die Agrarpolitik abzustimmen.
Sind sie im Leiden auch vereint, bewerten sie die Situation doch anders. Für den BDM stehen Überproduktion und das Ende der Milchquote im Vordergrund. Andrea Sweers: „Diese Entwicklung war vorhersehbar“. Joachim Rukwied beeilte sich in Berlin, das Ende der Milchquote nicht als Ursache zu bemühen.
Ob sich die Preise in den nächsten sechs Monaten verbessern liege unter anderem an den Auswirkungen von El Nino, sagte Rukwied. Wer den Blick auf den Weltmarkt fokussiert, der muss beim Melken auch den globalen Wetterdienst beobachten.
Zum 15. August zog das Regionalfenster Geburtstagsbilanz. Drei Jahre nach der anfänglichen Begeisterung Zeit, wieder auf sich aufmerksam zu machen. 34 Mitglieder und mehr als 500 Lizenznehmer ist die Bewegung groß geworden. Am stärksten ist die Warengruppe Obst und Gemüse. Die Kartoffel ist sogar schon bundesweit „im Regionalfenster“ verfügbar. Aber ohne dass sich die Preise verbessert haben.
Alea iacta est. Bauernpräsident Rukwied beeilte sich, zu sagen, dass die Kernmärkte für die deutsche Landwirtschaft Deutschland und der europäische Binnenmarkt bleiben. Das satte Europa und die nicht vorhersehbaren geopolitischen Wirren gehören zum unternehmerischen Risiko dazu. Daher wird der 07. September auch nur wenige vorhersehbare Ergebnisse in Brüssel hervorbringen: Liquiditätshilfe: Ja. Super-Abgabe für Milchbauern: Nein, weil sich andere Sektoren beklagen werden. In Deutschland: Steuerstundung: Laufen gerade an. Risikoausgleichsrücklage: Nein. Exportoffensive: Keine zusätzlichen Mittel. Keine weiteren wettbewerbsverzerrenden Auflagen mehr: Nein – das ist gesellschaftliche Entwicklung [3].
Schmidt will helfen
Ressortchef Christian Schmidt hat die Klagen aufgenommen und will sich im Rahmen von „sehr außergewöhnlichen Notfällen“ für weitere staatliche Unterstützung stark machen. In der nächsten Woche will sich der Bundeslandwirtschaftsminister mit Joachim Rukwied treffen und am 31. August, zur Vorbereitung des Agrarministerrates, im Rahmen des „Weimarer Dreiecks“ in Berlin mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Polen.
Ertragsschadenversicherung und Lebendverbauung
Unter der Hitze leiden auch die österreichischen
Berufskollegen. Die Landwirtschaftskammer hat laut über eine
Ertragsschadensversicherung nach gedacht [4]. Das könnte auch für Deutschland
interessant sein, sagte Wolfgang Vogel, Landesbauernpräsident in Sachsen zu
Herd-und-Hof.de. Allerdings sei sie nach herkömmlichen Versicherungsregeln
(Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens mal Schadenshöhe gleich Prämie durch
Anzahl der Versicherten) viel zu hoch. In den USA funktioniere diese Lösung.
Aber nur, weil 75 Prozent der Versicherungssumme aus öffentlichen Töpfen
finanziert werde. Für einen Landwirt mache sich eine höhere Selbstbeteiligung
einfach nicht bezahlt. Die Gelder jedoch wären da, wenn sie aus der zweiten
Säule der europäischen Agrarpolitik kämen.
Obwohl die Getreideernte in den letzten Zügen liegt, planen die Landwirte nicht nur bereits die Winterfrucht, sondern auch die Herbstarbeiten auf dem Feld. Die Wurzelunkräuter sind zu bekämpfen, bevor die nächste Saat in den Boden kommt. Sonst müssen die jungen Pflanzen mit älteren und ausgebildeteren Unkrautpflanzen um Wasser, Licht und Nährstoffe kämpfen. Am schnellsten geht es mit dem Einsatz von Glyphosat [5]. Das kann auch bei knappem Zeitbudget nach späträumenden Früchten eingesetzt werden. Doch dieses Mittel steht auf der Streichliste der Umweltorganisationen. So könnte der Pflug seine Renaissance erleben. Stichwort ist die Lebendverbauung. Mit Pflug, Grubber und Walzen können Landwirte stabile Bodenkrümel schaffen, die Trockenheit und Regen widerstehen. Der Pflug wendet den Boden und vergräbt die Unkräuter. Das bereitet bis auf die Quecke fast jedem Unkraut und Ungras das Ende. Nach der Saatbettbereitung bleibt zwischen den Bodenkrümeln ausreichend Platz für Luft, Wasser, Bakterien, Pilze und Nährstoffe. Die Krümel verschlämmen nicht. Sie können Luft und Wasser durch den Boden leiten. Sie verwehen auch nicht druch den Wind. Der Boden bleibt am Ort und kreiert das beste Ökosystem für die Neusaat. Der Bodenwissenschaftler Franz Sekera aus Wien (1899 bis 1955) hat diese stabile Aggregatbildung als „Lebendverbauung“ bezeichnet. Dieser Trend ist sicher da, fuhr Wolfgang Vogel fort. Vor allem in den Gebieten mit starkem Mäusebefall. Der Pflug oder das tiefe Grubbern zerstört die Mäusegänge. Dennoch habe Glyphosat seine unbestreitbare phytosanitäre Wirkung.
Wie das Rennen zwischen Pflug und Glyphosat ausgeht, liegt nicht mehr in der Hand der Landwirte. Die Landtechnik entwickelt derzeit neue Geräte für die Bodenbearbeitung und die Fachbranche diskutiert offen, ab wann sich der Kauf eines Pfluges wieder lohnt.
Lesestoff:
[1] Sind die goldenen Zeiten im Ackerbau vorbei?
[2] Hierbei wird gemessen wie schnell ein Messstab durch ein Mehl-Wassergemisch nach unten sinkt. Es gilt: Schlechte Wachstumsbedingungen erhöhen im Korn die Menge an alpha-Amylase. Deren Aktivität macht das Mehl-Wassergemisch dünnflüssiger, der Stab fällt schneller. Bei Weizenmehl sind 250 bis 300 Sekunden Fallzahl optimal.
[3] Landwirtschaft radikal anders gedacht: Fundamente statt Säulen
[4] Österreich diskutiert über Ertragsschadenversicherung
[5] Monographie über Glyphosat veröffentlicht
Roland Krieg; Fotos: roRo