Ernte 2017: Riesengroße regionale Unterschiede

Landwirtschaft

Termin- und Wetterstress bei den Landwirten

Kein anderer Berufszweig ist so vom Wetter abhängig wie die Landwirtschaft. Das wird auch keine noch so moderne Technik überwinden können. Nach der mittlerweile üblichen Frühjahrstrockenheit fügten heftige Spätfröste im April den Obstbauern großen Schaden zu. Der Sommer war dann nicht nur verregnet, sondern setzte mit heftigem Dauerregen Städte und Land unter Wasser. Im Havelland in Brandenburg fielen während des „Jahrhundertregens“ Ende Juni 300 mm Niederschlag innerhalb von 24 Stunden.  Das Ergebnis: Leere Ähren, wenig Stroh, wie die Bauernzeitung titelte. Auf anderen Standorten, wie in Sachsen, konnten die Getreidebauern wiederholt mehr als 100 dt/ha Weizen mit guten Qualitäten einfahren. Im Havelland hingegen konnten die Landwirte, dort wo sie auf die Äcker fahren konnten, lediglich 25 dt/ha bergen. Der aufgeweichte Boden behindert nach wie vor die Ernte und verzögert die Neuaussaat.

Beim Raps wurden regional weniger als 35 dt/ha geerntet. Ob das in diesem Jahr überwiegend am Verbot der Neonicotinoide, der Witterung für die Vegetation oder der Witterung für die Blattläuse liegt, ist derzeit noch offen. Die Agrargenossenschaft Fraunberg in der Lausitz konnte die Getreideernte auf 900 Hektar am 07. August abschließen. Der Rapsertrag lag bei 50 dt/ha.

Joachim Rukwied

„Wir sind noch nicht durch“

Diese regionale Heterogenität der Ernte war dann am Dienstag auch einleitendes Thema von Bauernpräsident Joachim Rukwied, der den dritten, aber nicht abschließenden Erntebericht in Berlin vorlegte. „Vor allem die Landwirte im Norden warten dringend auf gutes Wetter. Hält die Prognose bis Sonntag, kann die Ernte endlich abgeschlossen werden.“ Solange gilt: „Wir sind noch nicht durch.“

Die Landwirte hätten das Getreide regelrecht von Feld stehlen müssen. „Es fehlte an Druschtagen“, so Rukwied. Nach 2016 haben die Bauern in Deutschland erneut eine unterdurchschnittliche Ernte eingefahren. Regional sind die Ergebnisse äußerst unterschiedlich ausgefallen.

44,5 Millionen Tonnen Getreide

Der Deutsche Bauernverband (DBV) schätzt die Getreideernte in diesem Jahr auf 44,5 Millionen Tonnen, was noch einmal 0,9 Millionen Tonnen weniger als 2016 sind. Im Jahr 2015 hatten die Bauern fast 49 Millionen Tonnen Getreide eingefahren.

Noch deutlicher fallen die Ergebnisse beim Raps aus. Mit nur 4,3 Millionen Tonnen Winterraps wurden sechs Prozent weniger als im Vorjahr geerntet.

Wetterextreme des Erntejahres 2017
Wetterextreme zwischen April und Juli 2017; DBV

Selten gab es so viele Wetterkapriolen wie in diesem Jahr. Der Juli war nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes eine der zehn niederschlagsreichsten Julimonate seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881. Bundesweit fielen rund 130 Liter Regen pro Quadratmeter, was 163 Prozent des durchschnittlichen Juli-Niederschlages entspricht.

Die Konsequenzen sind beim Getreide klar: Was derzeit noch auf dem Feld steht und erst in den letzten Tagen gedroschen werden konnte, hat nur noch Futterqualität. Die Keimung hat im Korn bereits begonnen, ist aber von außen noch nicht zu sehen. Zudem sollte Getreide beim Einlagern nicht mehr als 14 Prozent Feuchtigkeit  haben, um Wärmebildung und Schimmel zu vermeiden. Aktuell holen die Landwirte in Schleswig-Holstein das Getreide noch mit 18 bis 20 Prozent Feuchte ein. Vor dem Einlagern muss es für rund 30 Euro pro Tonne getrocknet werden. Kosten, die bei aktuellen Preisen bei unter 160 Euro pro Tonne beachtlich sind.

Beim Raps hatten sich schon bei der Aussaat im Herbst schlechte Bedingungen eingestellt. Die Trockenheit  ließ kaum mehr als zehn bis 15 cm Wurzeltiefe zu. April-Frost in der Blüte, die Juni-Hitze und zuletzt der viele Niederschlag haben zu viel Auswuchs geführt. Wurden in der Zeit zwischen 2012 und 2016 durchschnittlich 3,9 Tonnen je Hektar geerntet, sind es in diesem Jahr lediglich 3,3 Tonnen. Mehr als 4,3 Millionen Tonnen kommen kaum zusammen. Das liegt 18 Prozent unter dem Fünf-Jahres-Schnitt mit 5,3 Millionen Tonnen.

Joachim Rukwied und Wolfgang Vogel
Joachim Rukwied und Wolfgang Vogel

Raps in Not?

Nicht nur das Wetter hat den Rapsbauern die Laune verdorben. Wolfgang Vogel, Vizepräsident des DBV, sieht die Anbaufläche von einer bis 1,2 Millionen Hektar in Gefahr. Raps ist ein Multitalent und erzeugt neben Speiseöl und heimischen Eiweißfutter auch Biodiesel. Die EU will den Anteil der ersten Generation an Biomasse bis 2030 absenken. Wenn dann der Rapsanbau an Bedeutung verliert, werde auch weniger Futter ohne Gentechnik aus der Region erzeugt, mahnt Vogel. Die Lösung: Der Beimischungsgrad bei Lkw solle auf E30 steigen. Damit sein die aktuelle Fläche abgesichert.

Obst und Gemüse

Die Frostschäden machen sich mit rund 200 Millionen Euro in den Büchern bemerkbar, erläuterte Rukwied. Bei fast allen Obstarten ist ein Minus zu verzeichnen. Die verarbeitende Industrie hatte schon vor Wochen auf die angespannte Versorgungslage hingewiesen [1].

Mais, Zuckerrüben, Kartoffeln

Die meisten Mais- und Zuckerrübenfelder sehen sehr zufriedenstellend aus. Nur der Mais, der mit seinen Füßen im Wasser steht, fällt um, berichten Landwirte aus Brandenburg. Beim Zucker erwartet Rukwied eine deutlich höhere Zuckermenge im ersten Jahr nach Wegfall der Quote. Die Kartoffel erlebt einen kleinen Aufschwung, allerdings bei den Industriekartoffeln, die Stärke produzieren. Da Konsumenten immer mehr veredelte Kartoffeln wie Pommes und Chips nachfragen, wurden entsprechende Qualitäten regional dort stärker angebaut, wo die Verarbeitungskapazitäten liegen. Ein Plus hat auch der Pflanzkartoffelanbau gezeigt. Speisekartoffeln mussten ein kleines Minus hinnehmen.

Entschädigungen

Kein anderer Wirtschaftszweig ist so auf das Wetter angewiesen wie die Landwirtschaft. Hagel, Sturm und Dauerregen können Betriebe in die Pleite treiben. Daher bleiben bei den Wetterextremen die Rufe nach Entschädigungen nicht aus. Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz hatten bald nach dem April-Frost den Katastrophenzustand ausgerufen, der den Obst- und Weinbauern Entschädigungen zukommen lässt. Bei Hagel sind die Landwirte pflichtversichert. Die Begutachter sind bereits auf den Feldern unterwegs. Die Experten schätzen ab, wie viel Blattfläche der Hagel am Raps zerstört hat. Sie wissen auch, wie bedrohlich der Verlust für die gesamte Pflanze ist oder ob sie Zeit hat, das Fehlen des Photosyntheseapparates zu kompensieren. 60 Prozent Blattschaden und 20 Prozent Schaden am Stiel führen dann zu einem Ertragsverlust von 20 bis 30 Prozent, sind aber kein Totalverlust. Auch beim Getreide liegen Erfahrungswerte vor. Die Gutachter nehmen eine Handvoll Halme auf und schätzen, wie viele Körner aus den Ähren herausgeschlagen wurden.

Was aber passiert nach Dauerregen, Überflutungen und Sturm? Ertragsversicherungen werden von vielen Versicherern nicht angeboten. Das ist Neuland. Die Bundesländer dürfen nur nach EU-Vorgabe entschädigen. Wer aber den Schaden einstufen darf, ist rechtlich nicht immer geklärt. Die Menge an Schadensmeldungen ist personell auch kaum zu bewältigen. Daher fordern die Bauernverbände ihre Landwirte auf, den Schaden erst einmal selbst zu dokumentieren.

Das jedoch ist auch nur das erste Problem. Verliert ein Milchbetrieb sein Grünfutter wegen Dürre – wie viel Schadensersatz bekommt er? In der Regel werden die Betriebsergebnisse der letzten fünf Jahre hinzugezogen und das jeweils beste und schlechteste gestrichen. Die drei anderen Jahre bilden den Vergleichswert für eine Entschädigung in Höhe von 30 Prozent. Aber: Was bleibt übrig, wenn der Milchpreis heute bei 35 Cent liegt und während der Milchkrise der letzten Jahre bei 22 Cent lag?

Das gesamte Thema muss endlich neu überdacht werden. Die Landwirte müssen als Unternehmer ihr eigenes Risikomanagement leisten und werden dauerhaft nicht auf Entschädigungsleistungen angewiesen sein können. Daher wird wohl künftig die Entschädigung nach eigener  Absicherungen gewährleistet.

Am einfachsten sind technische Einrichtungen. Obstbetriebe, die in den letzten Jahren in Frostschutzberegnungen investiert haben, kamen deutlich glimpflicher durch den frostigen April als ihre Berufskollegen ohne Anlage. Auch Hagelschutznetze können Schaden mildern. Bei Ernteversicherungen gegen Überflutungen und Dürre sind erste Versicherungslösungen unterwegs. Auf der Erntepressekonferenz forderte Bauernpräsident Joachim Rukwied finanzielle Unterstützung für solche Abschlüsse.

Das ist zweischneidig, denn Versicherungsprämien ergeben sich aus der Arithmetik von Schadenswahrscheinlichkeit und Prämieneinnahme der Versichertengemeinschaft. Der Staat kann aber nicht in der Rolle eines Risikobewerters Teilprämien ausschütten. Die Versicherungsgesellschaften würden diese Gelder in die Prämie einberechnen, so dass am Ende das Geld an den Landwirten vorbeigeroutet wird.

Rukwied stellt sich deshalb eine Mischung der Hilfe vor, sagte er zu Herd-und-Hof.de. Solange spezielle Versicherungen nicht flächendeckend eingerichtet sind, soll eine Länderanschubfinanzierung helfen und gleichzeitig sollen technische Vorsorgeeinrichtungen wie Frostschutzanlagen gefördert werden. Das habe in Baden-Württemberg bei den Obstbauern bei Frostschutzanlagen geholfen.

Eine weitere Frage wird in den nächsten Wochen ebenfalls noch geklärt werden müssen: Sind die Kommunen ihren Aufgaben zur Reinigung der Vorfluter nachgekommen, oder haben Verunkrautung den Wasserabfluss zusätzlich aufgehalten und welchen Anteil hatte das an den überfluteten Feldern?

Der Markt

Im Nordosten stimmen beim Getreide weder Menge noch Qualität. In den USA, Kanada und Australien häufen sich Meldungen über Trockenheit. Doch die Kurse sind rückläufig. Der Septemberweizen in Chicago notiert derzeit um 50 US-Dollar gegenüber Juli schwächer und fällt auf 162 Euro/Tonne. Weil die MATIF in Paris das Niveau bestätigt, fallen auch die Kurse an regionalen Börsen.  In marktfernen Gebieten liegt Brotweizen unter 150 Euro/Tonne.

Fünf Millionen Tonnen mehr Weizen und drei Millionen Tonnen mehr Gerste weltweit, lassen die Prognosen der weltweiten Getreideernte auf zwei Milliarden Tonnen steigen. Der Verbrauch liegt mit 30 Millionen Tonnen zwar über der Erzeugung, aber 23 Prozent des weltweiten Verbrauchs sind als Vorrat eingelagert, was gemeinhin noch als komfortabel angesehen wird. 

Russland läuft mit 77,5 Millionen Tonnen Getreide auf die höchste des neuen Jahrtausends zu. Experten halten auch 80 Millionen Tonnen für möglich. Bei den niedrigen Frachtkosten gewinnen russische Exporteure nahezu alle Getreideausschreibungen nach Nordafrika und in den Mittleren Osten. So spielt der Wechselkurs zum Euro eine große Rolle für die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Ware aus US-Dollar und Rubel-Ländern.

Die EU-Getreideernte erreicht mit 296 Millionen Tonnen das Vorjahresniveau. Weltweit wird der Lagerbestand um sechs Millionen Tonnen aufgestockt und führt zu einem großen Druck auf die Preise. Brotweizen ist bundesweit im Durchschnitt für 153 Euro je Tonne zu haben.

Fazit der Ernte 2017

Joachim Rukwied zieht einige Schlüsse aus der Erntesituation 2017. „Die Intensität und Häufigkeit von Wetterextremen nimmt zu. Das ist eine Herausforderung auch für die Züchter.“ Diese müssen bei ihrer Sortenentwicklung auf Toleranzen gegen Trockenheit, Krankheiten und Feuchtigkeit achten. Gegen den vermehrten Abfluss des Oberflächenwassers müsse mehr Mulchsaat ausgeführt werden: „Dazu brauchen wir Glyphosat zur Unkrautbekämpfung.“ Die Landwirte müssen effizienter mit den Nährstoffen mit sofortiger Einarbeitung umgehen. Und angesichts des steigenden Krankheitsdruckes: „Wir brauchen eine Weiterentwicklung konventioneller und ökologischer Pflanzenschutzmittel.“

Lesestoff:

[1] Der Industrie geht das Obst aus: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/schwieriges-obstjahr-2017.html

Roland Krieg; Foto: roRo; Grafik: DBV

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