„Es braut sich was zusammen“

Landwirtschaft

Veränderungen in der Agrar- und Ernährungsbranche

Wenn Deutschlands berühmtester Schlachtunternehmer Clemens Tönnies im Herbst mit einer „veganen Wurst“ die ANUGA in Köln erobern will, dann „braut sich was zusammen“, glaubt Sönke Reimers, Geschäftsführer der dfv Mediengruppe, die am Dienstag zum 2. Zukunftsdialog Agrar & Ernährung nach Berlin lud. Tierrechte, Greening, Kennzeichnung, Ernährungs- und Lebensstile sind die neuen Imperative, die auf die Agrar- und Ernährungsbranche wirken. Die Landwirtschaft habe in den letzten Jahrzehnten versäumt, den Verbraucher an ihrem „Vorsprung durch Technik“ teilhaben zu lassen, beklagte Jürgen Oldeweme, der bei BASF Crop Protection für die Produktsicherheit zuständig ist. Die Landwirte arbeiten ressourceneffizient und fahren ihre Maschinen bis auf zwei Zentimeter genau über die Felder [1]. Dagegen haben sich bei den Verbrauchern Bilder einer Landwirtschaft verfestigt, die kaum noch der Realität entsprechen. Daher soll der „Zukunftsdialog dem Ausgleich der verschiedenen Interessensgruppen dienen“, wünschte sich Oldeweme.

Mut zu neuen Gedanken

„Agrarpolitik ist Gesellschaftspolitik“, unterstrich Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft. Auf der Suche nach dem kategorischen Imperativ zwischen Pflugfurche und Misthaufen müssen Ressortleiter im Agrarbereich zunehmend ihre philosophischen und soziologischen Kenntnisse auf den Tisch legen. Es gebe divergierende Wahrnehmungen in der Gesellschaft, erläuterte Schmidt und: „Wir haben mehr Fragen an die Gesellschaft als an die Branche.“

Die Journalistin Tanja Busse meint mit ihrem neuen Buch „Wegwerfkuh“ dann mehr die „Wegwerfgesellschaft“? Richtig. Dieser Unterschied aber führt nach Schmidt zu Miss- und Unverständnis in der Branche. Wichtiger bleibt daher die Frage, ob Gesellschaftspolitik denn auch Agrarpolitik ist? Nein – und damit bleibt die Wegwerfkuh doch eine Wegwerfkuh. Ja, nur eine gesunde Kuh bringt eine hohe Leistung. Aber wenn das Tier nach durchschnittlich 2,5 Nutzungsjahren nach weniger als einem Viertel möglicher Lebenslänge krankheitsbedingt zum Schlachthof gebracht werden muss, dann verdeckt die Philosophie über die Landwirtschaft die nüchternen Realitäten.

Verbraucher halten sich an der Fata Morgana der Maiswüsten fest, weil sie die einzelnen Getreidearten nicht unterscheiden können, während in der Bauernzeitung (15/2015) Pflanzenbauprofessor Dr. Norbert Makowski fast darum bettelt, nicht immer nur Winterraps und zweimal Winterweizen anzubauen. So tauchen hinter den divergierenden Wahrnehmungen, divergierende Wahrheiten auf.

Schmidt konnte die Politik nicht als den richtigen Moderator platzieren. Trotz gegenteiliger wissenschaftlicher Evidenz stoße die grüne Gentechnik auf breite Ablehnung in der Bevölkerung. Das müsse von der Politik berücksichtigt werden. Demgegenüber liegt das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik über die Nutztierhaltung [2] scheinbar näher an den Wünschen der Verbraucher und wird von Schmidt mit dem Satz goutiert: Nicht jede wissenschaftliche Erkenntnis müsse politisch umgesetzt werden.

Die Praxis ist pragmatischer. Beim Pflanzenschutz gehen den Landwirten die Wirkstoffe aus. Dabei forschen Firmen wie BASF an Wirkstoffen, die mit weniger Aufwandmenge und weniger Belastung genutzt werden können. Innovationen brauchen jedoch ein innovationsfreundliches Umfeld, das von Oldeweme vermisst wird: „Chemie und Natur passen zusammen“ lautet sein Credo, das an neue Horizonte von Pamela Ronald und Raoul Adamchak erinnert, die in Kalifornien die grüne Gentechnik mit dem Ökolandbau verbinden wollen [3]. Ohne vergleichbare „Idyllbrüche“ werden die verschiedenen Seiten nicht mehr zueinander finden. Kleine Schritte aufeinander zu mahnen die Verbraucher: „Landwirte können alleine von der Schönheit der Landschaft nicht leben. Sie wollen und sollen Geld verdienen“, betont Oldeweme.

Ziele verfehlt

Die Landwirtschaft hat Ziele wie Armutsbekämpfung, Ernährungssicherheit, Artenerhaltung oder die Vermeidung des Nährstoffeintrages klar verfehlt, kritisiert Reinhild Benning vom BUND. Die Intensivierung der landwirtschaftlichen Produktion im Sinne einer zweiten grünen Revolution habe versagt. Das hätten die Verbraucher durchschaut und stellten die Systemfrage in der Landwirtschaft. „Wachstum ist kein Primat für die künftigen Herausforderungen“, sagt Benning.

Doch sei die Landwirtschaft auf dem richtigen Weg, verteidigt Landwirt Carl-Albrecht Bartmer, Präsident der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG), seine Berufskollegen. Zu Jahresbeginn hat die DLG mit einem offenen Nachhaltigkeitsbericht sowohl die Erfolge als auch die Aufgaben herausgestellt [4]. Nachhaltigkeit sei kein statisches Ziel, sondern ein dynamischer Prozess. Bartmer lässt sich die Erfolge der Branche nicht klein reden.

Konstantinos Tsilimekis ist Leiter des Wissenschaftsressorts der Albert Schweitzer Stiftung und erweiterte den Begriff der Nachhaltigkeit: Das sei nicht nur technischer Fortschritt, sondern eine Bewusstseinshaltung. Konsumkritik sei in Europa kein diffuser Trend.

Aber mit erheblichem Nachholbedarf. Da wird in einer aktuellen Autozeitschrift ein Elektroauto als passender Zweitwagen begrüßt, ohne auf das erste Auto zu verzichten. Der Ressourcenverbrauch hat sich vermehrt.

Bezogen auf die Landwirtschaft kritisiert Benning, dass die Futtermittel aus Lateinamerika stammen, aber die Nährstoffe nach der Verdauung durch die Nutztiere auf deutschen Feldern landen. So ist der globale Nährstofffluss aus den Fugen geraten [5]. Für das bessere Verständnis müssen die Sustainable Development Goals Ende des Jahres als Weltvertrag formuliert werden.

Tsilimekis formuliert es so: „Verantwortung dürfen wir nicht durch Wettbewerb, sondern durch gemeinsam definierte Werte übernehmen.“ Reinhild Benning: „Wir müssen im Agrarbereich Anschluss an die globale Debatte finden.“ So seien die 300 Millionen Euro Forschungsgelder für den heimischen Futteranbau als gesellschaftliche Folgekosten für verlorenes Wissens zu verstehen, weil die Veredlungsindustrie einseitig auf preiswerte Sojaimporte gesetzt habe.

„Die Zeit“: Schwarz-gegrillt

Die Medien spielen in der Auseinandersetzung eine bedeutende Rolle. In diesem Jahr bekam das ausgerechnet das intellektuelle Vorzeigeblatt „Die Zeit“ zu spüren. Ihre Serie über Antibiotika hat den Deutschen Bauernverband (DBV) und seine verschiedenen Kanäle im Sozialen Netzwerk sich entrüsten lassen. Werner Schwarz, Vizepräsident des DBV, hatte am Dienstag gegen Stephan Lebert, Ressortleiter Investigativ bei „Die Zeit“, leichtes Spiel. Den Redakteuren ist ein offensichtlicher Fehler unterlaufen, für den sich Lebert noch einmal entschuldigte. Der leise und sich ständig erklärende Lebert gab allerdings auch kein gutes Bild von einem selbstbewussten und informierten Redakteur ab und Schwarz konterte mit praktischen Kenntnissen aus seinem heimischen Betrieb.

Ein leichter, aber auch trügerischer Triumph. Haben ein Fehler der Wochenzeitschrift und die Ausführungen der Wolfsburger Autostadt zu vegetarischen und veganen Speisen, die zu einem „High Level Meeting“ zwischen Niedersachsens Bauernpräsidenten Werner Hilse und Autostadt-Geschäftsführer Otto Wachs führten, der Landwirtschaft tatsächlich mehr Imageschaden beigebracht als die Tierhaltung von Adrianus Straathof [6]? Da allerdings bricht noch heute Schweigen aus.

Lesestoff:

[1] Big Data in der Landwirtschaft

[2] Welche Nutztierhaltung wollen wir

[3] Ronald and Adamchak: Tomorrow´s Table, Oxford University Press 2008

[4] Nachhaltigkeitsbericht der DLG

[5] Global Soil Week

[6] Causa Straathof als Synonym

Roland Krieg

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