Es schmeckt auch ohne Norm

Landwirtschaft

Kostenfreie Kartoffellese in Müncheberg

Vor den Toren Berlins liegen in Müncheberg im Landkreis Märkisch-Oderland rund 700 Hektar ökologisch bewirtschaftete Ackerfläche. Die vor 21 Jahren aus einer LPG hervorgegangene Jahnsfelder Landhof GmbH ist ein typischer Marktfruchtbetrieb mit Weizen und Hafer. Typisch für Brandenburg ist auch der Roggenanbau und für die Ökobranche der Dinkel. Für die Mutterkühe, die Schafe in der Streuobstplantage und Schweine in der Freilandhaltung hat der Betrieb mit Triticale, Erbsen, blauer Süßlupine und Kleegras eine eigene Futtergrundlage geschaffen. 16 Arbeitskräfte sind auf dem Betrieb fest angestellt.

Der Samstag stand jedoch im Zeichen der Kartoffel – ebenfalls einst typisch für die Brandenburger Landwirtschaft. Sechs Sorten baut Betriebsleiter Frank Prochnow auf elf Hektar an, darunter auch die rotschalige Sorte Red Fantasy.

Aufwind Öko-Knolle

250 Kilogramm Kartoffeln hat der Durchschnittsdeutsche pro Jahr verzehrt. Das allerdings ist rund 110 Jahre her. Im letzten Jahr kamen die Bundesbürger nur noch auf 57 Kilogramm pro Kopf und Jahr, wobei die Hälfte als Pommes, Chips und Püree im Magen landete. Zeitmangel, Single-Haushalte und fehlende Lagermöglichkeiten haben die Kartoffel vom Teller verdrängt. Nudeln und Reis transportieren mediterranes Lebensgefühl und Wellness.

Wie weit die Menschen sich (nicht nur) von der Knolle entfernt haben zeigt das Internet. In einem „Ratgeber“ tauchte die Frage auf: „Wie lange müssen Kartoffeln kochen? 5 mittelgroße Kartoffeln in einem kleinen Topf. Bitte um baldige Antworten, weil sie sind schon im Wasser… :-)“

Anders sieht es im Ökobereich aus. Dort erfährt die Knolle eine Renaissance.


Stiefel, Körbe und Regenzeug. Los geht´s

Nachlese der besonderen Art

Am Samstag hat der Jahnsfelder Landhof zu einer „Nachlese“-Aktion der besonderen Art eingeladen und selbst aus Berlin reisten Kartoffel-Fans an. Zusammen mit der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL) hat sich der Kartoffelbauer etwas besonderes einfallen lassen. Während der modernen Kartoffelroder seine Bahnen für die Marktkartoffeln zog, steuerte Günther Stephan seinen über 50 Jahre alten „Aktivist“ über das Feld. Die Schlegel werfen die roten Knollen aus den Dämmen, hinter denen sich mehr als 140 Gäste nach den Kartoffeln bückten. Sie sammelten die frische Ernte in Eimer und Weidenkörbe, in Plastiktüten und Schüsseln. Alles was sie tragen konnten durften sie kostenfrei mit nach Haus nehmen.

„Aktion gegen die Gedankenlosigkeit“

Die bislang einmalige Aktion entstand aus einem ganzen Bündel von Gründen. Michael Wimmer, Geschäftsführer der FÖL sagte zu Herd-und-Hof.de, die Idee ist ein Teil Nostalgie, ein Teil Zeichen gegen die Handelsnormen und vor allem ein Signal für die Aktion „Teller statt Tonne“. Fast die Hälfte der Besucherfahrzeuge hatte Berliner Kennzeichen. So hatten die Erntehelfer in eigener Sache Gelegenheit, die mühevolle Arbeit des Kartoffellesens einmal auszuprobieren. Viele junge Familien sind mit ihren Kindern aufs Land genommen, die sich gleich professionell in die Spuren des Roders begaben. Authentizität und Erlebnischarakter waren ebenfalls Motivation für die Aktion. Viele Kinder haben das erste Mal einen Kartoffelroder in Arbeit gesehen. Jetzt wissen sie auch, wie sie geerntet werden.

Die Kartoffeln sind nicht nur für den eigenen Haushalt, wie eine Sammlerin zu Herd-und-Hof.de sagte. Kaum jemand hat heute noch einen Keller, der für die Einlagerung von Lebensmittel geeignet ist. Die frische Ernte wird unter der Verwandtschaft aufgeteilt.

Nichts geht verloren

Vor über einem Jahr wurden die Handelsnormen für Speisekartoffeln aufgelöst. Die Kartoffelwirtschaft orientiert sich an der Berliner Vereinbarung (BV), die parallel auch schon seit mehr als 50 Jahren die Qualitäten der Kartoffeln bestimmt. Die Begriffe „Klasse“ und „Handelsklasse“ gibt es nicht mehr – die Kartoffelwirtschaft kann ihre Ware freiwillig mit den Begriffen „Qualität Extra“ und „Qualität I“ ausloben.


Kartoffelernte vor den Toren der Stadt

Daher ist die Aktion, was die Handelsnorm betrifft, auch mehr symbolisch zu verstehen. Denn auf dem Bioland-Betrieb werden landen die kleinen Kartoffeln gedämpft im Schweinetrog. Kreislaufwirtschaft unter Ausnutzung aller Ressourcen.

Dennoch stand der Samstag unter dem Motto „Aktion gegen die Gedankenlosigkeit“, wie Frank Prochnow es bezeichnete. Bewusstsein schaffen und die Arbeit vor Ort kennen lernen. Vor der Feldarbeit führte Prochnow seine Gäste noch über den Betrieb , der seine Produkte überwiegend in der Direktvermarktung anbietet.

Die meisten Produkte bietet der Jahnsfelder Landhof im Direktvertrieb an. Für die Kunden ist das etwas gewöhnungsbedürftig, wenn das Schnitzel erst auf Bestellung abgeholt werden kann. Die Großstadt Berlin ist ein wichtiger Markt. Er beliefert die Naturkostläden und Bäckereien, die das Getreide noch selbst vermahlen. Nicht aber an Bio-Discounter. Da bekomme er Menge, Qualität und Preis vorgeschrieben. Doch der erste in Brandenburg gegründete Bioland-Betrieb bleibt bei seiner Vermarktung lieber frei bestimmt.

Jedes Jahr ein anderer Ernteverlauf

Die Erzeuger von Bio-Kartoffel sind in diesem Jahr mit der Ernte nicht ganz zufrieden. Gegenüber dem letzten Jahr sind gute Qualitäten knapp und die Knollen kleiner ausgefallen.

Moderner Vollernter mit Ladebunker. So geht es normalerweise

Im letzten Jahr hat Prochnow 240 Doppelzenter alleine an Speisekartoffeln von jedem Hektar gewonnen. In diesem Jahr werden es insgesamt nur 220 dt/ha sein. Das Frühjahr hat die Kartoffeln mit kühlen Temperaturen nicht in ausreichende Keimstimmung gebracht, der Mai war ebenfalls zu kalt und zu trocken. Gegenüber den konventionellen Kartoffel-Bauern müssen die Biobauern mechanisch gegen Unkräuter vorgehen. Etwa 10 Mal musste Frank Prochnow in diesem Jahr mit Striegel und Hacke zwischen die Kartoffeldämme. Die feinen Wurzeln an denen sich die Knollen entwickeln sollen, leiden dann auch unter der mechanischen Belastung. Das kann im nächsten Jahr aber wieder ganz anders aussehen. Die erhöhte Arbeitsaufwand schlägt sich im Preis nieder. Die konventionellen Bauern erzielen gerade einmal vier Cent je Kilogramm Kartoffeln, die Ökobauern müssen etwa 30 Cent je Kilogramm berechnen.

Lesestoff:

Jahnsfelder Landhof: www.bio-mit-gesicht.de/6183.html

www.berliner-vereinbarung.de

Bio-Kartoffeln: Kurze Wege – wenig Wasser

Roland Krieg (Text und Fotos)

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