EuGH-Urteil zu Genome Editing

Landwirtschaft

Aeikens: „Innovation ausgebremst“

CRISPR/Cas. Mittlerweile kennt jeder Verbraucher die Buchstabenfolge. Und obwohl die wenigsten die Funktionsweise beschreiben können, lehnen sie diese Technik ab. Es ist Gentechnik. Ist es Gentechnik?

CRISPR und Cas sind Sonde und Schere. Mit diesem kombinierten Werkzeug wehren sich Bakterien gegen Virenangriffe. Jennifer Doudna und Emanuelle Charpentier haben 2012 daraus ein molekularbiologisches Werkzeug gebastelt. Die „Sonde CRISPR“ sucht entlang der DNS-Doppelstrang nach den Basenpaaren, die für Wissenschaftler interessant sind. Als Sonde wird die Ribonukleinsäure (RNS) genutzt, die für die Umsetzung der Erbinformation in der DNS wichtig ist. Es ist eine künstliche RNS, die eben genau für diese eine Stelle vorgesehen ist. Die RNS bindet unter anderem auch an ein Protein. Mit dieser mitgeführten „Schere Cas“ wird die Doppelhelix DNS gezielt zerschnitten.

Während sich die DNS wieder repariert, können an dieser Stelle Basenpaare, die molekularen Bausteine der Erbinformation, fehlen oder neu eingesetzt werden. Im ersten Falle ist das Gen nicht mehr lesbar und gilt als blockiert. Wird ein neues Gen eingesetzt, wird es in die nächste Generation übernommen.

Grundsätzlich passiert das tagtäglich in der Natur. Da nennen die Wissenschaftler es Mutation. Im Gegensatz „zur alten Gentechnik“ können die Wissenschaftler den natürlichen Prozess kopieren, was in der Pflanze nicht mehr herauszufinden ist: Passierte die Genveränderung natürlich oder im Labor? Nachweis unmöglich!

EuGH

Das Urteil

Ob diese Form des Genom Editing (GE) der alten Gentechnik entspricht musste der Europäische Gerichtshof (EuGH) auf Klage eines französischen Bauernverbandes klären. Das Schlussplädoyer des Generalanwaltes im Januar hatte auf nationale Spielräume hingedeutet. Hinter CRISPR/Cas subsummieren sich neun verschiedene Verfahren, von denen Wissenschaftler selbst einige als Gentechnik, andere als nicht zugehörig definieren. Der EuGH in Luxemburg hat gleich Tabula Rasa gemacht und alle Verfahren der Richtlinie über Gentechnisch veränderte Organismen (GVO) EG 2001/18 zugeordnet. Ausnahmen wie Herbeiführung einer Mutagenese durch chemische Mittel oder ionisierender Strahlung bleiben bestehen.

Überrascht

Noch in der letzten Woche sprach sich der grüne Spitzenpolitiker Robert Habeck gegen ein pauschalisierendes „Nein“ gegenüber GE aus. Erlaubt sein sollten die Mutagenese-Verfahren, die einen natürlichen Prozess im Genom in einem Schnellverfahren simulieren, sagte er in einem Interview mit der FAZ. Die Agrarbranche wehrte sich ebenfalls gegen Pauschalisierungen:  „Die Anwendung neuer Techniken in der Pflanzen- und Tierzucht darf nicht politisch motiviert erschwert oder verhindert werden“, betonte Dr. Henning Ehlers, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), bereits vor zwei Tagen. „Wer Präzisionstechniken entgegen wissenschaftlicher Bewertungen pauschal als ,neue Gentechnik‘ bezeichnet und damit Restriktionen Vorschub leistet, handelt verantwortungslos“, so Ehlers weiter.

Kritiker wie Harald Ebner von Bündnis 90/Die Grünen zeigten sich im Vorfeld von der anderen Seite aus skeptisch: „Die Politik darf ihre Verantwortung nicht an die Richter abgeben. Wie auch immer das Urteil ausfällt: Bundesregierung und Behörden dürfen es nicht als Freibrief betrachten für eigenmächtige Entscheidungen darüber, was Gentechnik ist und was nicht. Doch die zuständige Agrarministerin Julia Klöckner redet am liebsten über ihre „Offenheit“ gegenüber neuer Gentechnik und schweigt sich über deren Regulierung aus.

Dass es sich bei technischen Eingriffen ins Erbgut wie beispielsweise mit der Genschere CRISPR um Gentechnik handelt, liege auf der Hand, so Ebner. Neue Studien haben bisher „übersehene“ ungewollte CRISPR-Nebenwirkungen entdeckt. Die oft bemühte Legende von den „im Endprodukt nicht nachweisbaren Veränderungen“ ist inzwischen widerlegt.

Dazwischen hat sich der Lebensmittelhandel längst positioniert. Er investiert viel Geld in Eigenmarken „ohne Gentechnik“. Die Großen haben in einem Brief an die EU-Kommission bereits die gleichen strengen Maßstäbe für die „neue“ wie für die „alte“ Gentechnik eingefordert. Die Vielfalt der Produke sei längst keine Nische mehr und für Verbraucher ein „neuer Qualitätsstandard“. Damit auch GE eindeutig reguliert werden könne, müsse das Gericht die Verfahren als Gentechnik einstufen.

Das hat die Politik schon vorher ohnmächtig gemacht, denn Politik lässt sich nicht gegen eine Mehrheit umsetzen. Und wer zuerst da ist, bestimmt die Musik. Das Bundesumweltministerium hat die gentechnik-kritische Testbiotech bereits für die neue „Fachstelle für Gentechnik und Umwelt“ (FGU) ausgewählt. Sie soll Evaluierungen von GE und Gen Drive vornehmen.

Ratlos

Demgegenüber hat sich das Bundeslandwirtschaftsministerium bislang einer Positionierung entzogen. Noch im November 2017 verwies die damalige Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth auf verschiedene Rechtsgutachten, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. „Die Bundesregierung wird sich zu gegebener Zeit zur Thematik positionieren“, sagte sie mit Blick auf das Urteil. Das ist jetzt da, aber die Zeit zur Positionierung scheint abgelaufen.

Dr. Hermann Onko Aeikens

Staatssekretär Dr. Hermann Aeikens beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) gab in Berlin eine erste auf der Pressemitteilung des EuGH beruhende Stellungnahme ab: „Wir werden uns natürlich die Zeit nehmen, das Urteil und die Begründung ausführlich zu prüfen. Für das BMEL steht immer der gesundheitliche Verbraucherschutz und der Umweltschutz im Vordergrund.“ Gerade vor dem Hinetrgrund der aktuellen Witterung, ist die Agrarbranche an Sorten interessiert, die besser als bisher mit Hitze und Trockenheit zurechtkommen. „Die neuen Techniken haben ein großes Innovationspotenzial“, sagte Aeikens. Sie stehe aber im Zielkonflikt zwischen den züchterischen Herausforderunen und restriktiver Handhabung, die durch das Urteil verstärkt werde. Mit diesemZielkonflikt „müssen sich Gesellschaft und Politik auseinander setzen“, so Aeikens. Ministerin Julia Klöckner werde das auch auf europäischer Ebene mit der Kommission und den anderen Mitgliedsstaaten umsetzen. „Das erwartet auch die Wissenschaft von uns!“. „Die Diskussion wird weitergehen.“

Die aktuell drei in der Zulassung befindlichen Produkte aus neuer Mutagenese müssen mit Blick auf den EuGH neu bewertet werden. „Das ist völlig klar“, sagte Aeikens.

Verbraucher vor Landwirte

Mit mehfachen Verweisen auf den Verbraucherschutz, rückte Aeikens den Agrarbereich des Ministeriums in den Hintergrund. „Wir sind auch für den Verbraucherschutz zuständig. Das ist ein wichtiger Punkt in unserer Beurteilung.“ Für den Verbraucher sei das Urteil dennoch ambivalent. Die Konsumenten lehnen zwar die grüne Gentechnik auf dem Teller ab, aber mittlerweile spielten die Kriterien Biodiversität sowie Umweltschutz mit weniger Pflanzenschutzmitteln und Dünger eine ebenso große Rolle. Mit Blick auf diesen Gesamtkomplex hinterfragte Aeikens den Richterspruch dann doch deutlich: „Ist das Urteil in der Tat ein Urteil für einen erhöhten Verbraucherschutz?“

Mit Blick auf die neue Stelle für das FGU im Bundesumweltministerium scheint das Landwirtschaftsministerium bereits ins Hintertreffen geraten zu sein, was Aeikens aber auf Anfrage von Herd-und-Hof.de verneinte. „Ich habe nicht den Eindruck, dass die Hausleitung in einem Hintertreffen liegt. Was die Aufgeschlossenheit von neuen Technologien angeht, ist das etwas, was Deutschland immer  ausgezeichnet hat. Es ist das Land der Ingenieure, der Wissenschaftler und das hat Deutschland nach vorne gebracht. Die Offenheit gegenüber neuen Technologien sollten wir uns für eine Wirtschaft in einem rohstoffarmen Land erhalten.“

Abgekoppelt?

Die Landwirtschaftsbranche ist geschockt. Bauernpräsident Joachim Rukwied fürchtet um den technologischen Anschluss Europas an den Rest der Welt. „Dieses Urteil verbaut uns die notwendigen Möglichkeiten, mit Hilfe der Pflanzenzüchtung, die Herausforderungen des Klimawandels zu meistern. Die derzeitige Dürre zeigt uns exemplarisch, dass wir zukünftig beispielsweise trockenheitstolerantere Sorten brauchen.“ Rukwied fordert eine Überprüfung des Gentechnikgesetzes auf seine Zukunftsfähigkeit.

Stephanie Franck, Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Pflanzenzüchter e.V. (BDP) kritisiert die Entscheidung des Gerichts. „Der BDP sieht in dem Urteil eine deutliche Abkehr von Innovationen und Fortschritt in der Landwirtschaft. Dies ist umso bedenklicher, als entsprechende Produkte in anderen Ländern bereits ohne Regulierungsauflagen in den Markt kommen. Mit Blick auf die lange Tradition und Erfahrung der Pflanzenzüchtung sind die Züchter überzeugt, dass Pflanzen, die mit Hilfe neuer Züchtungsmethoden entwickelt wurden, nicht den Regulierungsanforderungen des Gentechnikrechts unterliegen sollten, wenn sie auch auf natürliche Weise oder durch die Anwendung lang anerkannter klassischer Züchtungsmethoden hätten entstehen können.“

Qualitätsmerkmal?

Annemarie Volling von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) zeigte sich „erleichtert“. Die Landwirte haben sich, egal ob konventionell oder ökologisch, mit Vertrauen in ihre Produktion einen großen Wettbewerbsvorteil erobert. Genom editing ohne Zuweisung zur Gentechnik hätte das riskiert. Von neuen Züchtungen in Verbindung mit Patenten profitierten nur die „Gentechnik-Konzerne“. Harald Ebner argumeniert in die gleiche Richtung: „Das europäische Erfolgsmodell ist Gentechnikfreiheit und nicht Gentechnik.“

Klarheit?

Für die SPD-Europaabgeordnete Susanne Melior herrscht nach dem Urteil Klarheit für die Verbraucher: „Damit kann jeder selbst entscheiden, ob er oder sie ein solches Produkt kaufen möchte.“ Für Dr. Aeikens steht die Diskussion über eine Kennzeichnung jedoch erst am Anfang. In den USA sind Produkte aus der neuen Mutagenese bereits auf dem Markt. Ohne spezielle Marker sind Produkte aus einigen Verfahren wohl nicht aufzufinden. Felix Prinz zu Löwenstein vom Bund Ökologische Lebensmittel (BÖLW) fordert daher, das Unternehmen, die mit GE arbeiten, Referenzmaterial und Nachweisverfahren liefern müssen.

Am Mittwoch war Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker in den USA und dürfte sich einiges angehört haben. Die USA kritisieren seit Jahren die nicht wissenschaftlich begründete Ablehnung von GVO in Europa. Präsident Donald Trump hat Stoff für einen neuen Tweet bekommen.

Roland Krieg; Foto: roRo

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