Europa funktioniert

Landwirtschaft

IAMO Forum 2005

> Europa hat zur Zeit kein gutes Image. Das Scheitern des EU-Gipfels vom Freitag geht sogar noch über den politischen Dissens der gesellschaftlichen Union hinaus und berührt die ökonomische Ausstattung des Marktes. Marktordnungen wie auf dem Milch- oder Zuckermarkt, sorgen auch nicht mehr unbedingt für die Ordnung des Marktes. Britenrabatt und französische Lieblingssubventionen haben aus der unsichtbaren Hand des Staates eine deutliche Handschrift gemacht, die Agrarpolitiker auch als Politikversagen bezeichnen.
Ist jedoch bereits deswegen alles schlecht? Vor der EU-Erweiterung gab es Horrorszenarien, dass Milch nur noch aus Polen, Schweinefleisch aus dem Baltikum und Getreide aus Ungarn kommt. Ein halbes Jahr nach der Erweiterung konnte das Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) bereits Entwarnung geben (Herd-und-Hof.de vom 23.11.2004). Auch die Beitrittsländer profitieren: In ihrer Juni-Ausgabe „Europamarkt Ost“ beschreibt die Zentrale Markt- und Preisberichtstelle ZMP, dass das anziehende Wirtschaftswachstum in der Slowakei die Binnennachfrage ankurbelt. Die slowakische Agrar- und Ernährungswirtschaft erhält kräftige Impulse, die allerdings auch durch den üblichen Strukturwandel begleitet werden: Die Zahl der Agrargenossenschaften geht zurück, die Zahl der Familienbetriebe steigt und generell sinkt der Prozentsatz der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte. Jetzt lud das IAMO renommierte Wissenschaftler und Verbandsvertreter aus allen ehemals zentralverwalteten Ländern zum IAMO Forum 2005 nach Halle, um vom 16. bis 18. Juni über die Agrar- und Lebensmittelmärkte zu tagen.

Alptraum oder Erfolgsgeschichte?
Urlauber finden mittlerweile Metro, Kaufland, Kaiser´s oder Lidl in allen neuen Beitrittsländer als sichtbarstes Zeichen der Erweiterung. Prof. Jo Swinnen von der belgischen Universität Leuven konnte mit seinem Vortrag über die Ausbreitung der Supermärkte in Osteuropa beispielhaft Chancen und Risiken darstellen.
Noch vor China und Indien ist Russland das Hauptziel ausländischer Direktinvestitionen. Innerhalb von zwei bis vier Jahren verbreiten sich nach traditionellem Muster ausländische Supermärkte zuerst in den großen Städten, danach in den Nebenzentren und zuletzt in den kleineren Städten. In Tschechien lag der Anteil ausländischer Märkte 1993 noch bei unter 20 Prozent – heute sind es über 80 Prozent. Nach der zentralistischen Verwaltung zeigte sich in der Transformationsphase noch eine hochkonzentrierte Handelsstruktur, die nun in der Globalisierungsphase einem rasantem Wachstum moderner Verkaufsstrukturen weichen muss.
Die „Top Five“ des Lebensmittelhandels (u.a. Metro, Tesco, Rewe) teilen sich den britischen Markt zu 48 und den ungarischen Markt zu 40 Prozent auf. Das sei in etwa die Zielgröße, die in anderen Ländern auch noch erreicht werden wird, prognostizierte Prof. Swinnen. In Polen halten die großen Fünf zur Zeit einen Anteil von 18 Prozent.
Was Supermärkte auszeichnet, ist die Schlagkraft. Der Handel baut internationale Verteilungszentren auf und arbeitet mit Spezialisten zusammen. Große Mengen an preiswerten Gurken aus Ungarn beispielsweise werden auf diese Weise über die Verteilzentren europaweit angeboten. Das senkt die Transaktionskosten und führt zu einem Preisvorteil auf dem Markt. Für die kleinen Betriebe sind solche Handelswege ein Desaster, sagte Prof. Swinnen. Das Einsammeln der Ware von vielen kleinen Farmen leistet sich ein internationaler Wettbewerber nicht. Zudem haben die kleinen Betriebe keine Finanzausstattung, um sich diesen Strukturen anzupassen.
Das ist allerdings nur eine Seite der Medaille, wie Prof. Swinnen weiter ausführte. Da die Supermärkte eigene Qualitätsstandards haben, fallen viele kleine Betriebe sowieso aus der Produktion heraus. Viele Kleinbauern lieferten nämlich nur schlechtere Qualitäten, die auf dem Markt keine Chance hätten. Zudem fördern Supermärkte oft genug den Zusammenschluss von Betrieben zu Erzeugergemeinschaften, was es in dieser Form vormals nicht gegeben hat. Daher sei das Wachstum der ausländischen Supermärkte in Osteuropa auch mehr als Evolution zu sehen.
Doch sind die lokalen Geschäfte darauf vorbereitet? Beispielsweise reagieren die Schweizer Märkte Migros und Coop bereits vor der tatsächlichen Ankunft Aldis in der Schweiz mit Preissenkungen (Herd-und-Hof.de vom 30.11.2004). Das ist auch ein Zeichen für einen lebendigen Markt. Welche Chancen haben die lokalen Ketten in Osteuropa? Prof. Csaba Csaki von der Universität Budapest konterte im Pressegespräch mit dem ungarischen Supermarkt CBA, der zur Zeit den größten Marktanteil im Land hat. Die einheimischen Geschäfte kopieren die Strategien der westlichen Märkte und gehen mit Franchising Kooperationen ein. Spar und Kaiser´s verfolgen in Ungarn die Strategie, hohe Qualitäten mit höheren Preisen durchzusetzen, was vielen Regionalanbietern zugute kommt.
Bioprodukte sind ein wichtiges Marktsegment der regionalen Profilierung. Indifferent bleibt allerdings die Situation, weil sich Ungarn im Gegensatz zu anderen Beitrittsländern schon vor der Wende gut positionieren konnte.

Viel Arbeit und Wandel
Östlich der EU gibt es noch sehr viel Arbeit auf dem Weg zu funktionierenden Märkten. Dr. Dietrich Pradt vom Industrieverband Agrar berichtete über den Zusammenbruch des russischen Düngemittelmarktes 1989. Die Versorgung der einheimischen Betriebe wurde fast eingestellt, weil begonnen wurde, den produzierten Stickstoff zu exportieren. Mit 3,7 Millionen Tonnen Harnstoff und 3,6 Millionen Tonnen Ammonium-Nitrat ist Russland weltweit der größte Exporteur in diesen Segmenten. Weil die Händler den Stickstoff aber auch unter Herstellungspreis verkauft haben, gab es bereits einige Anti-Dumping-Verfahren durch die WTO.
In den Beitrittsländern ging der Düngemitteleinsatz generell zurück, weil das Geld lieber für den Erwerb von Land als für Produktionsmittel ausgegeben wurde. Infolge dessen sind in Osteuropa die Getreideerträge teilweise drastisch gesunken. Vor der Wende ernteten die Ungarn noch 60 dt Getreide von einem Hektar – zur Zeit sind es nur 30 dt. Für die Düngemittelindustrie prognostiziert Dr. Pradt ein zweistelliges Wachstum für Stickstoff und Phosphor.
In der Ukraine ist nach der Wende der einheimische Milchverbrauch um etwa ein Drittel gesunken. In dem Maße wie die großen Betriebe aus der Milchproduktion ausstiegen, begannen kleine Betriebe mit der Produktion, berichtete Julia Romanova vom Ukrainischen Verband der milchverarbeitenden Unternehmen. Rund 60 Prozent der produzierten Milch taucht gar nicht erst auf dem Markt auf. Was genau damit geschieht, ob sie direkt in der Nachbarschaft verkauft wird, müsse der Verband noch klären. Ferner gibt es in der Ukraine drei verschiedene Qualitätsstufen, doch ist die Milchproduktion noch so stark saisonal ausgeprägt, dass die mit ihnen verbundenen Preisdifferenzen im Winter verwischen.

IAMO
Das IAMO wurde 1994 in Halle gegründet und begleitet die Entwicklungsprozesse der Land- und Ernährungswirtschaft in Mittel- und Osteuropa. Die Forschungseinrichtung gehört zur Wissenschaftsgemeinschaft „Gottfried Wilhelm Leibniz“ und ist Diskussionsforum und Vermittler wissenschaftlicher Arbeit im Transformationsprozess. Das IAMO Forum wurde in diesem Jahr zum dritten Mal durchgeführt. Publikationen, Newsletter und Hintergründe finden Sie auf www.iamo.de

Roland Krieg

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