Europas Milchbäuerinnen vor dem Kanzleramt
Landwirtschaft
Wie viel Markt für die Milch?
Im Jahr 2009 waren die Milchbäuerinnen vor dem
Bundeskanzleramt. Mit einem Hungerstreik machten sie auf die bedrohliche
Situation der Milchbauern aufmerksam. Gleichzeitig ging der damalige Bauernpräsident
Gerd Sonnleiter einkaufen und zahlte demonstrativ mehr Geld für einen fairen
Preis an der Ladenkasse [1]. So ähnlich beides klingt, so unterschiedlich sind die
Welten. Seit 2009 hat sich eines verändert: In Deutschland haben 12.600
Milchbauern ihren Betrieb aufgegeben. Entweder sie sahen selbst keinen Erfolg oder
sie fanden keinen Nachfolger mehr, der das Wagnis Milchwirtschaft fortführen
will, erklärte Milchbäuerin Elisabeth Böse. Am Montag begannen die europäischen
Milchbäuerinnen des European Milk Board (EMB) den Anfang einer Demonstration für
einen Wechsel in der Milchpolitik, die noch heute den ganzen Tag anhält.
Diesmal sind die deutschen Milchbauern nicht allein. Die Belgier haben eine
große Fahne mitgebracht, die Franzosen viele kleine, die Polen kommen im „Corporate
Design“, Luxemburger, Italiener und Niederländer machen gemeinsam ihrem Ärger
Luft.
Das sich Milchbäuerinnen vor dem Bundeskanzleramt
versammeln ist kein Zufall. Deutschland gilt als Hauptbremser für eine faire
Milchpolitik, noch vor Dänemark, den Niederlanden, Großbritannien und Schweden.
Angst vor dem freien Fall
Wenn 2015 die Milchquote ausläuft, dann fürchten die
Milchbäuerinnen den freien Fall, das „Diktat des Kapitalismus“. Mit Blick auf
die Weltmärkte würde ein ruinöser Produktionswettbewerb die Preise nach unten
treiben und vor allem in den traditionellen Grünlandgebieten die Milchbauern
zum Aufgeben zwingen. „Wir wollen Zugriff auf unsere Angebotsmenge“, fordert
Elisabeth Böse. Schon die Ankündigung zwei Prozent der Milch weniger zu
produzieren, würde den Milchpreis auf 45 bis 50 Cent je Kilogramm bringen.
Damit hätten die Bauern endlich kostendeckende Preise, wie der Milch-Marker-Index
zur Grünen Woche dargelegt hat [2].
Freiwilliger Produktionsverzicht
Das Streitobjekt hat einen konkreten Namen: „Freiwilliger
Produktionsverzicht gegen Ausfallentschädigung“. Der Deutsche Bauernverband hat
zum Tag der Milch den Bundestagsabgeordneten einen „Milch-Gruß“ geschickt. Darin
fordert er Wettbewerbsfähigkeit auf regionalen und internationalen Märkten und
verwahrt sich gegen eine „Quote light“, die das Mengenmamagement darstellen
würde. Bayerns Landwirtschaftsminister Helmut Brunner sprach Ende der letzten
Woche von einer guten Stimmung am Milchmarkt. Käse stellt rund 20 Prozent der
bayerischen Agrarexporte und hat im letzten Jahr ein Plus von 2,7 Prozent hingelegt.
Insgesamt hat der Käse den bayerischen Molkereien einen Umsatz von 1,5
Milliarden eingebracht.
Tatsächlich setzt der Weltmarkt dem deutschen
Milchmarkt positive Impulse. Der Milchindustrie-Verband (MIV) weist aktuell
darauf hin, das in Ozeanien Saisontief für die Milchexporte ist und Nordafrika
und China Milchprodukte sehr stark nachfragen. Vor allem China sorgt durch hohe
Preise bei Kleinkindermilch für Kapriolen auf dem deutschen Markt [3]. Sorgen
bereite dem MIV lediglich der Inlandsmarkt, der wegen der Überalterung der kleiner
werdenden Bevölkerung keine Konsumsteigerung mehr erwarten lasse.
Dennoch haben so viele Milchbauern aufgegeben. Denn der Milchpreis reicht nicht:
Im Vergleich: Der MIV bewertet es positiv, das im Mai 2013
die Milchpreise um zwei Cent je Kilogramm auf 34,3 ct/kg angestiegen sind.
Auch wenn der Milch-Marker-Index in der Politik keinen
Niederschlag gefunden hat, so sind die Zahlen vergleichbar mit den Ergebnissen
des Bayerischen Milchmonitorings. Zudem hat der jüngste Situationsbericht des
Bauernverbandes die Milcherzeuger als die großen Verlierer des Jahres 2012 ausgemacht
[4].
Die Milchbauern des EMB beklagen, dass der Weltmarkt bei
Niedrigpreisen als Argument für sinkende Auszahlungspreise herhalten müsse,
aber bei einem Hoch, die Preise nicht bis zu den Bauern weitergereicht werden.
Markt mit Sicherheit
Bislang hatten die Milchbauern des EMB in
Agrarkommissar Dacian Ciolos einen Fürsprecher für einen „Freiwilligen
Produktionsverzicht“. Davon wendet er sich aber ab, was der EMB als Erfolg der
deutschen Lobbyarbeit interpretiert. Der EMB verwendet den Begriff im Zusammenhang
als Kriseninstrument, während die Gegner beim DBV in dem Instrument ein
quotenähnliches Dauermodell fürchten.
Eine Besonderheit in der Agrarwirtschaft ist das
gespaltene Verhältnis zwischen Markt und Sicherheit. Markt wollen alle,
fürchten ihn aber auch. Selbst der DBV fordert in seinem „Milch-Gruß“ ein
Sicherheitsnetz aus Krisenintervention, privater Lagerhaltung und steuerneutraler
Risikoausgleichsrücklage. Helmut Brunner kann sich einen Markt ohne „Regeln und
Leitplanken“ nicht vorstellen. „Nur so haben alle Beteiligten der Branche
Planungssicherheit für notwendige Investitionen.“ Auch die Maßnahmen des
Europaparlaments, das den freiwilligen Produktionsverzicht unterstützt, müssten
auf ihre Effizienz hin überprüft werden. Brunner: „Für mich ist grundsätzlich
kein konstruktiver Vorschlag tabu, wenn es um die Zukunft des Milchstandortes Bayern
geht.“
Lesestoff:
[1] Sonnleitner kauft Milch, Hungerstreik der Milchbäuerinnen
[3] Dreischichtbetrieb gegen Knappheit in den Milchregalen
[4] Stabile Unternehmensergebnisse in der Landwirtschaft
Roland Krieg; Fotos: roRo