Fällt das Dispensierrecht?

Landwirtschaft

Gutachten zum tierärztlichen Dispensierrecht

Im Januar 2012 hatte die damalige Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner das seit rund 60 Jahren geltende Dispensierrecht für Tierärzte hinterfragt. Vor dem Hintergrund des hohen Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung könnte das nicht mehr in die heutige Zeit passen. Dieser Gedanke lebt fort. Am Dienstag haben die Wirtschaftsprüfer der KPMG schließlich Dr. Maria Flachsbarth, Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, ein Gutachten übergeben, das diese Ausnahmeregel überprüft.

Arzt oder Apotheker?

Schon im 13. Jahrhundert hat das „Liber Augustalis“ Arzt und Apotheker getrennt. Der eine verschreibt Medikamente, der andere mischt sie zusammen und verkauft. Diese Form der Arbeitsteilung ist noch heute gültig und sichert den Apothekern das Apothekermonopol zu. Hufschmiede, Schäfer und Abdecker waren von dieser Trennung durch Nachtrag aber schon ausgenommen und erhielten das so genannte Dispensierrecht, Arzneien zu mischen und zu verkaufen. Diese Ausnahme wurde letztlich im 19. Jahrhundert fortgeführt und zuletzt in den 1950er Jahren erneuert. Daher müssen Anwender in der Humanmedizin Arzt oder Apotheker fragen, in der Tiermedizin reicht die Auskunft des Veterinärs.

Der Verkauf von Arzneimitteln durch Veterinäre ist aber an wesentliche Bestimmungen geknüpft: Der Veterinär muss vor dem Verkauf das Tier zwingend ärztlich untersucht haben und die Medikamentenabgabe an die Behandlung gebunden sein. Rechtliche Vorschriften für das Führen einer tierärztlichen Hausapotheke sind in der Arzneimittelverordnung (AMG) hinterlegt. Das soll sicher stellen, dass nur einwandfreie Arzneimittel eingesetzt werden und Medikamente für die behandelte Tierart und Krankheit zugelassen sind.

Gutachterauftrag

Vor allem die für Menschen gefährlichen Antibiotikaresistenzen haben das Dispensierrecht infrage gestellt. Bei der letzten Novelle des Arzneimittelgesetzes (AMG) hat der Bundesrat die Entschließung gefasst, das bestehende Dispensierrecht zu überprüfen. Das haben die KPMG zusammen mit Prof. Dr. Rolf Mansfeld, Professor für Bestandsbetreuung und Euterkunde an der Ludwig-Maximilians-Universität, getan.

Das Gutachten sei ergebnisoffen, erläuterte Dr. Flachsbarth und kündigte für den 04. Dezember eine Fachtagung an, zu der die Verteiler des Gutachtens, Bundestag, Bundesrat, Verbände und Veterinäre eingeladen sind, über den Fortbestand und mögliche Alternativen zu entscheiden.

Pro und Kontra

Zumindest hat das Gutachten Vor- und Nachteile des Dispensierrechtes zusammen gefasst, die in den letzten Jahren, einschließlich einer Petition von Tierärzten zur Aufrechterhaltung des Rechtes, hin und her wogten.

Vorteile sind in der ordnungsgemäßen Verwendung und schnellen Behandlung zu sehen. Außerdem würden nur die exakt für die Behandlung notwendigen Mengen abgegeben. Auf der anderen Seite verdient der Veterinär einen Teil seines Einkommens durch den Verkauf der Medikamente und kann seinen Preisaufschlag selbst bestimmen. Daher gibt es einen ökonomischen Anreiz des Medikamenteneinsatzes. Eine Rabattierung vergrößere zudem die eingesetzten Mengen. In dem Gutachten heißt es: „Im internationalen Vergleich gehört Deutschland zu den Ländern mit einem vergleichsweise hohen Antibiotika-Einsatz in der Nutztierhaltung.“

Das Gutachten spielt zwei Szenarien mit jeweils einer Variante durch: Die Beibehaltung des Dipensierrechtes mit einer Variante der Preisregulierung. Die Abschaffung des Dispensierrechtes mit einer Variante der Ausnahme für Antibiotika.

Im ersten Fall ändert sich nichts für die Bereiche Tiergesundheit, Risiko für die Menschen oder ökonomisch für die Veterinäre. Die Variante der Preisregulierung sei ein Eingriff in den Wettbewerb und besonders zu prüfen.

Die Studie geht bei einer Abschaffung des Dispensierrechtes davon aus, dass „ein Teil der Tierärzte in der Folge den Praxisbetrieb einstellt“. Auf Apotheken kämen zwar mehr Einnahmen aber auch mehr Dokumentationspflichten zu. Eine Preisänderung sei für die Medikamente nicht zu erwarten. Aber höhere Beschaffungskosten für die Bauern. Ausführlich werden die möglichen Auswirkungen auf die Tiergesundheit beschrieben, sobald der Landwirt das vom Tierarzt ausgestellte Rezept erst noch in der Apotheke holen müsste. In dieser Zeit könnten sich Erreger in der Herde ausbreiten. Die Landwirte würden Medikamentenreste durch Abgabe von Standardverpackungen behalten und unsachgemäß damit ihre Herde behandeln. Das Gutachten schließt durch Abschaffung des Dispensierrechtes eine weitere Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes ein, die aber nicht auch durch die bestehende AMG-Novelle bereits erzielt werden könnte. Die Variante, Antibiotika vom tierärztlichen Dispensierrecht auszunehmen, hätte nach dem Gutachten „wesentlich geringere Auswirkungen als die gesamtehafte Abschaffung“.

Um was geht es wirklich?

Das Gutachten überrascht nicht mit neuen Argumenten, die für oder gegen das Dispensierrecht sprechen. Es überrascht mehr mit den ausführlicheren negativen Auswirkungen bei Abschaffung des Dispensierrechtes. Und sichert den Veterinärmedizinern ein Verantwortungsmonopol zu, weil es den Bauern Experimente mit überzähligen Medikamenten unterstellt.

Das Dispensierrecht ist nur ein Teil der Debatte um Antibiotikaeinsatz, Stallsysteme und Tierwohl. Möglicherweise noch nicht einmal der entscheidende. Es geht vor allem um lieb gewonnene Rechte, von denen sich der Berufsstand nur schwer verabschieden will. Die Dänen haben das Dispensierrecht bereits in den 1990er Jahren abgeschafft. Jan Dahl, Chefveterinär im Fachverband Landwirtschaft und Ernährung hatte vor kurzem Herd-und-Hof.de bescheinigt, dass danach die Tiere nicht kränker geworden sind. Dänemark hat eine außerordentlich gut funktionierende Veredelungswirtschaft mit starkem Exportanteil. Wenn die Tierhaltung aus Deutschland abwandert, liegt es am wenigsten an der Abschaffung des Dispensierrechtes.

Die dänischen Bauern freuten sich vor allem über transparente Rechnungen. Zuvor übertünchte die verbilligte Abgabe von Medikamenten hohe Beratungshonorare. Jan Dahl bescheinigte aber auch, dass die Abschaffung des Dispensierrechtes gegen den Widerstand der Tierärzte erfolgte.

Das Dispensierrecht ist möglicherweise auch gar nicht Ursache oder Folge von hohen Medikamentationen in der Nutztierhaltung. Im Juli hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitssystem der Bundesregierung das Gutachten für eine bedarfsgerechte Versorgung im Bereich der Humanmedizin für ländliche Regionen vorgelegt. Dabei wird für die Humanmedizin ein „begrenztes Dispensierrecht für Hausärzte im Rahmen des vertragsärztlichen Notdienstes, insbesondere bei stark eingeschränkter Erreichbarkeit von Notdienst-Apotheken“ vorgeschlagen. So bietet das Recht eine Hilfsstellung an und bleibt kein Selbstzweck.

Am Ende müssen Veterinäre und Landwirte mit guter fachlicher Praxis und Verantwortung für die gesamte Lebensmittelkette mit oder ohne Dispensierrecht gesunde Nahrungsmittel erzeugen.

Lesestoff:

Das vollständige Gutachten finden Sie unter www.bmel.de/gutachten-dispensierrecht

Roland Krieg

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