Februar-Agrarrat in Brüssel

Landwirtschaft

Ist Brüssel bei nachhaltigen Lieferketten weiter als Berlin?

Das Schwerpunktthema des Agrarrates am Montag in Brüssel war die nachhaltige Entwicklung der internationalen Agrar- und Ernährungsstandards. In zwei Punkten war Brüssel der Berliner perspektive voraus: Die Kommission wird einen umfassenden Vorschlag im Juni vorlegen. Berlin wird dann frühestens die Tierhaltungsformen definiert haben. Von einem Vorschlag für ein umfangreiches und nachhaltiges Ernährungssystem ist Berlin noch weit entfernt. Zweitens: Berlin traut sich im Gegensatz zur Tierhaltung keinen Alleingang bei der Herkunftskennzeichnung für Lebensmittel zu. Da wird Brüssel der Taktgeber sein.

Ansonsten gibt es ganz viel Gemeinsames. Für die EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelwirtschaft Stella Kyriakides ist der Umbau der Land- und Ernährungswirtschaft alternativlos, denn die Kosten des Nichtstun werden die Kosten des Umbaus weit übersteigen. Die EU ist als größter Importeur und als größter Exporteur von Agrarprodukten ein wichtiger Baustein im globalen Handel. Die EU zertifiziert beispielsweise die Schlachthöfe, von denen Fleisch in die EU exportiert wird. Das soll künftig auch für die entwaldungsfreien Lieferketten möglich werden. EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski bremst ein wenig ab und warnt vor Produktionsverlagerung, wenn die Standards in der EU gegenüber den Drittländern zu hoch angesetzt werden.

Nachhaltigkeit in und außerhalb der EU

Das Thema hätten die Franzosen mit ihrem umfassenden Vorschlag für den Agrarrat nicht weiter fassen können. Es geht um nichts weniger als um die verstärkte politische Kohärenz zwischen dem Green Deal, der gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und der Handelspolitik. Damit hat das einstige Nischenthema der Zivilgesellschaft die höchste politische Ebene erreicht. Zudem hat die Diskussion im Agrarrat alle 27 Mitgliedsländer zusammengebracht, die im Wesentlichen Einigkeit ausstrahlten. Rückenwind für Berlin. Das Ende der Freiwilligkeit unternehmerischer Verantwortung durch Ordnungsrecht. Aber auch die Studie des Joint Research Centre (JRC) über sinkende Erträge und verlorengehende Marktanteile hat Wirkung gezeigt. Die meisten Ländervertreter wollen Produktionsverlagerungen durch höhere Standards vermeiden und sorgen sich m die Einkommen der Landwirte. Hier verlaufen die  die Diskussionen von Berlin und Brüssel im Gleichklang.

Auf zehn Seiten hat Frankreich im Rahmen seiner Präsidentschaft einen Vorschlag unterbreitet, der kaum noch Wünsche offen lässt. Forschung und Innovation, wie ausdrücklich auch Biotechnologie sollen die Landwirtschaft resilient machen und helfen, Ressourcen einzusparen. Im Rahmen der internationalen Regeln der Welthandelsorganisation WTO müssen die Verträge mit Drittstaaten Nachhaltigkeitsaspekte ausformuliert werden. Agrarminister Julien Denormandie nannte fünf Punkte, die wichtig sind. Im Rahmen der Pflanzengesundheit müssen Höchstrückstandswerte und auf zulässige Importtoleranzen überprüft werden. Das betrifft vor allem die Rückführung von Pflanzenschutzmitteln, die in der EU verboten, aber ins Ausland verkauft werden. So genannte „Spiegelklauseln“ sollen für bestimmte Importprodukte gelten, die nur mit gleichem EU-Standard eingeführt werden dürfen. Die Zertifizierung von Produkten soll mit einem Herkunftslabel für Verbraucher transparent werden und schließt den Handel mit ein. Die EU soll über ihre Mitgliedschaften in internationalen Gremien Vorreiter für die Globalsierung von nachhaltigen Zielen sein.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir nannte den französischen Vorschlag als „anspruchsvoll“, spreche aber die zentralen Fragen der Nachhaltigkeit an. „Wir brauchen Partner für die ambitionierten Ziele.“ Dazu zählt er auch den Kampf gegen die zunehmende Antibiotika-Resistenz, der nur global gewonnen werden kann. Özdemir unterstützt den österreichischen Vorschlag zur Herkunftskennzeichnung. „Wir werden mit Österreich Druck machen. Ich kenne nur Vorteile für die Landwirte, den Handel und die Verbraucher“, sagte er im Vorfeld der Sitzung.

Zwar sind noch länderspezifische Feinheiten zu beachten; so sagte der irische Landwirtschaftsminister Charlie McConalogue, unsere Landwirte brauchen den Export, während der belgische Amtskollege David Clarinval sich gegen die Sinnhaftigkeit einer verpflichtenden Kennzeichnung aussprach. Doch selbst die Visegrad-Staaten zeigten sich einsichtig. Zsolt Feldman aus Ungarn forderte höhere Standards für die EU und will Lebensmittel mit geringeren Standards nicht mehr hineinlassen.

Der JRC-Bericht ist nicht die Folgenabschätzung, die von der Kommission noch erarbeitet wird. Die kann die sorgenvollen Einwände noch beruhigen. Nahezu alle wiesen bei den Vorhaben auf den internationalen, regelbasierten Welthandel hin. Offenbar sind die Agrarpolitiker gespannt, was die Kommission diesen Juni vorlegen wird.

Entwaldungsfreie Lieferkette

Die entwaldungsfreie Lieferkette gehört zwar auch den Nachhaltigkeitszielen, wird aber federführend von der Umwelt-Kommission bearbeitet. Daher wurde sie am Montag separat behandelt. Die meisten Landwirtschaftsminister betreuen schließlich auch den Wald in ihrem Ressort. Die Kommission hat bereits Mitte November einen Vorschlag unterbreitet. Doch das Thema Wald ist bei vielen Ländern ein heikles, da, wie es Österreichs Waldministerin Elisabeth Köstinger betone, die EU habe bereits ein gutes Modell für eine nachhaltige Waldbewirtschaftung, die aber auf funktionierende nationale Systeme beruht. Die EU müsse bei ihrer Folgenabschätzung nach Ländern und Sektoren separat werten und die Waldbesitzer in den Ländern berücksichtigen.

Im Gegensatz zu den nachhaltigen Handelsstandards plädieren die EU-Mitglieder bei 420 Millionen Hektar globalen Waldverlust zwischen 1990 und 2020  – eine Fläche größer als die EU – auf den nationalen Ansatz. Dabei ist, wie beispielsweise Anna-Caren Sätherberg, Ministerin für den ländlichen Raum in Schweden, die Umwandlung von Wald in Ackerland innerhalb und außerhalb der EU das größte Problem ist.

Aus diesem Grund sollen die Lieferketten für Palmöl, Soja, Holz, Kakao, Kaffee und Rindfleisch entwaldungsfrei sind. Die Liste ist nach einem Index für die Entwaldung entstanden. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hält Naturkautschuk ebenfalls für reif, in die Liste aufgenommen zu werden. Dabei soll nach ihm nicht nur allein um den Wald gehen und plädiert für die Aufnahme von weiteren Ökosystemen wie Savannen, Moore und Feuchtgebiete.

Der irische Minister Charlie McConalogue warnt bei den neuen Sorgfaltspflichten vor hoher Bürokratie für Unternehmen und Länder.

Deutschlands nationale GAP-Strategie

Cem Özdemir reist mit digitalem Gepäck nach Brüssel. Während er beim Eintreffen mit den Journalisten sprach, luden die Techniker den nationalen Strategieplan nach Brüssel hoch. Damit hat Deutschland mit zwei Monaten Verspätung auch seine Pflicht erfüllt. Für Özdemir hat sich das Nacharbeiten gelohnt. Bund und Länder stehen bis 2027 rund 30 Milliarden Euro zur Verfügung. Jeder zweite davon wird ausschließlich für Agra-, Umwelt- und Klimamaßnahmen ausgegeben. Die Bundesregierung habe für den Ökolandbau jährlich 0,5 Milliarden Euro zusätzlich herausgeholt. Auf Nachfrage eines Journalisten sagte Özdemir, der Strategieplan sei an der EU-Vorgabe ausgerichtet und er erwarte kein Nachbessern.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) sieht das anders und erwartet einen „blauen Brief“ aus Brüssel. Gemeinsam mit dem Naturschutzbund Deutschland (NABU) würden weder die Ziele des Green Deals noch die Vereinbarungen aus dem Koalitionsplan erfüllt. Die beiden Verbände rechnen damit, dass die EU-Kommission Nachbesserungen einfordern wird: „Gleich an mehreren Stellen liefert der nationale Strategieplan in der bisherigen Fassung Belege dafür, dass eine umfassende Transformation der Agrarfördermittel von der Vorgängerregierung nicht gewollt war. Um nur zwei Beispiele zu nennen: Umwelt- und Klimaleistungen der Agrarbetriebe müssen viel stärker honoriert werden, als aktuell geplant ist. Es braucht zudem verstärkte Investitionen in den Ausbau des Ökolandbaus. Der Green Deal der EU verlangt bis zum Jahr 2030 einen Flächenanteil von 25 Prozent, der Ampel-Koalitionsvertrag sogar 30 Prozent.“ [1]

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) hat mit spitzem Bleistift gerechnet. „Viele bäuerlichen Betriebe verlieren überdurchschnittlich viel Prämie“, sagt AbL-Bundesvorsitzender Marin Schulz. „Ein Milchviehbetrieb mit Weidehaltung auf 100 Hektar Grünland verlieht voraussichtlich rund 30 Prozent seiner Direktzahlungen. Viele flächenstarke Betriebe verliehen hingegen kaum, obwohl diese nachweislich über deutlich höhere Einkommen verfügen.“ Der Minister dürfe nicht bis zur Halbzeitbewertung der GAP warten, sondern vorher aktiv werden. Die AbL fordert, die Prämienhöhe der Öko-Regeln nach Betriebsgröße zu staffeln.

Phytosanitäre Schutzmaßnahmen

Gesundheitskommissarin hat die am 10. Dezember 2021 vorgelegten Berichte zu Pflanzenschutzmaßnahmen vorgelegt. Es geht um den Schutz vor Schädlingen, die mit Warenimporten auch über Interneteinkäufe in die EU gelangen können. Der Pflanzenpass soll auf alle Pflanzen ausgeweitet werden. Auf technischer Ebene sind die Vorlagen im laufenden Halbjahr in Bearbeitung. Die Agrarminister wollen auch vor einer zweijährigen Erfahrungsbilanz die SPS-Regularien nicht ändern. So geht es technisch beispielsweise um die Art, wie der Pflanzenpass an die Warensendung befestigt werden soll. Für eine elektronische Variante liegt noch kein harmonisierter Ansatz vor. Vor allem kleine Händler könnten an der Teilnahme scheitern.

Auskömmliches Einkommen schaffen

Der Initiative Österreichs und Deutschlands für faire Einkommen der Bauern haben sich mehrere EU-Länder angeschlossen. Über die Instrumente herrscht seltene Einigkeit: Regeln gegen unfairen Handel wurden erlassen, kurze Wertschöpfungsketten und Erhöhung der Wertschätzung sollen in den nationalen Strategieplänen ausgenutzt werden, es gibt Gemeinwohlleistungen und Vorteile zeichnen sich für Landwirte, Handel und Verbraucher ab.

Neu ist das Drängen auf eine verpflichtende Herkunftskennzeichnung, die Landwirten eine höhere Marge bescheren soll. Nur – ob einzelne Punkte oder die Summe der Instrumente Erfolg haben, bleibt offen. In seinem Abschlusskommentar unterstrich EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski, die EU habe bereits mit der neuen GAP „hart“ an dem grundlegenden Thema gearbeitet. Die Position der Landwirte in der Wertschöpfungskette wurde gestärkt, die Eco-Schemes sollen die Gemeinwohlleistung absichern, es gibt ein Umverteilungspaket, Junglandwirtepaket und alle mit entsprechenden Fonds versorgt. Nur ob das hilft, wusste niemand zu versprechen.

Die Marktsituation

Der Marktbericht der EU-Kommission sieht alles andere als eine Entspannung voraus. Erdgas, Erdöl, Düngemittel bleiben auf hohem Niveau. Selbst für den Schweinemarkt gibt es trotz gelegentlicher Preiserhöhung keine allgemeine Entspannung. Der saisonale Anstieg bleibt noch immer 13 bis 14 Prozent unter Vorjahresniveau. Hinzu sind neuere Probleme für den Frischesektor gekommen, nachdem Belarus europäisches Obst und Gemüse nicht mehr einkauft.

Polen, Ungarn und Lettland haben erneut um Hilfen für den Schweinesektor gefragt. In Polen haben mittlerweile gut 25 Prozent der kleinen und mittleren Schweinehalter aufgegeben. Die damit einhergehende weitere Konzentration der Schweinehaltung auf wenige Großfarmen unterminiere die Ziele des Green Deals.  

Elf EU-Länder haben in einem Bericht die Sorge geäußert, dass die europäischen Werbekampagnen für Agrarprodukte zwar ihre positiven Effekte haben, aber durch eine neue Richtlinie, die Werbegelder der EU nur noch für gesunde und nachhaltige Produkte verausgabt werden sollen. So könnte Die Absatzförderung für Fleisch und Wein bald nicht mehr möglich sein. Schon das Arbeitsprogramm 2021 habe gezeigt, dass die Hälfte der Gelder für den Biolandbau, Nachhaltigkeit und Frischware wie Obst und Gemüse ausgegeben werden. Die Länder fordern eine Gleichbehandlung für alle Agrarprodukte.

Sonderthema Freilandeier

Auch in diesem Jahr hat sich die Geflügelpest in Europa wieder stark ausgebreitet und die Betriebe werden aufgefordert, ihr Geflügel aufzustallen. Es gilt eine Frist von 16 Wochen, innerhalb der die dann gelegten Eier noch als Freilandware vermarktet werden dürfen. Die niederländische Delegation verwies auf die Freiwilligkeit der Händler, die Frist im Jahr 2021 zu verlängern, hinterfragt aber, ob dies angesichts der jährlich aufredenden Geflügelpest, ob die Händler diese Vereinbarung auch jährlich weitertragen. Der Rat solle entscheiden, dass die 16-Wochen-Frist nur dann gelten dürfe, wenn ein Ende der Aufstallung auch in Sicht sei.

Die Kommission wird das zwar prüfen, sagte Wojciechowski am Abend auf der Pressekonferenz. Aber es sei ein Thema für die EU-Kommission für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Der Agrarkommissar sagte, es geht aus agrarischer Sicht um die Glaubwürdigkeit der Freilandhaltung.

Das Thema Geflügelpest könne nach Julien Denormandie so nicht weiter gehen. Frankreich und die Niederlande arbeiten deshalb an einem weiteren Baustein: Impfstoffe. Ein Versuch in einer französischen Experimentierregion stehe vor dem Abschluss, der ausgewertet den europäischen Amtstierärzten vorgestellt werden muss.

Trockenheit in Portugal und Spanien

Die beiden iberischen Länder leiden seit November 2021 unter einer ansteigenden Trockenheit. In Portugal kommt noch eine Hitzeperiode hinzu, die über den Normalwerten liegt. Im Januar haben Hitze und Trockenheit rund 45 Prozent der portugiesischen Landesfläche betroffen. Der Wetterdienst sieht auch für Februar und März nur unterdurchschnittlichen Niederschlag voraus. Die Grundwasservorräte in beiden Ländern reichen nicht für eine gute Entwicklung der Winterfrüchte aus. Futtermittel werden knapp. Daher haben beide Länder den Antrag gestellt, die Agrarzahlungen für die Betriebe vorzuziehen, um den Landwirten Liquidität in die Hand zu geben. Für das Vieh sollen Brachflächen zur Beweidung frei gegeben werden dürfen. Beide Länder wollen Fonds für eine schnelle Hilfe der Landwirte einrichten, die von der EU notifiziert werden müssen. Weitere Gelder sind für Ausgleichsmaßnahmen vorgesehen.

Markthilfen?

Wojciechowski ist bei den Markthilfen für den schweinesektor weiter zögerlich und spricht weiter von schwachen Signalen über steigende Ferkelpreise. Die private Lagerhaltung sei bei den EU-Mitgliedsländern kein Thema gewesen. Es wird sich aber eine Expertengruppe über Lösungen auseinandersetzen, die langfristig den Sektor stabilisieren sollen.

Am 02. März will die Kommission ein Maßnahmenpapier zu den steigenden Energie- und vor allem Düngerpreisen vorlegen. Das soll eine Art Instrumentenkasten sein, den die Länder auch national anwenden können.

In dem Zusammenhang wurde auch über den Konflikt zwischen der Ukraine und Russland gesprochen. Es sei aber nicht um eine Lebensmittelversorgung gegangen, obwohl die Ukraine ein wichtiger Lieferant von Agrarprodukten ist, sondern es wurde darüber diskutiert, dass die Energie- und Rohstoffpreise für die landwirtschaftlichen Betriebe weiter anziehen könnten.

Immerhin war die Note erfolgreich, die sich gegen eine Neuformulierung der Absatzförderung wandte. Bis auf ein Mitgliedsland sprachen sich alle anderen für die Fortsetzung der Absatzförderung für alle Produkte aus, sagte Denormandie. Wojciechowski ergänzte, dass die Kommission die Sorgen ernsthaft in die interne Diskussion mitnehme. Sowohl Fleisch als auch Wein könnten mit Nachhaltigkeitsstandards und einer Ökoproduktion neuen Kunden ansprechen.

Lesestoff:

[1] www.bmel.de/gap-strategieplan

Roland Krieg; Foto: roRo. Cem Özdemir bei der Ankunft in Brüssel

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