Ferkelkastration: Zu spät aufgewacht

Landwirtschaft

Veredlungstag und Bundesrat

Umweltministerin Ulrike Höfken aus Rheinland-Pfalz brachte am 21. September die Entscheidung des Bundesrates zum Tierschutzgesetz am 01.01.2019 auf den Punkt: „Eine Verlängerung der Anwendung der betäubungslosen Ferkelkastration findet hier im Hause keine Mehrheit, da sie einen klaren Verstoß gegen den Tierschutz darstellt.“ Verschiedene Anträge auf Aussetzung des Gesetzes wurden den Empfehlungen des Agrarausschusses im Bundesrat gemäß abgelehnt. Höfken kritisierte in ihrer Rede vor der Abstimmung die Bundesregierung, den Sauenhaltern keine ausreichende Unterstützung gegeben zu haben.

Die Schweinefleischbranche selbst hat in den letzten Jahren jedoch tief geschlafen und musste den Veredlungstag des Deutschen Bauernverbandes am 20. September im fränkischen Röthenbach an der Pegnitz als „Alarmruf“ gestalten. Die Bauern stellten Demonstrationsplakate vor und nicht wenige reisten für den Freitag für eine Gesetzesverschiebung nach Berlin.

Bayerns Bauernpräsident Walter Heidl blickte in Röthenbach noch einmal auf die Geschichte des Gesetzes zurück. Die Diskussionen um das Ende der betäubungslosen Kastration gehen bis vor das Jahr 2012 zurück. Sie basieren auf den Beschluss der Argrarministerkonferenz 2011 in Suhl, die „chirurgische Kastration von Ferkeln ohne Schmerzausschaltung“  möglichst schnell zu verbieten. Die Länder NRW, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gaben zu Protokoll, dass die Betäubung der Ferkel durch die Landwirte selbst zuzulassen sei. Die Lokalanästhesie war damals noch gar nicht vorgesehen, weil sie als unwirksam galt, sagte Heidl. Die Schlachtindustrie favorisierte die Ebermast, der heute nicht mehr als 15 Prozent Marktanteil zugestanden werden. Ein Export von Improvac-Ferkeln, der Immunokastration, ist nahezu unmöglich. Jetzt läuft die Übergangszeit zum 01.01.2019 ab viele Betriebe wissen immer noch nicht, was sie tun sollen, bedauert Heidl. Neben Bayern habe nur Baden-Württemberg an der Möglichkeit des 4. Weges der Lokalanästhesie festgehalten.

Das die Perspektivlosigkeit kurz vor Gesetzesbeginn in einer Verschiebungsarie endet, kritisierte Veredlungspräsident Johannes Röring: „Das ist ein schlechtes Zeugnis für die Politik, dass sie das nicht anders hinbekommt.“ „Die große Hürde stellt der Begriff Schmerzausschaltung im Tierschutzgesetz dar“, ergänzt Staatssekretär beim Bundeslandwirtschaftsministerium Dr. Hermann Onko Aeikens. „Diese Rechtsgrundlage muss beachtet werden.“ Röring: „Der Begriff muss anders interpretiert oder gestrichen werden.“ Der Bundestagsabgeordnete steht mit der Tierschutzbeauftragten der SPD diesbezüglich in Gesprächen „für eine gemeinsame Lösung.“

Aktuell argumentiert der Bayerische Bauernverband für die Lokalanästhesie mit dem „Zahnarztvergleich“. Der nutzt Lidocain, bevor er den Bohrer ansetzt. Das soll auch für die Ferkel gelten, bevor das Skalpell schneidet. Heidl kritisiert die Bundesregierung, die „fälschlicherweise“ das Stresshormon Cortisol als Schmerzindikator als Grundlage für die Schmerzfreiheit ausweist. Die vorliegenden Studien reichen Dr. Aeikens aber noch nicht aus. In der ersten Jahreshälfte 2021 sollen weitere Ergebnisse für die Lokalanästhesie vorliegen. Auch den Vorwurf gegen die Immunokastration lässt Aeikens nicht gelten: „Für die Improvac-Ferkel gibt es keinen Markt, weil diese Alternative aus der Branche selbst heraus schlecht geredet wurde.“

Was also ist vor einer Woche im Bundesrat passiert? Das Gesetz wurde nicht verschoben. Die Entschließung des Landes Rheinland-Pfalz wurde angenommen. Danach soll die Bundesregierung prüfen, ob andere als Veterinäre eine Inhalationsnarkose (Vollnarkose mit für Schweine umgewidmeten Isofluran als Alternative zur Injektionsnarkose) durchführen dürfen. Dazu braucht es eine Ausnahmegenehmigung nach § 6 Absatz 6 des Tierschutzgesetzes. Des Weiteren sollen Mittel für die Lokalanästhesie zur Zulassung geprüft werden – inklusive Sachkundeprüfung für die Landwirte. Der angenommene Entschließungsantrag von Mecklenburg-Vorpommern fordert „ausreichende Haushaltsmittel für die erforderlichen wissenschaftlichen Gutachten“.

Auf dem Veredlungstag wurde keine der vier Kastrationswege ausgeschlossen. Der Bundestag hat es jetzt in der Hand, einen entsprechenden Verordnungsentwurf vorzulegen.

Die Konsumenten werden von den Diskussionen nichts mitbekommen: „Die Kühlschränke werden nicht leer“, sagte Röring. „Schweinefleisch gibt es ständig irgendwo auf der Welt. Doch wir wollen es von hier!“

Damit das auch so bleibt, hat der QS-Ausschuss in der vergangenen Woche einen weitreichenden Entschluss gefasst. Das Gesetz am 01. Januar 2019 wird keine Alternative aus anderen Ländern ausschließen. Dänemark und die Niederlande exportieren pro Jahr rund elf Millionen Ferkel nach Deutschland. Aus Kopenhagen ist sogar eine Fachdelegation nach Oberfranken gereist. Rukwied und Röring konnten die Experten beruhigen. Die in Dänemark über Lokalanästhesie kastrierten Ferkel dürfen weiterhin nach Deutschland verkauft werden, auch wenn das deutsche Gesetz diese Methode explizit nicht erwähnt. Auf Nachfrage von der vfz Vieh und Fleisch Handelszeitung bei Johannes Röring gilt das ab Januar auch bei mit Kohlendioxid vollnarkotisierten Ferkeln aus den Niederlanden, die nach der Kastration ebenfalls über QS in die deutschen Mastställe und auf die Teller gelangen.

Roland Krieg

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