Fische in Seenot

Landwirtschaft

Die komplexe Bedrohung der Fischbestände

Die Tiefkühlkost begann ihre Geschichte mit der Konservierung von Fischen. Im aktuellen 10-Jahresvergleich des Deutschen Tiefkühlinstituts liegen die Meeresbewohner trotz Wachstum auf 374.600 Tonnen Handelsware mittlerweile nur noch auf Platz vier. Omega-3-Fettsäuren der Seefische haben Lebertran als Fitmacher auf dem Speiseplan verdrängt – aber das jährliche Dezember-Ritual der Festsetzung der Fangquoten verdirbt den Verbrauchern den Appetit auf Fisch.

Fischerei und Fischbestände
„Die Nahrungsressource Fisch ist in vielen Regionen der Erde stark gefährdet und der Zustand der Fischbestände besorgniserregend. Illegale Fischerei beutet bis zu 30 Prozent der weltweiten Fischbestände aus. In der EU sind die Fangmengen bei einer Reihe von Fischbeständen in den letzten Jahren erheblich zurückgegangen. Der Kabeljaubestand in der Nordsee ist beispielsweise seit 1991 von 299.000 Tonnen auf 128.000 Tonnen im Jahr 2005 zurückgegangen.“ Mit diesen Sätzen nahm das Bundeslandwirtschaftsministerium im November 2006 die Fischerei als neuen Schwerpunkt der deutschen Nachhaltigkeitsaktivitäten auf. Staatssekretär Gerd Lindemann: „Wir müssen gemeinsam auf allen Ebenen handeln“.
So formulierte Lindemann kurz vor Weihnachten die Einigung der EU auf neue Fangquoten für 2007 bereits als Erfolg: „Die Kürzung der erlaubten Fangtage beim Kabeljau in der Nordsee beträgt je nach eingesetztem Fanggerät bis zu 10 Prozent und steht somit in angemessenem Verhältnis zu der vorgesehenen Quotensenkung in Höhe von 14 %.“ Wer mit kleinmaschigen Netzen unterwegs ist, der darf länger fangen. Ursprünglich plante die EU die Fangquoten um 20 Prozent zu kürzen, sofern sie im Vorjahr nicht ausgeschöpft worden sind. Um jedoch damit den Fischern nicht einen Anreiz zu geben, die Quote auch wirklich immer auszuschöpfen, wurde dieser Vorschlag für 2007 nicht umgesetzt.

Wie ernst ist die Lage?
2007 wird nicht der letzte Kabeljau aus den Gewässern gezogen und nachhaltig ist die EU-Fischereipolitik nur zögerlich. Um der Verwirrung bei den Verbrauchen entgegen zu treten, ob Fisch noch auf den Teller darf, stellte die Bundesforschungsanstalt für Fischerei (BfA) einige Fakten zusammen:
Es gibt in den europäischen Seegebieten noch mindestens 300.000 Tonnen Kabeljau, 250.000 Tonnen Schollen und 60.000 Tonnen Seezungen. „Weder Kabeljau, Scholle noch Seezunge sind deshalb vom Aussterben bedroht“. Gleichzeitig stellt die Behörde aber auch fest, dass diese Fischereien nicht nachhaltig sind. Gleiche oder höhere Fangerträge seien in Zukunft nur möglich, wenn diese Fischerei um 50 Prozent reduziert würde. Immerhin bescheinigt das BfA dem Europäischen Fischereirat: Der „beschlossene Kompromiss von 7 bis 10 Prozent Reduktion in den speziellen Fischereien ist seit 2005 der zweite zögerliche Schritt in die richtige Richtung mit dem Ziel der nachhaltigen Nutzung, wie sie von der UNO vorgegeben ist.“ Das BfA hatte jüngst eine Forschungsreise zu den Kabeljaubeständen Grönlands unternommen.
Zunächst müssen die Fischer aber in ihrem Alltag mit Papier nach den Fischen angeln. Neben Fangverbotszonen hatte die EU bereits vor zwei Jahren spezielle Fangerlaubnisse eingeführt. Das führte dazu, dass beispielsweise ein Jungfischer auf Rügen, der sich selbständig machen wollte, trotz genehmigter Fangkapazitäten und ausreichender individueller Quote keine Dorsche fangen durfte. Das habe sich mittlerweile geändert, teilte das Landwirtschaftministerium aus Mecklenburg-Vorpommern mit, denn jetzt gibt es eine Regelung, die es einem Mitgliedsstaat erlaubt, Dorschfanglizenzen zu erteilen, wenn mindestens gleichwertige Kapazitäten vom Fischfang abgezogen werden.

Rippenqualle und warmes Wasser
Fangquoten eignen sich durch die unterschiedliche Interessenslage zwischen Umweltverbände und Fischereiindustrie offenbar besonders gut, mit griffigen Argumenten auf die Populationssituation der Fische aufmerksam zu machen. Viel schleichender und bedrohlicher sind aber Beobachtungen, die nicht per Gesetz und Quote zu regeln sind.

Mnemiopsis leidyi
So berichten seit Ende November 2006 Meeresforscher, Naturbeobachter und Taucher aus der westlichen Ostsee über eine fortschreitende Invasion der Rippenqualle Mnemiopsis leidyi, die vermutlich durch Ballastwasser der Schifffahrt eingeschleppt wurde. Die Aufmerksamkeit ist für das Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Warnemünde (IOW) deshalb so groß, weil die Rippenqualle ursprünglich aus den Brackwasserbereichen der nord- und südamerikanischen Ostküste stammt und seit den 1980er Jahren bereits in das Schwarze Meer gelang. Dort hat das Tier die pelagischen Fischbestände bereits drastisch reduziert. Pelagisch beschreibt dabei die Gesamtheit der im freien Wasser lebenden Organismen.
Natürlich bietet die Ostsee nicht die optimalen Wassertemperaturen von 25 °C für die Vermehrung und das Wachstum der Rippenqualle. Die Ostsee-Fischbrut wächst im Frühjahr heran. Da ist es für die Qualle noch zu kalt. Bis zum Juli sind die Fischlarven dann bereits so groß, dass sie als Beute nicht mehr in Betracht kommen. Auch traf der amerikanische Einwanderer im Schwarzen Meer auf durch Überfischung geschwächte Fischbestände, die den Kollaps der Populationen beschleunigten. In der Ostsee jedoch sind Heringe und Sprotte als möglicher Räuber der Rippenqualle noch nicht überfischt.
Eine Entwarnung möchte das Institut jedoch nicht geben, denn die Qualle zeichnet sich durch eine große Widerstandsfähigkeit, hohes Regenerationsvermögen und schnelle Reproduktion aus. Daher werden Rippenqualle vor Warnemünde im Herbst 2006die Meeresforscher den Rügen-Heringslarven-Survey nutzen, um zu beobachten, wie Mnemiopsis leidyi diesen Winter übersteht. Im Rahmen dieser Überwachung fahren die Wissenschaftler zwischen März und Juni, der Laichzeit des Herings, wöchentlich in den Greifswalder Bodden, der das wichtigste Laichgebiet des Herings ist. Nirgends sonst finden sich im Jahresverlauf höhere Dichten von Fischlarven. Durch Berechnungen von Sterblichkeiten einzelner Larvenklassen lassen sich so Auswirkungen von Nahrungskonkurrenz, wie durch die Rippenqualle „kleinräumig und mit hoher zeitlicher Auflösung bestimmen“.
Spätestens im Frühsommer 2007 erwarten die Meeresforscher die Gefährlichkeit des Neulings einschätzen zu können.

Sauerstoffarmut
Am vergangenen Freitag erschien im Wissenschaftsmagazin Science eine Untersuchung des Alfred-Wegner-Instituts für Polar- und Meeresforschung, die Auswirkungen der Klimaverschiebungen auf Fischbestände aufzeigt. Bislang gab es nur statistische Daten über diese Zusammenhänge – Die Meeresforscher aus Bremerhaven aber konnten jetzt erstmals an der Aalmutter Zoarces viviparus die Beziehung der saisonalen Entwicklung der Wassertemperatur und der Bestandsdichte der Tiere wissenschaftlich nachweisen. Der entscheidende Faktor dabei ist die wärmebedingte Sauerstoffunterversorgung der Fische.
Aalmutter Zoarces viviparusMeerestiere haben sich, so das Alfred-Wegner-Institut, im Laufe der Evolution auf die Bedingungen in ihrem Lebensraum spezialisiert und tolerieren oft nur sehr bedingt Veränderungen. Dabei zeigen Fische aus der Nordsee, die jahreszeitlich größeren Temperaturschwankungen ausgesetzt sind, eine höhere Wärmetoleranz als beispielsweise Fische aus Polarregionen, die bei konstant tiefen Temperaturen leben. Nur innerhalb ihres begrenzten Toleranzfensters zeigen die Tiere ein Maximum an Wachstum und Fruchtbarkeit. Nur hier funktionieren Aufnahme und Verteilung des Sauerstoffs über Atmung und Blutkreislauf optimal. „Bei steigender Temperatur verschlechtert sich zunächst die Sauerstoffversorgung des Organismus, bevor andere biochemische Stressmechanismen reagieren. Schließlich bricht die Sauerstoffversorgung zusammen, der Organismus ist dann nur noch befristet lebensfähig.“ Mit diesen Erkenntnissen hat das Alfred-Wegner-Institut einen wichtigen Schritt in der Erklärung klimatisch bedingter Veränderungen in den Ökosystemen der Meere hervorgebracht.

Die Politik ist gefordert
Im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft wird das Bundeslandwirtschaftsministerium im März 2007 in Hamburg zum Thema „Klimawandel und Fischerei“ eine EU-Konferenz durchführen, „um die Auswirkungen des Klimawandels auf die globalen Fischbestände zu diskutieren“.

Lesestoff:
Die Veröffentlichung des Alfred-Wegner-Instituts erschien am 05. Januar 2007 in Science: „Climate change affects marine fishes through the oxygen limitation of thermol tolerance”. www.awi.de
Die Rippenquallenforscher erreichen sie unter www.io-warnemünde.de
Die Empfehlungen und aktuellen Bestandsdaten der Fischpopulationen des International Council for the Exploration of the Sea können Sie unter www.ices.dk abrufen.

VLE

Fotos: Rippenqualle: Fund vor Warnemünde im Herbst 2006 / Postel, IOW; Aalmutter: Alfred-Wegner-Institut

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