Fleischatlas 2014

Landwirtschaft

Der Fleischhunger treibt die Agrarpolitik

Alle Statistiken des neuen Fleischatlas 2014 stammen aus öffentlichen Quellen und sind daher alles andere als investigativ. Barbara Unmüßig vom Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung weist mit diesen Worten auf die Seriosität des neuen Werkes hin, das zusammen mit den weiteren Herausgebern BUND und Le Monde diplomatique in Berlin vorgestellt wurde. „Was Tiere essen, essen auch wir“, erklärte Unmüßig und sieht in der globalen Fleischproduktion das Spiegelbild der gesellschaftlichen Entwicklung. In Deutschland und Europa wird über den Fleischkonsum seit Jahren gestritten. Was das rechte Maß ist, wollte Unmüßig nicht mit Zahlen beziffern. Reinhild Benning, Agrarreferentin des BUND, verweist aber auf die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE), die erst in dieser Woche den vernünftigen Fleischverzehr mit 300 bis 600 Gramm pro Woche angegeben hat [1].

Globale Angelegenheit

Das Thema Fleisch ist mittlerweile eine globale Angelegenheit geworden. Es sind nicht nur die internationalen Konzerne und globalen Lieferketten: das Thema Fleisch wird durch den steigenden Bedarf in den Schwellenländern immer drängender, weswegen sich auch die Leibniz-Gesellschaft Anfang Dezember Gedanken über die Proteinversorgung der Welt gemacht hat [2].
Die Forcierung der Produktionsstrukturen in der Wertschöpfungskette Fleisch ist politisch gewollt, weswegen die Entscheider auch die Möglichkeit zur Trendumkehr haben, so Unmüßig. In Deutschland werden pro Jahr 700 Millionen Tiere geschlachtet: „Ich nenne es Dumpingschlachten“, erklärte Unmüßig und legt viel Wert darauf, dass es nicht um ein Fleischverbot gehe. Der Sonntagsbraten soll erhalten bleiben. Aber zu viel, zu billig in nicht nachhaltigen Strukturen – da sehen die Autoren eine Möglichkeit des Wandels. Deshalb gibt es den Fleischatlas 2014 auch in englischer Sprache und kann in 30 Ländern über die Böll-Dependancen verteilt werden. Die Menschen in den Entwicklungsländern nehmen sich die westliche Diät zum Vorbild und sollen mit Hilfe des Atlas aufgeklärt werden. Die Fokussierung auf die Fleischproduktion beansprucht Ackerflächen, die den Menschen für ihre eigene Ernährung nicht mehr zur Verfügung stehen.

Nachhaltige Fleischproduktion

Wiederkäuer stehen mittlerweile mit ihrem Futter in Konkurrenz zur menschlichen Ernährung. Die Wiederkäuer sollten wieder auf die Weide zurück, was eine nachhaltige Fleischproduktion ermöglicht, erläuterte Reinhild Benning. Ein Kapitel widmet sich den Pastoralisten, die weltweit verschiedene Wiederkäuer auf einer Vegetation halten, die sonst für die menschliche Ernährung wenig bietet. Die derzeitige Produktionsintensität belastete das Menschenrecht auf Nahrung, Biodiversität und Grundwasserressourcen. Die Agrarpolitik ist der Hebel für die Steuerung. „Das Geld stellen wir dafür bereit“, sagte Benning. Es müsse nur anders verteilt werden.

Interview mit Reinhild Benning

Vor dem Fleischatlas hat der BUND in dieser Woche seine Studie zur hormonellen Brunstsynchronisation in der Sauenhaltung vorgestellt. Herd-und-Hof.de sprach mit Reinhild Benning, Agrarreferentin des BUND über beide Inhalte:

HuH: Der Fleischatlas erscheint in diesem Jahr auch in englischer Sprache für das Ausland. Den Umweltorganisationen sagen Kritiker nach, sie exportieren die Angst vor der grünen Gentechnik nach Afrika. Wollen die Autoren den Chinesen jetzt vorschreiben, was sie essen wollen? Ist das nicht eine Bevormundung, weil ja jeder das Recht auf eigene Fehler hat?

Reinhild Benning: Weder der Fleischatlas 2013 noch der Fleischatlas 2014 schreibt Bürgern und Bürgerinnen vor, was sie essen wollen. Der Fleischatlas informiert über die Folgen des zunehmenden Fleischkonsums und der immer industrielleren Fleischproduktionen – Folgen, die viele Menschen bereits am eigenen Leib empfinden. Anliegen des Fleischatlas ist es, hierüber aufzuklären und die vielen Alternativen aufzuzeigen, die es gibt. Die Fleischindustrie behauptet, es gebe eine Nachfrage nach Fleisch aus China. Wir erhalten wachsende Nachfragen seitens Medien und Nichtregierungsorganisationen nach Informationen, daher der neue Fleischatlas.

HuH: Nehmen wir an, Deutschland halbiert seinen Fleischkonsum. Auf landwirtschaftlicher Betriebsebene lässt sich die „Halbierung“ leicht umsetzen. Aber was ist mit den nachfolgenden Strukturen? Gemeint sind nicht nur die Schlachthofstrukturen, die gesamte Kühlkette, die Spezialfirmen, die nur aufschneiden und verpacken, sondern auch der regionale Metzger. Wie viele Fachfleischer überleben, wenn sie nur noch halb so viel verkaufen?

Reinhild Benning: Es geht um weniger Fleischkonsum, dafür aber zu besseren Preisen auch für die Lieferanten. Der BUND befürwortet regionale, bäuerlich-nachhaltige Strukturen und setzt sich dafür ein, eine höhere Wertschöpfung auf Seiten der Erzeuger zu realisieren, z.B. mit unserer Mitgliedschaft im Neuland-Verein, im Bunde mit Bauern und Metzgern sowie dem Tierschutz. In solchen Strukturen könnten Fachfleischer sehr gut überleben. Was Fachfleischer die Existenz kostet, ist die zunehmende Monopolisierung und Konzentrierung im industriellen System. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Mittlerweile sind zwei Drittel aller Fleischeinkäufe abgepackt und eingeschweißt. Über 50 Prozent des Hühnchenfleischs werden im Discounter verkauft. Jedes Jahr verliert das Schlachterhandwerk 500 Fachgeschäfte.

HuH: Beispiel Schweinehaltung: Ein Zurück zur Struktur Schweine haltender Betriebe von vor 20 Jahren würde eine „Zurückschaffung“ von rund 100.000 Höfen bedeuten. Das sind 100.000 „neue Bauern“. Selbst wenn wir nur die Hälfte rechnen: Es gibt ja schon erhebliche Probleme, genug Hofnachfolger für die aktuelle Zahl landwirtschaftlicher Betriebe zu finden. Gerade in der Tierhaltung: Wer will denn heute noch 365 Tage im Jahr rund um die Uhr für seine Tiere da sein? Woher sollen denn die Bauern kommen?

Reinhild Benning: Der BUND fordert kein Zurück zu alten Strukturen. Wir fordern ein Vorwärts zu modernen, nachhaltigen Strukturen, wie sie im Ökolandbau vielfach schon existieren. Das Nachwuchsproblem in der Landwirtschaft hängt unserer Ansicht nach nicht damit zusammen, dass junge Menschen harte Arbeit scheuen. Vielmehr bekommen die Kinder von Landwirten bereits zuhause mit, wie sehr ihre Eltern ums wirtschaftliche Überleben kämpfen müssen – aufgrund der rigorosen „Wachse oder weiche“-Politik und dem ruinösen Preisdumping der letzten Jahre. Der BUND und seine verbündeten Bauern und Bäuerinnen setzten auf mehr Transparenz, mehr Achtung und Wertschätzung der Tiere, der Umwelt und der Arbeit der Landwirte – mit entsprechend höherer Wertschöpfung für diese. Die Mehrheit der Betriebe in Deutschland ist unserer Einschätzung nach in der Lage, flächengebundene Tierhaltung zu realisieren, das ist nur eine Frage der Preise. Einen Schnitt setzten wir bei industriell wirtschaftenden Tierhaltungen an, die keine Flächenbindung aufweisen. Diesen muss ein Riegel vorgeschoben werden.

HuH: Das Medieninteresse zum Fleischatlas und zur Studie über die hormonelle Brunstsynchronisation in der Sauenhaltung zu Wochenbeginn war riesengroß. Viele Bauern fühlen sich unter Generalverdacht gestellt, weil einige etwas tun, was ja nicht verboten ist. Im Gegensatz findet der BUND trotz seines Videos zur Glyphosatanwendung ungeteilte Aufmerksamkeit. Haben Sie das Gefühl, dass der BUND sich mehr leisten kann als die Bauern?

Reinhild Benning: Antibiotika, Glyphosat und Hormoneinsatz würden ohne Non-Profit-Organisationen wie den BUND totgeschwiegen. Der Staat sieht weg, die Datenlage wird dünner gehalten als von Verbraucherseite gewünscht (Abschaffung der Berichtspflicht). Vor diesem Hintergrund und dem Mangel an Transparenz bildet die Einigkeit von Agrarindustrie und Regierung nicht gerade eine Vertrauensgrundlage.

Der BUND weist schlicht auf die herrschende Praxis hin, die wir als Missstände identifizieren, sowie auf Bereiche, bei denen der Verband Regelungsbedarf sieht. Wir tun das auf Basis wissenschaftlicher Daten und Fakten. Wenn Medien darüber berichten, freut uns das natürlich. Anderen Verbänden, wie etwa dem Deutsche Bauernverband, steht diese Möglichkeit ebenfalls offen.

Für die These, Bauern unter Generalverdacht zu stellen, fehlt jede sachliche Grundlage. Es handelt sich bei der These um blanke Polemik, der die Medien in Deutschland glücklicherweise mehrheitlich nicht folgen. Im Glyphosatbeitrag etwa kam überhaupt kein Bauer vor. Der Vorwurf, wir würden deutsche Bauern meinen, war entlegen und an den Haaren herbeigezogen, denn deutsche Bauern spritzen i.d.R. nicht mit Flugzeugen. (Allerdings auch kein deutlicher Hinweis auf die Praxis in Südamerika, Glyphosat mit Flugzeugen auszubringen, die wir kritisieren wollten.) Man könnte auch fragen, ob es nicht milde war, dass stilisierte Bilder genutzt wurden. Die Hersteller von Glyphosat sind natürlich frei, mit realen, nicht stilisierten Bildern von betroffenen Kindern eine breite Aufklärungskampagne zum Glyphosateinsatz und Gesundheitswirkungen zu starten.

Auch sonst setzen wir uns mit aller Macht für faire Bedingungen und eine höhere Wertschöpfung für bäuerliche Betriebe ein. Doch genau unsere Nähe zu Bauernhöfen mit flächengebundener Tierhaltung ist den Funktionären der Agrarlobby ein Dorn im Auge. Doch wir lassen uns nicht spalten, es geht auch für Biobauern und Neuland-Betriebe um die Existenz.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die Fragen stellte Roland Krieg

Lesestoff:

Den Fleischatlas 2014 finden Sie auf www.boell.de

Den Bericht über den Fleischatlas 2013 von Herd-und-Hof.de finden Sie hier

[1] Männer essen anders, vor allem viel mehr Fleisch

[2] Nachhaltige Proteinversorgung im interdisziplinären Kontext

Ein vegetarisches Deutschland allein würde auch nur wenig ausrichten. 2012 hat Indien das meiste Rindfleisch exportiert

Fleischalternativen sind hoch verarbeitet und in der Vollwertkost nicht gern gesehen

Roland Krieg; Foto: roRo (Archiv)

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