Forum FriedensBrot 2018
Landwirtschaft
Zusammenhalt und Zuversicht
Der Welternährungsbericht 2018 blickt auf Erfolge und Misserfolge im Kampf gegen Hunger. Dieser hat in den Regionen und Ländern zugenommen, die bewaffnete Konflikte austragen. Hunger, Armut und Krieg sind jedoch nicht nur in der Gegenwart eng miteinander verflochten. Auch die Regierungen der europäischen Länder haben in der Vergangenheit ihre politischen Misserfolge auf die Menschen abgewälzt.
Roggen überwächst Grenzen
Der Stunde Null nach dem Zweiten Weltkrieg folgte 1957 der Weg über die Römischen Verträge zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft bis in die Europäische Union. Mit den beiden Osterweiterungen 2004 und 2007 brachen zehn osteuropäische Länder in eine neue Zukunft auf. 2011 kam Kroatien hinzu. Am Tisch der EU saßen sich ehemals strikt getrennte Menschen gegenüber, deren Weg zueinander über Revolutionen in Ungarn, der Tschecheslowakei, Polen und schließlich in der DDR führte.
Eines der berühmtesten Fotos aus der Bernauer Straße in Berlin zeigte den Volkspolizisten Conrad Schumann, wie er mit Helm und Gewehr über die Stacheldrahtrolle nach Westberlin springt. Nicht weit von dieser Stelle entfernt wächst seit 2005 mitten auf dem ehemaligen Todesstreifen Roggen auf einem Acker. Ein unerwartetes Bild, nicht nur für Touristen. Die Gemeinde der Versöhnungskirche backt aus dem Roggen jährlich das FriedensBrot. Seit 2013 wird das Saatgut auch in osteuropäischen EU-Ländern an bedeutenden Orten ausgesät. Der Winterroggen 2019 in Berlin ist von der Humboldt Universität bereits im Boden.

Ein Jahr zuvor hat sich der zivilgesellschaftliche Verein FriedensBrot gegründet, für den die damalige Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner die Schirmherrschaft übernahm. Eine Tradition, die bis zur amtierenden Ministerin Julia Klöckner fortgeführt wird.

Landwirtschaft und Frieden
In allen Religionen und Kulturen ist die Gastfreundlichkeit und das Teilen von Lebensmitteln ein hoch geschätztes Gut. Ohne einen Frieden hat kein Bauer Zeit, zu säen und zu ernten. Umgekehrt gewährt Ernährungssouveränität Frieden. Das Wortpaar Landwirtschaft und Frieden hat mitunter inflatorische Konjunktur – der Verein FriedensBrot setzt es symbolträchtig in die Praxis um.
Seit vier Jahren findet der internationaler Kongress „Frieden und Landwirtschaft“ in den neuen Mitgliedsländern statt. Am Welternährungstag fand im Besucherzentrum Gedenkstätte Berliner Mauer das jährliche Forum mit dem Thema „Für Zusammenhalt und Zuversicht“ statt.
Geladen waren der CDU-Bundestagsabgeordnete Kees de Vries und die bis Herbst 2017 im Bundestag tätige Unionsabgeordnete Maria Michalk. de Vries aus den Niederlanden stammt von einem kleinen 14 Hektar Betrieb und hat unter großen Schwierigkeiten nach der Wende einen großen Milchviehbetrieb in Sachsen-Anhalt aufgebaut. „Die holländische Stimme der deutschen Bauern“ war vor seiner politischen Karriere in 13 Ehrenämtern aktiv und wurde 2003 in den Kreistag gewählt. 2007 folgte gleich der Sprung nach Berlin.

Maria Michalks Muttersprache ist sorbisch und wurde noch in der DDR in die erste freie Volkskammer für Sachsen gewählt und kam dann 1990 auf diesem Weg in den Bundestag. Aus familiären Gründen hat sie ihre Tätigkeiten als Abgeordnete eingestellt und war davor gesundheitspolitische Sprecherin und hat sich für die Unrechtsbereinigung in der DDR eingesetzt. Sie ist Vorsitzende des Rates für sorbische Angelegenheiten in Sachsen.
Maria Michalk blickt auf die Wendezeiten zurück und empfindet Stolz und Freude, dass die Wiedervereinigung ohne blutige Revolution vollzogen wurde, obwohl die staatlichen Vorkehrungen andere waren. Sie mahnt nicht nur mit Blick auf die Welt, sondern auch gegenüber dem wachsenden Euroskeptizismus, dass die Vergangenheit unaufmerksame Schüler hat.
„Frieden und Wohlstand“ sind auch für de Vries ein Garant für 70 Jahre Weiterentwicklung Europas. Mit Blick auf die kommende Europawahl im Mai 2019 und ebenfalls vor dem Hintergrund mancher Europamüdigkeit, fordert er, die Politiker müssen „mehr erklären, warum wir Europa brauchen.“
Der Roggen auf dem Todesstreifen ist auch ein Element für den leichten Standort Brandenburg. Das Getreide gilt als „Überlebenskünstler“, weil es mit wenig Blattmasse und schmalen Blättern viel Substanz bildet. Er wächst auch auf 1.900 Meter und überwintert sieben Monate unter einer Schneedecke. Roggen wird flach gesät, nicht mehr als zwei Zentimeter. „Roggen will Licht sehen“, heißt es bei den Agrarwissenschaftlern. Und Frieden ernten.
Lesestoff:
Roland Krieg; Fotos: roRo