Frauen in der Landwirtschaft

Landwirtschaft

Landfrauen zwischen Brauchtum und Betriebsführung

Ja, in der DDR gab es nominell eine deutlich größere Geschlechtergleichheit zwischen Frauen und Männern. Nicht nur in der Landwirtschaft gab es jedoch in der Tiefe die gleichen patriarchalischen Einstellungen. Vereinzelt konnten Frauen die Leitung einer LPG übernehmen, meist jedoch fuhren sie Traktor und standen im Melkstand. In allen Fällen waren ihnen Haushalt und Kindererziehung genauso zugeordnet wie im Westen.

Das Thema Frauen in der Landwirtschaft ist eines über die größte Multifunktionalität in der Gesellschaft. Sie sind Mutter, Haushaltsvorstand, pflegen die ältere Generation und stehen neben der Küche auch im Stall ihre Frau. „Sie wissen, dass sie zur Welt gehen müssen.“ Das Zitat stammt aus einem Interview mit einer Expertin der Regionalentwicklung und datiert auf die Zeit Ende der 1990er Jahre. Für eine gute Ausbildung und einen guten Arbeitsplatz müssen sie Hof und Dorf, vielleicht die ganze Region verlassen. Und das mehr als ihre Brüder.

Langer Prozess

Das Thema ist nicht neu. „Frauen in der Landwirtschaft“ wurde in „Debatten aus der Wissenschaft und Praxis“ schon 2011 akademisch aufbereitet. 2013 wurde dann an der Universität für Bodenkultur an der Universität Wien eine Tagung draus, deren Vorträge im Tagungsband, aus dem das oben genannte Zitat stammt, zusammengefasst sind [1]. Die mittlerweile vierte Konferenz findet im Frühjahr 2022 in der Schweiz statt.

Diese Woche gab Theresia Oedl-Wieser von der Universität Wien zur Woche der Geschlechtergerechtigkeit den Auftakt zum Thema im Agrarausschuss des Europaparlamentes. Die Probleme sind seit Jahrzehnten im Kern gleich geblieben: Abwanderung von Frauen aus dem ländlichen Raum, spezielle Bedürfnisse für den Arbeitsmarkt, Jobs und Einkommen verbunden mit der Infrastruktur für Lebensqualität und Kinderbetreuung, sowie der steten Behauptung gegen Männer, die in ländlichen Vereins- und Entscheidungsgremien die Mehrheit stellen.

Nach Oedl-Wieser sind die Leistungen der Frauen in der Innen- und Außenwirtschaft von ländlichen Betrieben bekannt. Der Beitrag für die soziale Entwicklung auf dem Hof, dem Dorf und der Kommune wird oft genannt. Doch mangelnde pensionsrechtliche Absicherung und zu wenig Anteil in Entscheidungsgremien wie dem LEADER-Programm für die ländliche Entwicklung haben weiterhin negativen Bestand.

Die Aufstellung eines „Gender-Index“ könnte die Ungleichheit beziffern und Maßnahmen wie Gründerinnen-Zentren, Zielpersonen für Gelder aus der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) und Beseitigung der strukturellen Benachteiligung für die Stärkung des Selbstbewusstseins umsetzen. Die Wissenschaftlerin erkennt auf dem Land noch immer die bestehenden patriarchalischen Strukturen, die in Begleitung von Armut und Perspektivlosigkeit von rechten Populisten zunehmend ausgenutzt werden.

Doch wie in der Stadt ändert sich das Land. Es wird vielfältiger und bietet Frauen neue Räume für eigene Tätigkeiten. Es gebe aber eine zeitliche Verzögerung für das Weiterreichen von Entwicklungen aus der Stadt in den ländlichen Raum.

„Where ist the Boss?“

Céline Berthier hat das Thema in einem Comic-Buch zusammengefasst. Sie leitet mit vier weiteren Frauen einen landwirtschaftlichen Betrieb in Frankreich mit kleinen Wiederkäuern, einer Wanderherde Schafe, Bienen und Gemüseproduktion. Sie hat sich für einen Comic entschieden, um die Wut auf das Patriarchat aufzuzeigen. Ihr Bauernhof wird noch immer unter dem männlichen Vornamen des Vorgängers benannt. Kommen Fremde auf den Betrieb, fragen diese die Frauen nach dem Bauern. Dorfbewohner und Bürgermeister gehen meist nur von einer Stellvertreterrolle der Frau auf einem Bauernhof aus. Suchen die Betriebsleiterinnen nach neuen Landmaschinen, wird ihnen schon mal vorgeworfen, die Maschinen gäbe es nur für professionelle Betriebe. Beim Landkauf und in der Bank wird die Bäuerin oft nur im Beisein eines Mannes ernst genommen. Für Berthier ist das der tägliche Sexismus, der auf dem Land vorherrscht. Wie in der Stadt gibt es auch geschlechterspezifische Gewalt gegen Frauen. In den Gewerkschaften werden Frauen oft bei Diskussionen und der Öffentlichkeitsarbeit in den Hintergrund gedrängt. Der Wunsch von reinen Frauengruppen wird verständlich. Frauengruppen und Mutterschaftsurlaub sind für Berthier wichtige Aspekte für die Erhöhung der Geschlechtergerechtigkeit. Dazu gehören auch leichtere Säcke für die Arbeit auf dem Betrieb. Traktoren und Gewichte sind auf starke Männer ausgerichtet, mit denen auch die männlichen Altenteiler ihre Schwierigkeiten haben.

Mehr Geschlechterpolitik

Hilde Vautmans von den flämischen Liberalen weiß, dass alle die Rolle der Frau auf dem Land stärken wollen. 2011 hat das Europaparlament die Entschließung zur „Rolle der Frauen in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum“ verfasst. Auch die aktuelle GAP spricht das Thema an, allerdings ohne konkrete Maßnahmen aufzuführen. Das reiche nicht aus, erklärte die Belgierin. Die Kommission und die einzelnen Mitgliedsländer müssen die Rolle der Frau stärker anerkennen und den Unternehmerinnenstatus stärken.

Die italienische Sozialdemokratin Pina Picierno beklagt, dass Frauen nicht die Mehrheit der Betriebsleiterebene sind. Dabei sind Frauen für das gesamtgesellschaftliche Wachstum mitverantwortlich. Seit dem Frühjahr 2021 gibt es im römischen Landwirtschaftsministerium ein Amt für den Frauenstatus, in dem die Fortschritte plus wissenschaftlicher Erkenntnisse begleitet werden. Italien will die Frauen bei der nationalen Umsetzung der GAP stärken. Ihre portugiesische Parteikollegin Isabel Carvalhais findet, dass Frauen im ländlichen Raum bezogen auf ihre Leistungen noch immer unsichtbar sind. Ihr Risiko für Armut und Exklusion ist höher. Die Berichterstatterin für den Ländlichen Raum beklagt, dass das Thema zwar schon seit langem debattiert wird, aber kaum Fortschritte zu verzeichnen sind.

Silvia Michelini von der Generaldirektion AGRI verweist auf die Unterschiede zwischen den Mitgliedsstaaten. In den osteuropäischen Ländern sei die Situation weiter als in den westlichen. Die GAP hat viele Unternehmerinnen zu eigenen Aktivitäten mit neuen Betriebszweigen ermutigt. Es könne aber mehr werden. Die Länder können mehr auf Frauen zugeschnittene Agrarpolitik machen. Die Kommission will sich das im nächsten Jahr, nachdem alle nationalen Strategien eingereicht sind, ansehen. Auch der Europäische Sozialfonds und die Kohäsionspolitik haben Frauenpolitik als Bausteine aufgebaut.

Die Wahrnehmung

Für den Christdemokraten Herbert Dorfmann aus Südtirol braucht es einen neuen Ansatz für die Öffentlichkeitsarbeit. Gerade die Landfrauenverbände stehen eher für Brauchtum und nicht für die Arbeit im ländlichen Raum. Immerhin habe der Europäische Bauernverband COPA mit der französischen Bäuerin Christiane Lambert eine Präsidentin.

Dieser Wahrnehmung widerspricht allerdings die CDU-Abgeordnete Marlene Mortler. Die Landfrauen thematisieren auch die Agrarpolitik und Betriebsleitung. Es gibt nach Mortler hingegen Defizite auf der Männerseite, die sich zu wenig um die Geschlechtergleichheit kümmern. In Deutschland ist sie beim Thema der gleichwertigen Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land  vorhanden. Mit Blick auf den Vortrag der Bäuerin Berthier muss Mortler feststellen, dass es bezüglich Sexismus, Gewalt und struktureller Ungleichgewichte Defizite in Stadt und auf dem Land gibt.

Lesestoff:

[1] Frauen am Land. Potenziale und Perspektiven: https://boku.ac.at/wiso/inwe/aktuelles/frauen-am-land/frauentagung-2013

Roland Krieg

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