Für wen ist die BMEL-Ackerbaustrategie?
Landwirtschaft
Ackerbaustrategie: Fleißarbeit mit Defiziten
Als Staatssekretär Hermann Onko Aeikens beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vor eineinhalb Jahren die Ackerbaustrategie des Zentralausschusses der Deutschen Landwirtschaft (ZDL) als zu ökonomisch und mit fehlenden Schwerpunkten kritisierte [1], hat er die Erwartung auf die Strategie des Ministeriums in die Höhe gedrückt. Zum Jahresabschluss hat Ministerin Julia Klöckner sie dann vorgestellt und um Punkte ergänzt, „was von politischer Seite notwendig ist.“
Die Strategie des ZDL war nichts Neues und beschrieb die „Gute Fachliche Praxis“ auf den Betrieben. Unter dem Aspekt, ist auch die Klöckner-Strategie nichts Neues, denn die Zielkonflikte sind ebenfalls alles andere als neu. Die in einem Heft gebündelte Ackerbaustrategie ist ordentlich gegliedert und enthüllt das Besondere erst im Detail.
Das Konzept
Sechs Leitlinien liegen der Ackerbaustrategie zugrunde: Versorgung, Einkommen der Landwirte, Umwelt- und Ressourcenschutz, Biodiversiät, Klimaschutz und Klimaanpassung sowie gesellschaftliche Akzeptanz. Erst danach geht es mit 12 Handlungsfeldern auf die landwirtschaftlichen Betriebe, die wie beispielsweise dem Boden, in Ausgangslage, Problemstellung, Zielkonflikte, Ziele, Indikatoren und Massnahmen systematisiert sind. Mehr als 50 Maßnahmen, wie ganzjährige Bodenbedeckung oder erweiterte Fruchtfolgen stehen in der BMEL-Ackerbaustrategie.
Kurz nachdem der ZDL seine Ackerbaustrategie vorgestellt hatte, befragte der Kölner Pflanzenschutzspezialist Adama Landwirte nach ihren Vorstellungen über den neuen Begriff. 43 Prozent der Landwirte konnten sich unter einer Ackerbaustrategie kaum etwas Konkretes vorstellen [2].
Zielgruppe Landwirte
Ob die Klöckner-Strategie bei den Landwirten verfängt ist fraglich. Zahllose Maßnahmen werden auf den Betrieben auch ohne übergeordnete Strategie bereits angewandt. Die großen Betriebe in Ostdeutschland weisen regelmäßig mehr als zwei Dutzend verschiedene Feldfrüchte auf ihren Äckern auf. Landwirte haben immer die Kulturen angebaut, die den höchsten Ertrag, also das meiste Einkommen erzielen. Enge Fruchtfolgen wie zweimal Winterweizen und einmal Winterraps sind sehr ertragreich. Seit Jahren aber stoßen diese Betriebe auf Engpässe, die im Nordwesten den Mais als vierte Feldfrucht auf die Acker gebracht haben. Wegen zunehmender Resistenzen suchen Landwirte neue Lösungen, die aber kaum vermarktungsfähig sind.
„Ich kann nicht per Gesetz Landwirten bestimmte Ackerfrüchte vorschreiben“, sagte denn auch Klöckner. Sie will politische neue Märkte für neue Früchte öffnen, damit neue Kulturen neue Einkommen erzielen. Ob das allein politisch möglich ist, wird sich zeigen. Der Kreis schließt sich erst, wenn die Konsumenten die Produkte, wie Eiweiß aus Ackerbohnen und Erbsen, oder die Industrie wie Bäcker Mohn auch kaufen.
Zielgruppe Medien
Die Vorstellung der Ackerbaustrategie wurde zu einem kleinen Ableger der Agritechnica in Hannover. Fleißige Helfer haben ein großes Traktorrad in den Presseraum gewuchtet und Dr. Joachim Brunotte vom Thünen-Institut erklärte den Medien, wie Reifendruckregelanlagen funktionieren. Als Vermittler zwischen Landwirtschaft und Verbrauchern sind solche Einschübe notwendig. In Hannover begaben sich die Nicht-Fach-Medien auf landwirtschaftliche Spurensuche und waren, wie es sich für eine Fachmesse geziemt, im Wesentlichen Verkäufern ausgesetzt, denen die allgemeine Wissensvermittlung eher fremd ist.
Zielgruppe Naturschutz
Die politische Erweiterung der ZDL-Ackerbaustrategie ist gelungen. Allen bisherigen „Ackerbaustrategien“ konnte Klöckner vorhalten, sie bewerteten nur einzelne und verschiedene Aspekte. Die Zielkonflikte kommen ja aus den Bereichen des Umweltschutzes. Prof. Henrik Schumann, Pflanzenbauer von der Universität Bonn, wehrte sich gegen den aufgebauten Gegensatz Produktivität und Naturschutz. „Wir haben ein Feld, in der Mitte wird produktiv gewirtschaftet, und am Rand haben wir Hecken und Blühstreifen. Da sind die Insekten.“ Es gehe nicht um jeden Quadratmeter Fläche, der Ackerbau und Naturschutz beinhalten muss, sondern um die Installation von Kulissen in vielfach ausgeräumte Landschaften. Drohnen helfen Biotope zu kartieren und zu vernetzen. Die Hauptziel der Nahrungsmittelproduktion dürften die Verbraucher nie aus den Augen verlieren: „Wir kriegen unseren Weizen oder unsere Kalorien nicht aus China.“
Zielgruppe Politik
„Die Ackerbaustrategie erhebt nicht den Anspruch, ein Handbuch zu sein“, betonte die Ministerin. Am Ende hat sie eine Bewertungsmatrix abgebildet, die bei den Forderungen aufzeigt, was vereinbar und nicht vereinbar ist. Die Ackerbaustrategie ist eine Grundlage für weitere politische Gespräche mit den Verbänden. Aus den Analysen könne die Politik auch Förderbedarf herauslesen. Ob es dafür eine umfangreiche Ackerbaustrategie braucht oder der Blick auf die Betriebe nicht einfacher wäre? Reifendruckregelanlagen sind ohne Frage bodenschonend und werden auch schon eingesetzt. Das kaum mehr als 16 Prozent der Landwirte diese Technik nutzen, ist eine Frage des Preises, wie Landwirte sagen [3]. In Österreich ist die Technik verbreiteter – auch weil sie gefördert wird.
Was fehlt? Die Zeitangabe
Die Vorlage der Ackerbaustrategie im Dezember 2019 trifft bei vielen Betrieben auf Altbewährtes. Das gilt es zu verbreitern. Eine Strategie ist aber vor allem Zukunftsgerichtet. Der Zukunftsplan selbst trägt den Zeitstempel 2035. Das ist politisch die Umschreibung für den Sankt-Nimmerleinstag. Das ist mehr als eine Legislaturperiode hinter den Klimazielen 2030 und diskriminiert die bereits nachhaltig wirtschaftenden Betriebe. Auch die angegebenen Zeiten in der Bewertungsmatrix „kurz“, „mittel“, „lang“ sind wachsweich. Dabei will Klöckner mit konkreten Maßnahmen etwas vorgeben, weil sie „nicht immer mit dem letzten Wort dazwischen gehen“ will.
Disruptiver Umbruch
Es gibt Fokusregionen, die auf klare Worte gewartet haben. Können Getreidebauern in der norddeutschen Tiefebene in der dritten oder vierten Generation noch Getreide anbauen, wenn der Klimawandel die Wiedervernässung großer Räume erfordert? Das Thema hat Klöckners Bodenzustandserhebung selbst vor einem Jahr auf die Agenda gebracht [4].
Das Nutzvieh?
Die Viehhaltung gehört zum Ackerbau von der Futterproduktion bis zur Düngerverwertung dazu. In der Ackerbaustrategie kein Wort. Obwohl die Wertschöpfung in der Nutzviehhaltung deutlich höher als im Ackerbau ist. Keine Frage, dass die Tierdichte in Niedersachsen entflechtet werden muss. Flächenbindung der Tierhaltung und Integration der Tierhaltung in den Ackerbau? Diese wirkliche Strategie und Umsetzung fehlt in den Überlegungen.
Bio-Ökonomie?
Die Landwirtschaft hat nach wie vor ein Goldenes Zeitalter vor sich. Denn nur sie ist in der Lage, Kohlenstoff aus der Atmosphäre zu nehmen und fossile durch nachwachsende Kohlenstoffketten zu ersetzen. Das ist den meisten Menschen noch immer nicht bewusst und trotz Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe ein politisches Versagen, auf das Thema hinzuarbeiten.
Lesestoff:
Die Ackerbaustrategie 2035 finden Sie auf www.bmel.de
[1] Ackerbaustrategie verfängt beim BMEL nicht: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/bmel-will-breitere-ackerbaustrategie.html
[2] Was verstehen Sie unter einer Ackerbaustrategie? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/landwirte-erwarten-eine-realistische-ackerbaustrategie.html
[3] Wie verbreitet sind Reifendruckregelanlagen? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/luft-rein-luft-raus-fuer-die-umwelt.html
[4] Wiedervernässung: Zurück zum Grünland? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/weltbodentag.html
Roland Krieg; Fotos: roRo