Gefährdet die E10-Debatte die Energiewende?

Landwirtschaft

Die Energiewende ist mehr als Biotreibstoff

Die Leopoldina-Studie „Bioenergie: Möglichkeiten und Grenzen“ hat einen ordentlichen Wirbel entfaltet [1]. Der Entwicklungshilfeminister will den Biosprit sofort einstellen, die EU hatte für Oktober den Diskurs geplant, die Beimischungsquote wegen der anhaltenden Kritik am Ackertreibstoff zu halbieren – was am Dienstag aber schon vorfristig an die Öffentlichkeit lanciert wurde. Nicht nur der neue Weltbankpräsident Dr. Jim Yong Kim sieht die Debatte differenzierter. Afrika hat einen steigenden Bedarf an Lebensmitteln und Bioenergie [2].

Diskussion zur Leopoldina-Stellungnahme

Vor allem hatten die Autoren der Leopoldina am Mittwochabend in Berlin ein Anliegen, Ihre Studie noch einmal vorzustellen. Prof. Dr. Rudolf Thauer vom Max-Planck-Institut für terristische Mikrobiologie und Koordinator der Stellungnahme, führte noch einmal die Kritikpunkte an. Die Wissenschaftler haben die Grenzen der Verfügbarkeit aufgezeigt, auf die geringe Energiedichte von Biotreibstoffen bei der Produktion hingewiesen, den Verlust an Biodiversität und Zunahmen der Bodendegradation bemängelt und die Konkurrenzsituation zwischen Lebensmittel und Bioenergieproduktion verdeutlicht. In der Summe aller Argumente überwiegen die Nachteile.
Die meisten, und vor allem Medien, hätten sich jedoch nur mit der Kurzfassung der 120-Seiten langen Stellungnahme begnügt. Dadurch haben Differenzierungen es gar nicht mehr in die Schlagzeilen geschafft. Die Wissenschaftler sprachen über alle Formen der Bioenergie. Gas, Holz, Ethanol und biogene Reststoffe. Gerade die Verwendung der Reststoffe wird in der Stellungnahme aber als positiv gewürdigt, genauso wie die einzige Möglichkeit, speicherbare Energie über Biomasse bereitzuhalten. Etwas, was weder Wind noch Sonne leisten können. Die Experten haben auch formuliert, dass die Bundesregierung die Nutzung der Bioenergie „nicht mehr“ betreiben soll – „Nicht mehr“ im Sinne keiner weiteren Ausweitung und nich tim Sinne der Einstellung, so Prof. Thauer.
Dr. Helmut Born, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV), ärgert die Vermischung der Situation in den USA mit der in Deutschland. Die USA verfolgen das Ziel der Unabhängigkeit von Erdölprodukten, was zu der hohen Ethanolproduktion durch Mais führe. In Deutschland stelle die Biomasse zwar den größten Teil der erneuerbaren Energien, doch kommen 60 Prozent davon aus dem Wald. Dr. Born führte weiter an, dass neben der Bioenergie auch der hohe Importbedarf Asiens an Lebensmitteln zu einem Nutzungsdruck vor allem in Südamerika führe.
Johannes Röring, Mitglied im Bundestagsausschuss für Landwirtschaft (CDU) vergleicht die unterschiedlichen Produktionsbedingungen rund um den Erdball. Wenn jeder das produziere, was er am günstigsten herstellen kann, dann würden die komparativen Kostenvorteile für einen globalen Ausgleich der Produkte sorgen. Röring kritisiert die EU, die mit ihrer Ankündigung, die Beimischungsquote zu reduzieren, der Wirtschaft ein „verheerendes“ Signal für Investitionen sende.
Prof. Dr. Daniela Thrän, Bereichsleiterin Bioenergiesysteme am Deutschen Biomasseforschungszentrum, erinnerte daran, dass die Biomasse für die Hälfte der bisher erzielten Treibhausgasreduzierungen verantwortlich zeichnen. Das entspreche den vereinbarten Klimazielen. Daher fragte Dr. Georg Schütte, Staatssekretär aus dem Bundesforschungsministerium, nach den Optionen. Die Energiewende nur anhand von einzelnen Pflanzen oder Sektoren zu diskutieren, werde ihr nicht gerecht. Man habe schließlich den Beschluss gefasst, 2022 das letzte Kernkraftwerk zu schließen. Ersatzlos gehe das nicht.

Alles geht durcheinander

Mitautor Prof. Dr. Christian Körner von der Universität Basel sprach von „Blauäugigkeit“ die viele Diskutanten befallen habe. Sie dachten wohl, dass mit der Biomasse oder dem E10 alle Probleme ähnlich einem Königsweg gelöst würden. Doch fehlten für abschließende Bewertungen Zahlen über Folge- und Nebenkosten einer Produktion. Die Energiewende ist nach Prof. Körner ein großer Komplex, der aus klimarelevanten, sozio-ökonomischen und ökologischen Gründen eingeleitet wurde. Die Diskussionen allerdings werfen alles durcheinander. Einmal gehe es um die Energiewende allgemein, dann um die Beschäftigten und dann komme der Welthunger dran. Die Energiewende hat einen großen Aufklärungsbedarf.

Energiewende als Prozess

Derzeit biete die Biomasse nach Prof. Thrän die einfachste und die meiste Reduzierung an Treibhausgasen. Künftig können andere Bereiche wie die Solarenergie und die Elektromobilität das beste Wahl sein. So sollte den Treibstoffen der ersten Generation nach einer Übergangsphase auch die zweite Generation in Form von „Biomass to Liquid“ folgen [3]. Die Energiewende müsse als Prozess verstanden werden. Künftig werden andere Rohstoffe und andere Techniken im Vordergrund stehen. Prof. Thrän wies darauf hin, dass bei reduziertem Fleischkonsum weltweit 350 Millionen Hektar Futterfläche für eine andere Nutzung frei würden. Biomasse für die energetische und stoffliche Nutzung wird weltweit auf lediglich 40 Millionen Hektar angebaut.
Demzufolge wird die Energiewende auch zu einer Konsumwende. Der Konsument ist gefragt, welches Wachstum oder welche Flugreisen er brauche, ergänzt Johannes Röring. Teller oder Tank wird zwischen Garage und Küche entschieden.
Eine spezielle Diskussion zwischen Dr. Born und Dr. Körner verzettelte sich im Aufrechnen. Das Flächenpotenzial für die Biomasse wird in Deutschland mit maximal vier Millionen Hektar angegeben (Born), was zu importierten Futtermitteln führe, die woanders eine Landnutzungsänderung bewirken (Körner). Demgegenüber könne Deutschland als klimatische Gunstregion effizienter tierische Produkte erzeugen, wozu woanders mehr Fläche genutzt werden müsste (Born).
Da sind noch „Be“rechnungen offen.

Lesestoff:

www.leopoldina.org

[1] Agrosprit ist kein Hauptschuldiger

[2] Kim und Niebel zum Thema Biomasse

[3] BtL für die Elektromobilität

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Roland Krieg

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