Geist Raiffeisens in der Agri-Sitzung
Landwirtschaft
Starke Bauern arbeiten zusammen
Am Montag diskutierten die Europaparlamentarier im Agrarausschuss mit vier Experten über die Möglichkeiten zur Stärkung der Landwirte in der Wertschöpfungskette. Friedrich Wilhelm Raiffeisen, Gründer der Genossenschaften, die in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag feieren, hätte sich freuen können. Marktökonom der niederländischen Universität Wageningen, Michiel van Galen, stellte die Ergebnisse aus verschiedenen Studien vor, die sich mit der Zusammenarbeit von Landwirten beschäftigten. Egal ob Genossenschaften, Erzeugerorganisationen oder Branchenverbände.
Genossen, EO und Branchenverbände
Allen gemeinsam ist das Ziel, gegenüber dem Handel eine größere Verhandlungsmacht zu gewinnen. Dabei können sie bei gemeinsamer Nutzung von Lagerstätten das Risiko für Preisschwankungen auf alle Schultern verteilen. Die Bündelung von Rohware stabilisiert den Preis und Genossenschaften verbessern gegenüber dem Einzelunternehmen den Marktzugang. Selbst der Handel erkenne die Vorteile und arbeitet lieber mit einer Genossenschaft als mit Hunderten von Einzelunternehmen zusammen. Außerdem fördert die Genossenschaft den Zusammenahlt in der Region.
Dabei macht es nach van Galen keinen Unterschied, ob es sich um eine Genossenschaft oder eine Erzeugerorgansiation (EO) handelt. Diesen Begriff gibt es seit 1972 in der Gemeinsamen Marktordnung der EU. Seit 1996 gelten in der Bundesrepublik daür feste Kriterien wie Mindestumsatz und Mindestmitgliederzahl. In Deutschland sind Erzeugerorganisationen zu 80 Prozent als eingetragene Genossenschaft anerkannt, die anderen Rechtsformen sind eine Aktiengesellschaft oder GmbH. Das besondere: Sie können im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) im Bereich Obst mit operationellen Programmen für Qualität, Nachhaltigkeit oder bei der Einführung neuer Produkte besonders gestützt werden. Der Entwurf zur nächsten GAP ab 2020 sieht die Ausweitung auf andere Marktsegmente vor. Die bekanntesten EO gibt es für Olivenöl, Kulturpflanzen, Rind- und Kalbfleisch.
Seit 2013 darf auch ein Branchenverband gestützt werden. Der wirkt stufenübergreifend und galt lange für den Milchbereich als Lösung für eine stärkere wirtschaftliche und politische Stimme. Daraus wurde aber nichts und es gründete sich lediglich ein Interessengemeinschaft Genossenschaftliche Milchwirtschaft (IGM) [1].
Bei den Genossenschaften unterscheidet van Galen zwischen reinen und gemischten Formen. Die gemischten Genossenschaften verarbeiten und vermarkten auch die Rohware. Dadurch haben sie andere Ziele als die Mitglieder, denn sie wollen den Rohstoff möglichst preisgünstig beziehen. Die Milchgenossenschaften sind am weitesten verbeitet und werden EU-weit von 22.000 Genossen mit einem Gesamtumsatz von 350 Milliarden Euro gebildet. Doch wie beim Strukturwandel in der Landwirtschaft werden auch die Genossenschaften im Trend immer größer. Je diverser die Produktpalette der Molkerei ist, desto höher grundsätzlich der Erzeugerpreis für die Milch.
Bergmilch, Brexit-Milch und Granatapfel
Für diese Erkenntnisse hätte es sicherlich keiner Anhörung bedurft. Aber der Blick durch die europäische Brille hat erneut gezeigt, dass die Landwirtschaft der EU bis auf Ausnahmen nicht die Erfordernisse der deutschen Landwirtschaft widerspiegelt.
Dr. Robert Zampieri ist Direktor der Bergmilch-Genossenschaft in Südtirol. Mit 28 Kühen und 300.000 kg Jahresmilchleistung ist die Berglandwirtschaft in dieser Region nahe am europäischen Durchschnitt. Aber dennoch sind die Almen und Alpen etwas Besonderes. Alleine für die Erfassung der Milch legen die Tanklaster täglich 4.000 Kilometer für 2.500 Milchbauern zurück. Die Abnahmegarantie sichert den Landwirten die Abholung. Platz für eine zweitägige Abholung haben die wenigsten. Diese Milcherzeugung ist für private Molkereien auf Dauer nicht wirtschaftlich, was Zampieri wie folgt zusammenfasst: „Genossenschaften sind fundamental für das Überleben der kleinen Betriebe.“ Die Molkerei verarbeitet 90 Prozent der Rohmilch zu Käse und Joghurt, was durch den regionalen Absatz doch noch zu einem wirtschaftlichen Erfolg führt. Dennoch finden die meisten Betriebe keine Hofnachfolger mehr und das Milcheinkommen macht mittlerweile nur noch einen kleinen Teil des Haushaltsgeldes aus. Die Betriebe sind mehr auf eine „gesunde touristische Struktur“ angewiesen. Exporte gestalten sich als schwierig, weil Auslandsmärkte die Region kaum kennen und höhere Preise nicht verstehen. Aus der ersten Säule erhalten die Bergbauern lediglich 100 Euro je Hektar. Das meiste Geld stammt aus der Ausgleichszulage und den Umweltprogrammen der zweiten Säule. Daher dürfen sich die Bergbauern auf die operationellen Programme für den Milchsektor in der nächsten GAP freuen.
William Irvine von der Ulster Farmers Union in Nordirland beklagte den Brexit-Stillstand, der den Landwirten seit mehr als 600 Tagen nichts über deren Zukunft verrät. Wöchentlich gehen rund 10.000 Schweine aus der Republik Irland zum Schlachten in den Norden. Umgekehrt geht ein Viertel der Rohmilch in die Molkereien des Südens. Vorbeugend zu einer neuen Grenze haben die Molkereien Lakeland und LacPatrick Dairies diesen Oktober ihre Fusion besiegelt und wollen ihre eigene Verarbeitungskapazität ausbauen. Kein Deal werde dem nordirischen Milchmarkt einen Schock versetzen.
Im Süden Italiens werden Granatäpfel überwiegend als Zierapfel angebaut. Die neu gegründete Kooperative „Pomgrana“ hat sich die Betriebe für eine Vermarktung des Granatapfels im Lebensmittelhandel angeschaut und bietet individuelle Dienstleistungen an. Die Genossenschaft könne Forschung und Technik für die Betriebe entwickeln und helfen, eine ganz neue Lieferkette aufzubauen. Möglich sei auch der Einstieg in eine Weiterverarbeitung, erklärte Geschäftsführer Domenico Annicchiarico.
Möglichkeiten vorhanden
Angebotsbündelung, Investitionsprogramme, Marketinghilfe und die Schaffung neuer Märkte sind alles andere als neu. Für die operationellen Programme dürfen die Mitgliedsländer bis drei Prozent der Direktzahlungen ausgeben. Die Anhörung vom Montag hat die Vorteile von Genossenschaften aufgezeigt. Die sind aber in der Regel nicht so groß wie in Deutschland, wo die Vorteile Raiffeisesn nicht mehr gegebenseien, kritisierte der Grüne Martin Häusling. Wegen des Brexits müssen sich die EO neue Gedanken machen. Sie dürfen lediglich bis 3,5 Prozent der europäischen Milchmenge bündeln. Das sind nach Berechnungen der Milcherzeugergemeinschaft Bayern (MeG) rund 5,7 Milliarden Kilo Milch. Wenn die EU nur noch 27 Mitglieder hat verringert sich die maximale Bündelungsmenge auf 5,2 Milliarden Kilo. Neue Mitglieder sollten sich also beeilen, bevor die Deckelung einen Eintritt unmöglich macht. Ansonsten arbeitet Deutschland mit einer Sektorstrategie Milch und der Drohung, mit dem § 148 ordnungsrechtlich bei den Lieferverträgen zur Stärkung der Milchbauern für stabilere Preisen durchzugreifen. Die Jahrestagung des Milchindustrie-Verbandes bleibt skeptisch, ob damit die Ziele erreicht werden können [2].
Lesestoff:
[1] Branchenverband oder IGM? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/braucht-die-milchwirtschaft-einen-branchenverband.html
[2] Risikofaktor Politik für den Milchmarkt: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/risikofaktor-politik-fuer-den-milchmarkt.html
Roland Krieg