Geiz kann auch giftig sein

Landwirtschaft

Wer will schon Pestizide essen?

>Im Gegensatz zur Bioware enthalten konventionelle pflanzliche Lebensmittel regelmäßig Pestizidrückstände. "Wir sind alarmiert, denn immer häufiger werden sogar die gesetzlichen Grenzwerte überschritten", so Chemieexperte Manfred Krautter von Greenpeace auf dem PresseForum der BioFach in Nürnberg.
Bei 21 Prozent der untersuchten Produkte von sieben führenden Supermärkten in Deutschland hat die Umweltorganisation Rechtsverstöße festgestellt und Anzeige erstattet. Spitzenreiter erzielten Tafeltrauben, bei denen 35 Prozent die Grenzwerte erreichten oder überschritten. Paprika folgte zu 27, Salate mit 24 Prozent. Trinkwasser hat sehr viel strengere Grenzwerte als Babykost oder konventionelle Lebensmittel. Das seien "nicht nachvollziehbare Standards" so Krautter.
Besonders bedenklich sind dabei Pestizid-Cocktails, für die es keinen Summengrenzwert gibt. Bauern mischten Pestizide jeweils unterhalb der einzelnen Grenzwerte zu einem brisanten Gemisch zusammen. Im Urin von Kindern, die überwiegend konventionelle Nahrung z sich nehmen, sind die Rückstandsmengen an Organo-Phosphaten sechs Mal höher als bei "Bio-Kindern".
Das gerade auch die Kombination verschiedener Pestizide gefährlich ist, zeigte Prof. Irene Witte, Leiterin der Arbeitsgruppe Biochemie/Toxikologie der Universität Oldenburg. "Stoffe, die einzeln noch harmlos sind, können kombiniert in derselben Konzentration giftig wirken." Ihre Untersuchungen ergaben, dass ein Gemisch um so giftiger wird, desto mehr Komponenten es erhält. Acht verschiedene Stoffe können in einem Lebensmittel enthalten sein. Dabei sind Summengrenzwerte einfach zu berechnen. Dieser Wert berücksichtigt den prozentualen Anteil eines Stoffes in einem Gemisch in Relation zu seiner eigenen Toxizität. Die Summe aller so berechneten Einzelstoffe bildet dann den Summengrenzwert für das gesamte Gemisch.

Auch Bioprodukte haben Pestizidrückstände: bei 13,6 Prozent der Waren sind diese nachweisbar, bei 0,8 Prozent liegen die Mengen über dem Grenzwert. Der konventionelle Vergleich: 49 und 8,7 Prozent. Aber eigentlich sind es keine Rückstände, wie Nicolai Fuchs, Leiter der Sektion für Landwirtschaft der Freien Hochschule für Geisteswissenschaften am Goetheanum in der Schweiz, definiert. Pestizide werden im Prozess Ökolandbau nicht eingesetzt und bleiben daher nicht als "Rückstand" zurück. Die enthaltenen Mengen sind von außen hereingetragene Verunreinigungen. Er bezeichnet die Hochtechnologie, auch gerade die Präzisionslandwirtschaft, als Dinosaurierlandwirtschaft, die ökologisch verloren ist. Die Betriebe, die hochentwickelte Technik einsetzen, um den Krankheitsbefall sensorisch zu erkennen und fast pflanzengenau Pflanzenschutzmittel ausbringen, sind verschuldet und können daher kaum noch auf den ökologischen Landbau umstellen. Fuchs plädiert für das Verursacherprinzip zur Steuerung der Betriebsmittel. In Frankreich zahlen die Bauern eine Pflanzenschutzabgabe an die Klärwerke, die das Trinkwasser wieder aufbereiten müssen. Die neuseeländischen Bauern zahlen eine CO2-Abgabe.
Generell triebe die Einführung der Summengrenzwerte die Bauern "in die Arme des Ökolandbaus". Möglicherweise bliebe die konventionelle Ware dabei auf der Strecke. Prof. Witte bezeichnete die Bewerbung von Pflanzenschutzmittel als intelligente Lösungen für die Bauern als falsch. Der Ökolandbau hat viele erfolgreiche Alternativen parat, wie auch die BioFach demonstriert. "Die Zukunft hat", so Fuchs, "eine intelligentere Landwirtschaft verdient."

Bei rund 400 Pflanzenschutzmitteln, die momentan in der EU zugelassen sind (insgesamt hat die EU bereits 800 von der Liste gestrichen), ist es für die Toxikologen unmöglich alle Wirkkombinationen zu erforschen. Die Wirkungen können sich addieren, aufheben oder verstärken. Krautter: "Wenn man Chemikalien macht, muss man sie auch so machen, dass sie keine Auswirkungen auf die Umwelt und den Organismus haben." Das entspräche dem Vorsorgeprinzip.

roRo

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