Genom Editing: Wissenschaft, Recht und Politik

Landwirtschaft

Neue Gentechnik und alte Diskussionen

Am kommenden Freitag wird die EU-Kommission ein Papier zur neuen Gentechnik veröffentlichen.  Aktuell gibt es weder Hinweise, in welche Richtung, noch zu was sich die Kommission positionieren wird. Ministerialdirigent im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMU), Rudolf Ley, hat bislang, „aus Brüssel überhaupt keine Signale erhalten“.

BMU-Positionen

Vorsichtshalber hat seine Ressortleiterin Svenja Schulze am Dienstag ein Positionspapier zum Thema „Gentechnik in der Landwirtschaft“ veröffentlicht. „Auch Neue Gentechnik ist Gentechnik. Jedes gentechnisch veränderte Produkt in der EU soll weiterhin auf sein Risiko geprüft und gekennzeichnet werden.“ Das Statement bezieht sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) aus dem Jahr 2018 [1].

Schulze leitet drei politische Aufgaben für die Koalition ab: Die Risiko-Einschätzung muss dem Vorsorgeprinzip für Mensch und Umwelt folgen. Den Verbrauchern muss eine Wahlfreiheit zwischen gentechnisch veränderten  und nicht veränderten Produkten bereitgestellt werden und ein langfristiges Monitoring der Nutzung muss die Auswirkungen auf Mensch und Umwelt in Blick haben.

Daraus folgert das BMU das Fortbestehen einer strikten Regulierung auch der Neuen Gentechnik, eine Weiterentwicklung der Umweltrisikoprüfung, die Entwicklung von   Nachweisverfahren für Neue Gentechnik, eine Kennzeichnung in der gesamten Lieferkette plus verpflichtende Kennzeichnung auch bei tierischen Produkten, für deren Vorerzeugnisse Neue Züchtungsmethoden genutzt wurden, die Opt-Out-Option für EU-Länder und eine Änderung des Patentrechtes sowie dem Ausbau der Züchtung mit klassischen Züchtungsmethoden.

Schulze kritisiert die GVO-Gegner-Kritiker, weil diese schnell den Akteuren Fortschrittsfeindlichkeit vorwerfen. „Die Gentechnik kann segensreich sein, wie die Entwicklung des aktuellen Impfstoffes gegen Corona zeigt“, erklärte Schulze, das sei aber ein „geschlossenes System“. In der Landwirtschaft können sich GV-Nutzpflanzen ausbreiten und sind nicht mehr zurück zu holen. Die Landwirtschaft brauche ein neues systemisches Denken, für die standortangepasste und widerstandsfähige Sorten zu entwickeln sind.

95 Prozent der Verbraucher lehnten die grüne Gentechnik ab. Ein Votum, das die Politik in die Plicht nehme.

Nur ordentlich zusammengefasst

Das siebenseitige Papier fasst die aktuellen Argumente der Gegner ordentlich gegliedert zusammen. Aber: Die Pressekonferenz zeigte auch: Die Politik beruft sich auf die Justiz und blickt nur selektiv auf die Wissenschaft.

Bio und Gentechnik können auch zusammen stehen. Das wird nicht nur in den USA praktiziert, sondern auch in Europa von beispielsweise Urs Niggli so gesehen, der die neuen Techniken der Genom Editierung (GE) als Baustein für eine Verbesserung  der Pflanzenzüchtung auch für den Ökolandbau für sinnvoll hält. Der ehemalige Direktor des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) wird seitdem von der Ökobranche geschmäht und bringt die alten GVO-Gegner in Argumentationsnöte [2]. Das Thema polarisiert. Unter den  „Neuen Züchtungstechniken“  (CRISPR/Cas 9) ist ein ganzes Bündel an verschiedenen Techniken zusammengeschürt, bei denen auch kein Fremdgen eingebracht wird. Diese Beschreibung ist im BMU-Positionspapier enthalten.

Solche Unterscheidungen werden aber von der SPD-Ministerin nicht akzeptiert. Jede Veränderung im Genom führe zu unabsichtlichen On- und Off-Effekte, also zu unerwünschten Effekten innerhalb der Pflanze und extern nach außen.

Wer hat die Hälfte weggelassen?

Auf die Frage, wessen Sichtweise das BMU für ihr Positionspapier eingenommen hat, ob es nur die der deutschen GVO-Kritiker seien, oder auch die Wissenschaftler wie Urs Niggli, sagte Schulze zu Herd-und-Hof.de, es gebe solche und solche Studien. Auch die Universität Göttingen veröffentliche „alle paar Jahre“ Studien, bei denen auf einen Nutzen hingewiesen werde. Der Ökolandbau arbeite aber völlig anders in einem ganzheitlichen Ansatz. Man müsse sich immer die Frage stellen, wer die Studien finanziere.

Später führte sie eine Studie an, bei der für die Zucht auf hornlose Rinder mit GE in den USA eine Antibiotikaresistenz  als unerwünschter Nebeneffekt aufgetreten ist.

Herd-und-Hof.de hat die Studie in Nature Biotechnology gefunden [3]. Die gentechnische Veränderung wurde 2015 durchgeführt und 2019 entdeckten Forscher, dass dabei Erbgut von Bakterien im Rahmen des Verfahrens eingeschleust wurde. Das kann bei den Nachkommen eine Antibiotikaresistenz vermitteln.

Im Vorwort derselben Ausgabe (!) von Nature Biotechnology wird auf den Artikel von Scott Solomon vom Center for Veterinary Medicine innerhalb der US-Behörde für Lebensmittelsicherheit (FDA) verwiesen [4]. Solomon bekräftigt darin, dass das FDA in seinem erstmals 2017 niedergeschriebenen Entwurf für die Zulassungsregulierung, alle gen-editierten Tiere als potenziell gefährlich eingestuft werden. Egal ob konventionell oder gentechnisch editiert. Die darin niedergeschriebene prozess- und nicht produktorientierte Bewertung geht über verschiedene Fassungen bis in das Jahr 1986 zurück, als das Office of Science and Technology Policy das Mandat zur Pflichtprüfung erstmals angelegt hat.

Solomon beklagt, dass das US-Landwirtschaftsministerium jüngst von dieser Praxis abgerückt ist und fordert die amerikanische Politik zu einer Umkehr auf. Die verpflichtende Risikoanalyse werde nicht mehr verfolgt. Der zeitliche Bezug verweist auf die Trump-Präsidentschaft.

Solomons Schlussfolgerung ist eindeutig: „Das Auftreten einer unerwünschten genetischen Veränderung, beweise nicht notwendigerweise, dass das Editieren eines tierischen Genoms unsicher ist, weder für das Tier noch für den Menschen, der das Tier als Lebensmittel nutzt.“ In mehr als 30 Jahren gibt es nach Ausführung von Solomon lediglich einen einzelnen Fall, bei dem ein tierisches Lebensmittel ein Risiko darstellen kann.

Solomon führt aber auch das Problem einer Leukozytenmangelerkrankung bei Rindern an, die bei konventioneller Kreuzung von Tieren mit zwei rezessiven Anlagen hervortritt – und in diesem Fall tödlich endet. Es gebe allerdings nirgendwo auf der Welt eine Pflichtprüfung auf diese Krankheit. Auch wenn Genom Editing nicht die präziseste Form der Züchtung ist, so biete die natürliche und damit konventionelle Züchtung bei 86,5 Millionen normalen Mutationen im Rindergenom ausreichend Möglichkeiten für unerwünschte Nebeneffekte. Der Veterinär bekräftigt die Vorsicht der FDA, weil es nur wenige Unternehmen gibt, die auf diesen lukrativen Markt des GE setzen. Und der Tiermediziner weiß, dass es auf der anderen Seite ein Heer an GVO-Kritikern gibt. So ist das erste von der FDA vor fünf Jahren als sicher eingestufte Nutztier, ein Lachs, ausschließlich wegen anhaltender Gerichtsprozesse noch nicht auf dem Markt: weil die Kritiker „victorian farming practises“ anhängen., moniert Solomon.

Solomon kommt in derselben Ausgabe zu dem Schluss, dass ein Kompromiss zwischen Praxis des Ministeriums und den Leitlinien der FDA darin liegen könnte, die verpflichtende Risikobewertung nur bei den Ausgangslinien durchführen müsste.

Auf wen hört Schulze?

Die Ministerin kennt nur den Titel der Studie. Die Zusammenfassung kam von Testbiotech. Diese Organisation kam in die 2018 eingeführte „Fachstelle für Gentechnik und Umwelt“ im BMU [5]. Die mögliche Voreingenommenheit des FGU und seinen Teilnehmern hat schon zu offiziellen Anfragen im Bundestag geführt. Wer die Rinderstudie im Heft gelesen, oder die Links bei Nature Biotechnology verfolgt hat, musste zwingend auf den Solomon-Inhalt aufmerksam werden.

Wenn also Svenja Schulze die Frage nach Herkunft und Interessen für Studien stellt, müsste sie in der Berliner Stresemannstraße damit anfangen. Genom Editing steht übrigens auch als Instrument in der von allen Bundestagsparteien gern zitierten Farm-to-Fork-Strategie.

Differenzierungen statt Pauschalisierung

Für den mühsamen Weg zu einer differenzierten Betrachtung hat sich Australien entscheiden, die bei Techniken ohne Fremdgene die Methodik freistellen [6 und 7]. Zumal die Wissenschaft sich weiterentwickelt und mittlerweile mit dem Austausch von einzelnen Basen auskommt [8 und 9].

In dem Zusammenhang darf man die „95 Prozent GVO-Verweigerer“ unter den Konsumenten kritisch betrachten. Sind sie so uninformiert wie die Ministerin? Das EuGH hat die ionisierenden Strahlen für die Neuzüchtung von Nutzpflanzen gänzlich ausgeklammert. GE-Technik ohne Fremdgen, aber mittels radioaktiven Strahlen veränderte Nutzpflanzen sind erlaubt?

Bei dieser Frage sprang Rudolf Ley der Ministerin bei: Der EuGH habe diese Form der Mutation zugelassen, weil das Gericht eine „history of long safe use“ unterstellt. Dafür allerdings muss eine neue Technik auch erst einmal „eine lange Sicherheitsgeschichte“ aufweisen dürfen.

Ergänzt hat die Antwort Thomas Meise vom Bund für Naturschutz (BfN). Er sagte, das würde nur marginal genutzt. Er irrt. „Weltweit sind über 2000 neue Sorten auf diese Weise gezüchtet worden. Dazu zählen beispielsweise ein Großteil der Hartweizensorten, die für die Herstellung von Pasta verwendet werden, aber auch viele andere Getreidesorten, Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte“, weiß das Wissenschaftsportal Pflanzen.Forschung.Ethik [10]. Deren Zulassung ist an ein aufwendiges Rückkreuzen für eine Sicherheitsbewertung gebunden.

Pilton

Die mittelständische Züchterfamilie in Deutschland hat sich mit dem Pilton-Projekt genau auf den langen Weg der Beweisführung gemacht [11]. Wer das pauschal von vornherein ablegt, der wird sich auch dem Verdacht stellen müssen, eine Politik der Angst zu betreiben [12].

Lesestoff:

[1] EuGH-Urteil: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/eugh-urteil-zu-genom-editing.html

[2] Koexistenz GE und Ökolandbau: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/koexistenz-von-klassischer-zuechtung-und-genom-editing.html

[3] Alexis L.: Template plasmid integration in germline genome-edited cattle: in Nature Biotechnology, 38, 163-164 (2020) from 07 February 2020 https://doi.org/10.1038/s41587-019-0394-6

[4] Editorial: Course Correction in: Nature Biotechnology 38, 113 (2020) from 07 February 2020 https://doi.org/10.1038/s41587-020-0433-3 verweist auf den Artikel von Steven Solomon; Genom editing in animals: why FDA regulation matters: https://doi.org/10.1038/s41587-020-0413-7

[5] Wie Testbiotech zur FGU kam: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/wie-testbiotech-zur-fgu-kam.html

[6] Australien macht Unterschiede: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/das-neue-gentechnikgesetz-in-australien.html

[7] Welches GE-Verfahren hat eine Chance? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/welches-ge-verfahren-hat-eine-chance.html

[8] Base Editing: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/base-editing.html

[9] Ab wann ist es Gentechnik: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/chemie-nobelpreis-fuer-doudna-und-charpentier.html

[10] Verfahren der Mutagenese: https://www.pflanzen-forschung-ethik.de/verfahren/mutagenese.html

[11] Entwicklung von pilztoleranten Weizen. Nicht nur eine züchterische Aufgabe: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/mit-pilton-gegen-vorbehalte.html

[12] Importiert Afrika die GVO-Angst gleich mit? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/braucht-afrika-gruene-gentechnik.html

Roland Krieg

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