Genossenschaften im Jahr 2040

Landwirtschaft

Holzenkamp und Ehlers über die Zukunft der Genossenschaften

Die Landwirtschaft ist erneut in einem Umbruch. Die Digitalisierung verändert die Praxis auf den Betrieben. Mehr noch beschäftigt die Branche die Prognose der DZ Bank, dass sich bis zum Jahr 2040 die Zahl der Landwirte mehr als halbiert. Das hat Auswirkungen auf die vor- und nachgelagerten Bereiche. Nach der Bilanzpressekonferenz des Deutschen Raiffeisenverbandes hatte Herd-und-Hof.de Gelegenheit, mit dem Präsidenten Franz-Josef Holzenkamp und Hauptgeschäftsführer Dr. Henning Ehlers über die Perspektiven der Genossenschaften für das Jahr 2040 zu sprechen.

HuH: In den nächsten Dekaden geht eine sehr tiefgreifende Veränderung in der Landwirtschaft vor sich. Laut DZ Bank wird es von heute 270.000 Landwirten 2040 nur noch 100.000 Landwirte geben. Das ist mehr als der laufende Strukturwandel. Wird sich die Zahl abnehmender Landwirte flächig oder regional auswirken?

Franz-Josef Holzenkamp

Franz-Josef Holzenkamp: Der Strukturwandel in der Agrarbranche ist kein neues Phänomen. Unsere Genossenschaften passen ihre Strukturen kontinuierlich an, gestalten Prozesse schlanker und erschließen neue Geschäftsfelder sowie Dienstleistungen. Im Übrigen denke ich, dass das regional sehr unterschiedlich ist. Um nur einige Beispiele zu nennen: Wir haben im Osten der Republik oder in Schleswig-Holstein schon immer große Ackerbaubetriebe gehabt. Im Nordwesten gab es mit ursprünglich kleinstrukturierten Betrieben auf kargen Böden schon seit jeher stärkeren Anpassungsdruck. Deshalb ist es schwierig, allgemeine Aussagen zu treffen. Was man festhalten darf: Wir können und wollen den technischen Fortschritt nicht aufhalten. Als Genossenschaften wollen wir den landwirtschaftlichen Betrieben als Dienstleister die technischen Möglichkeiten bieten, die die Betriebe alleine nicht finanziell bewältigen können. Ich möchte weniger über Strukturwandel sprechen, sondern mehr über die Chancen, die sich Genossenschaften als Dienstleister für die Bauern bieten. Vor allem auch im Zuge der Digitalisierung.

HuH: Die Landwirte, die aufgeben, wirtschaften in den absoluten Grünlandgebieten und auf Ackerbaustandorten mit weniger als 30 Bodenpunkten?

Franz-Josef Holzenkamp: Das würde ich so pauschal nicht sagen. Die Zukunft nur an den Bodenpunkten festzumachen greift zu kurz. Auf ertragsschwachen Standorten haben sich arbeitsintensive Produktionsrichtungen wie die Tierische Veredelung, Obst-, Gemüse oder Kartoffelanbau etabliert. Diese Betriebe können gut eine Entlastung in der Außenwirtschaft gebrauchen und da können Genossenschaften helfen. Sie werden Dienstleistungen für alle Betriebe anbieten und den Eigentümern helfen, mit der Zukunft fertig zu werden. Unser Ziel ist es, den Betrieben dadurch neue Perspektiven zu geben und den Strukturwandel abzumildern.

HuH: Auch die Genossenschaften verlieren die Hälfte ihrer Mitglieder. Was heißt das denn für die Genossenschaften selbst?

Franz-Josef Holzenkamp: Wenn wir die Primärgenossenschaften von der Zahl und der Größe her mit denen von vor 20 Jahren vergleichen, dann hat bereits ein gigantischer Strukturwandel stattgefunden. Wir versuchen, mit Kooperationen auch zwischen Haupt- und Primärgenossenschaften ein flächendeckendes Angebot zu sichern. Wir wollen auch das Wettbewerbsrecht optimieren. Wenn heute zwei Primärgenossenschaften die Synergien im Back-Office-Bereich optimieren wollen, setzt das eine offene Kommunikation voraus. Das lässt aber das Kartellrecht heute nicht zu. Wir sind in Diskussionen mit dem Bundeskartellamt und dem Bundesministerium für Wirtschaft, damit eine Anpassung gemäß dem Koalitionsvertrag erfolgt. Das Kernland des Genossenschaftswesens ist der Ländliche Raum. Deshalb sollen dort Produktionsstätten, Arbeitsplätze und Raiffeisenmärkte als Treffpunkte erhalten bleiben.

HuH: Die Digitalisierung wird die Menge an Pflanzenschutzmittel um 90 Prozent reduzieren, bei den Düngemitteln ist es heute schon so, dass kleinere Partien gekauft werden. Die Genossenschaften nehmen weniger ein. Wie geht sich das aus?

Dr. Henning Ehlers

Dr. Henning Ehlers: Die Digitalisierung ist ein Hilfsmittel, um den Einsatz von Pflanzenschutz- und Düngemitteln bedarfsgerecht auszugestalten. Sie kann dazu beitragen, dass die Pflanzen punktgenau so versorgt werden, wie es sein muss.

Die Digitalisierung ist auch für die Genossenschaften innerbetrieblich ein Hilfsmittel für die Verschlankung von Organisationsprozessen. Sie ist ein Ausdruck von technischem Fortschritt, den wir nur begrüßen können. Sie dient der Arbeitserleichterung und der nachhaltigen Bewirtschaftung. Eine Mengenreduktion um 90 Prozent sehen wir im Übrigen nicht. Weder bei Pflanzenschutz-, noch bei Düngemitteln.

Franz-Josef Holzenkamp: Es findet ja ein gesamtgesellschaftlicher Transformationsprozess in der Landwirtschaft statt. Und dieser Transformationsprozess wird auch im Genossenschaftswesen stattfinden. Und zwar stärker in Richtung Dienstleister und weg vom Versorger wie in der Vergangenheit.

HuH: Stichwort Dienstleister: Die Genossenschaften stehen im Wettbewerb mit dem Agribusiness. Ein Beispiel: Konventionell gezüchteter Clearfield-Raps im Paket mit einem Pflanzenschutzmittel und Beratung. Ist das ein Weg, den die Genossenschaften auch gehen sollten?

Franz-Josef Holzenkamp: Die Genossenschaften sind eine Bündelung von Landwirten. Das sind unsere Eigentümer. Uns ist wichtig, dass die einzelnen Primärgenossenschaften eine Marktstärke haben, die es ihnen erlaubt, auf Augenhöhe mit der Industrie zu sein. Uns ist wichtig, dass wir eine Unabhängigkeit gegenüber der Industrie behalten. Deswegen können wir individuelle Dienstleistungspakete für die Landwirtschaft anbieten. Wir sehen das partnerschaftlich mit der Industrie, die wir brauchen, aber auch in Abgrenzung. Wir wollen im Sinne unserer Landwirte nicht nur ein Befehlsempfänger eines multinationalen Industrieunternehmens sein.

HuH: Genossenschaften sind in der Region verortet. Das ist für die Landwirte wichtig, für die Entwicklung des ländlichen Raumes, den Erhalt der ländlichen Strukturen. Heißt das auch, dass sich die Genossenschaften entlang der Wertschöpfungskette in Richtung Verarbeitung und Vermarktung weiter entwickeln können? Wann kommt das erste Raiffeisenbrötchen auf den Markt?

Dr. Henning Ehlers: Bäckereigenossenschaften sind fest im Markt etabliert. Unsere Genossenschaften sind seit Jahrhunderten in einem Transformationsprozess. Sie sind horizontal diversifiziert. Sie betreiben neben dem Erfassungsgeschäft zum Beispiel Tankstellen und Raiffeisenmärkte. Sie steigen in den internationalen Handel ein und bauen neue Handelsketten auf. Daher will ich für die Zukunft nichts ausschließen. Damit komme ich wieder auf die Digitalisierung, mit der Landwirte teure Prozesse, die sie alleine gar nicht stemmen können, dank der Genossenschaft gemeinsam nutzen können. Ich blicke zuversichtlich und optimistisch auf die Entwicklung der Zukunft.

HuH: Herzlichen Dank für das Interview

Die Fragen stellte Roland Krieg; Fotos: roRo

Das Interview erschien zuerst im Bauernblatt Schleswig-Holstein

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