Gentechnik braucht neue Kommunikation
Landwirtschaft
Gentechnik: Sicherheitsforschung und Forschungsallianz
Das Jahr 2010 hat zwei Schallmauern durchbrochen: In Deutschland wurde erstmals auf mehr als einer Million Hektar Fläche ökologische Landwirtschaft betrieben. Weltweit wurden 2010 erstmals auf mehr als einer Milliarde Hektar gentechnisch veränderte Pflanzen angebaut. Das Hin und Her prägte auch die Termine in dieser Woche: Am Montag reichte der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft eine Petition beim Bundestag gegen die grüne Gentechnik ein, am Dienstag präsentierte sich in München im Rahmen der Bayerischen Forschungsallianz das Verbundprojekt Forplanta, das interdisziplinär Grundlagenforschung für den Pflanzenbau und gesellschaftliche Bewertung der grünen Gentechnik voranbringen möchte und am Mittwoch stellten Biosicherheitsforscher auf dem Statusseminar des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) in Berlin ihre abgeschlossenen Projekte vor.
Gentechnik neu kommunizieren
Die Kultur der Risikokommunikation muss gepflegt
werden, bevor das Ganze in eine Unkultur abgleitet. Das sagte in Berlin Dr.
Stephan Schleissing, Kirchenrat und Beauftragter für Naturwissenschaft und
Technik der Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Bayern. Dr. Schleissing ist
auch Geschäftsführer des Instituts Technik-Theologie-Naturwissenschaften (TTN) an
der Ludwig-Maximilians-Universität München und will mit der „reflexiven
Wissenschaft“ einer Güterabwägung die Diskussion um die grüne Gentechnik neu
gestalten.
Gerade hier treffe die „german Angst“ auf Fakten aus
der Naturwissenschaft. Unvereinbar weil die „harten Fakten“ auch umstritten
sind und weil die Landwirtschaft heute zwischen Idyll und Dystopie, dem
negativen Gegenentwurf von Thomas Morus´ Utopia, gesehen wird. Das Verständnis
von „Natur“ und „Natürlichkeit“ ist zu einem Wertekonflikt geworden, so Dr.
Schleissing. Auf dem Spiel steht jeweils gleich das individuelle Weltbild.
Dr. Schleissing nimmt sich das Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes vor, das in seiner Begründung für die Ablehnung der Normenkontrollklage
des Landes Sachsen-Anhalts gegen das Gentechnikgesetz formulierte, die Erkenntnisse
der Wissenschaft seien „noch nicht endgültig geklärt“. Welche Sicherheit brauche
wissenschaftliches Wissen, fragt der Theologe. Könne denn die Wissenschaft
endgültige Antworten überhaupt vorlegen? Das Bundesverfassungsgericht half sich
aus der Klemme und legte der Politik die ergänzende Sorgfaltspflicht auf.
Doch nur relative Antworten sind möglich. Auch das „Nichthandeln“
beinhalte eine Gefahr - die der Nichterfüllung von Chancen, wägt Dr.
Schleissing ab. So sind die mittlerweile erhobenen Forderungen nach Einbeziehung
sozioökonomischer Kriterien bei der Bewertung neuer Technologien folgerichtig.
Das habe die EU schon in ihrer Verordnung über die Grundsätze für das
Lebensmittelrecht (EG 178/2002) aufgeschrieben. Danach liefert die
wissenschaftliche Risikobewertung nicht alleine alle Informationen für das
Risikomanagement.
So müsse sich der technische Fortschritt, um
fortschreiten zu können, moralisch rechtfertigen lassen. Aber, so warnt Dr.
Schleissing: Die Moral müsse entideologisiert sein.
Die „reflexive Wissenschaft“ kommuniziert nicht mehr
nur Gefahren und Chancen, sondern wägt Güter ab. Dann informiert die
Wissenschaft die Politik „über die lebensweltliche Perspektivenabhängigkeit der
Einstellungen zur Grünen Gentechnik“. Sie beinhaltet eine „Selbstbegrenzung der
Wissenschaft“, die Sicherheit von Technik nicht absolut, sondern in
Abhängigkeit zu Wahrscheinlichkeitsszenarien beschreibt. Widersprüche werden
nicht im Gegensatz „rational-irrational“ dargestellt, sondern als „Berechtigung
vielfältiger Formen der praktischen Vernunft“.
Keine Belege für ökologische Schäden
Das BMBF hat bis heute mit über 100 Millionen Euro mehr
als 300 Vorhaben zur Sicherheitsforschung gefördert. Davon haben sich 120
Projekte mit der Sicherheitsforschung gentechnisch veränderter Pflanzen
beschäftigt. Der Tenor der Berliner Veranstaltung: Die aktuelle Forschung
liefert keine Belege für ökologische Schäden.
Dr. Stefan Rauschen von der RWTH Aachen stellte die
Ergebnisse verschiedener Untersuchungen vor, die Wechselwirkungen zwischen
Bt-Mais und der Umwelt analysierten. Als Pflanze wurde eine Kreuzung zwischen zwei
Maissorten gewählt, die gegen den Westlichen Maiswurzelbohrer und gegen den
Maiszünsler resistent sind. Dabei konnten im Kreuzungsprodukt gleich drei veränderte
Proteine, Cry3Bb1 sowie Cry1A.105 und Cry2Ab2 untersucht werden.
Die Ergebnisse zeigten, dass das gegen den Wurzelbohrer
wirkende Protein Cry3Bb1 im wurzelnahen Boden lediglich mit einer Konzentration
von weniger als ein Nanogramm je Gramm Boden vorliegt, die beiden anderen
Proteine in 93 Prozent der Fälle gar nicht erst aufgespürt werden können. Auf
Bienen haben die Proteine ebenfalls keine Auswirkungen, so Dr. Rauschen. Es
wurden auch Bt-Proteine bei Bienen entdeckt, die keinen Kontakt zu verändertem
Mais hatten – sie hatten natürliches Protein des Bacillus thuringiensis (Bt) aufgenommen.
Auch auf die Nematodenpopulation haben die Proteine keine Auswirkungen. Verschiedene
konventionelle Maissorten und eine sandige Bodentextur wirken mehr auf die
Fadenwürmer als die gentechnisch veränderte Maisvariante.
Höhere sortenspezifische Auswirkungen auf Boden und
Fauna als durch gentechnisch veränderte Pflanzen konnte auch Prof. Dr. Inge
Broer von der Universität Rostock bestätigen. Sie forscht vor allem an Pflanzen
mit pharmazeutischen oder industriell verwertbaren Inhaltsstoffen. Das Risiko
ist nach Prof. Broer vor allem vom verwendeten Transgen und der der genutzten
Kulturpflanze abhängig. Die Sicherheitsforschung geht soweit, dass selbst für
Industriekartoffeln Allergie- und Toxizitätstests durchgeführt werden - falls
die Knolle doch einmal irrtümlich gegessen werden sollte.
Prof. Broer definierte die gute wissenschaftliche
Praxis. Danach sind nur klare Ursachen-Wirkungseffekte darzustellen. Die
Hazard-Risk-Untersuchung muss die mögliche Exposition des veränderten Proteins
darlegen und Schlussfolgerungen aus Untersuchungen sollten nicht über das
erhobene Datenmaterial hinausgehen.
Bayerischer Forschungsverbund Forplanta
Im Rahmen der Bayerischen Forschungsallianz hat sich am
Dienstag der neue Forschungsverbund Forplanta in München vorgestellt.
Hintergrund sind die mit dem Klimawandel verbundenen Klimaschwankungen, die für
die Nutzpflanzen mehr Trockenperioden und starke Regenfälle nach sich ziehen.
Diesen Ereignissen sind die Pflanzen kaum noch gewachsen. Die Tolerierung der
abiotischen Einflüsse wurde in der Züchtung in den vergangenen Jahrzehnten
vernachlässigt oder ist verloren gegangen. In verschiedenen Modulen werden bis
2013 Forschungsschwerpunkte umgesetzt.
Modul I leitet Prof. Erwin Grill, Botaniker an der TU
München. Hier geht es um die Wassereffizienz von Pflanzen. Die Stomata auf der
Blattoberfläche sind regulierbare Poren, die für den Gasaustausch und den
Wasserhaushalt mit verantwortlich sind. Bei optimaler Wasserversorgung weichen
paarweise angeordnete Schließzellen auseinander und geben die Porenöffnung
frei. Bei Wasserverlust schließen sie sich und mindern den Wasserverlust. Die
Schließzellenregulation wird durch das Pflanzenhormon Abscisinsäure bestimmt.
Bei Wassermangel wird das „Stresshormon“ ausgeschüttet und veranlasst das
Schließen der Zelle. Allerdings setzen die Regelmechanismen der Pflanzen erst
bei akutem Wassermangel ein. Besser wäre ein früheres Aktivieren des Hormons. So
will das Modul „Schaffung genetischer Diversität“ Pflanzen mit erhöhter Abscisinsäure-Sensitivität
erzeugen. Im Vergleich zu transgenen Mutanten wird auch auf natürlich
vorkommende genetische Ressourcen zurückgegriffen.
Prof. Christian Kummer, Leiter für
naturwissenschaftliche Grenzfragen zu Philosophie und Theologie an der
Hochschule für Philosophie leitet das Modul V. Die ethische Begleitforschung im
Verbund folgt der These, dass die Diskussion über die Gentechnik sich nicht
durch eine Abwägung von Chancen und Risiken erschöpft. Es geht mehr um
weltanschauliche Differenzen und unterschiedliche Wertvorstellungen. Die
begründen sich durch unterschiedliche Naturvorstellungen. Die Forschung im
Modul V will die Muster der Debatte zu ihrer Versachlichung herausarbeiten. Sie
will einflussreiche Naturbilder identifizieren und sie ideengeschichtlich
verorten. Die kritische Debatte über die Arbeiten in den anderen Modulen wird
abschließend interpretiert.
Was kann die grüne Gentechnik wirklich leisten?
In Berlin hatte Herd-und-Hof.de Gelegenheit, Dr. Stefan
Rauschen über die Leistung der grünen Gentechnik zu befragen. Zunächst einmal
gebe es durchaus legitime Ängste der Menschen, so Dr. Rauschen, aber es sei
nicht die Aufgabe des Wissenschaftlers sie zu nehmen. Er steht zu seiner
Forschung und will mit vorgelegten Ergebnissen die Menschen überzeugen.
Als das Bundeslandwirtschaftsministerium im Sommer 2009
Mon810 die Zulassung entzog, berief sich Ministerin Ilse Aigner auf eine Studie
über den Zweipunkt-Marienkäfer. Sie hätte sich auch auf die Fütterungsstudie
der TU München beziehen können, die keine veränderten Proteine in Gewebe und Milch fand. Nach Dr. Rauschen werden
allerdings eher die Studien herangezogen, die ein Risiko aufzeigen. Kritisch
sei auch, dass von den ablehnenden Organisationen oft nur die gleichen Wissenschaftler
eingeladen würden, die der Meinung folgen und vorgeben.
Die grüne Gentechnik sei aber kein Allheilmittel zur
Lösung der Welternährung, so Dr. Rauschen. In dem Konzert der Lösungen zwischen
Vermeidung von Nachernteverlusten, Investitionen in den ländlichen Raum und „Good
Governance“ könne die grüne Gentechnik bestimmte kurz- und mittelfristige Lösungen
erzielen. Da sei sie ein Hilfsmittel. Die Angst vor der Gentechnik sei für die
Entwicklungsländer problematisch. Sie nutzen sie nicht, wenn sie sähen, welche
Diskussionen in Europa darüber geführt werden. Die Gegner seien sich nicht über
die globale Wirkung ihrer Kritik im Klaren.
Lesestoff:
www.ttn-institut.de
www.forplanta.de
www.biosicherheit.de
Der Zweipunkt-Marienkäfer und das Mon810-Verbot
Erster Runder Tisch Gentechnik im BMBF
Online-Petition gegen die grüne Gentechnik
Afrika und Gentechnik
Roland Krieg