Gentechnik: EU gibt Verantwortung ab

Landwirtschaft

EU vergrößert den GVO-Flickenteppich

>Die EU-Kommission hatte im vergangenen März versprochen bis Ende des Sommers einen umfassenden Vorschlag für die künftige Politik bei der grünen Gentechnik zu machen. Darauf bezog sich EU-Verbraucherschutzkommissar John Dalli, als die EU-Kommission das Verspreche einlöste. Allerdings hat die EU der Diskussion wohl eher einen Bärendienst aufgebürdet, als einen gemeinschaftlichen Vorschlag gefasst.

Ausstieg in die nationale Agrarpolitik?
Unabhängig von der Diskussion, ob die grüne Gentechnik sinnvoll oder sinnfrei ist, erlaubte sich die EU angesichts der weltweit steigenden Anbauzahlen von gentechnisch veränderten Pflanzen den Status eines kleinen gallischen Dorfes. Nur was nach umfassender Zulassung genehmigt war, durfte auch angebaut werden. Die Schutzklausel des Gentechnikgesetzes erlaubte allerdings nationale Ausnahmen. Zuletzt zog Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner diese für Deutschland beim Verbot der Maissorte MON810. Eine Rolle spielt der Anbau nicht. Aigners Verbot hat die Wissenschaft nur kurz öffentlich Aufregung zeigen lassen, dass die Studie, auf die sich Luxemburg beruft, „einfach schlecht gemacht“ war. Die sachliche Auseinandersetzung fand keinen weiteren Raum und der Runde Tisch Gentechnik seinen Eklat in der letzten Woche, als die Umweltverbände kurzfristig ausgestiegen sind. Das Bundesforschungsministerium habe alle Forschungsansätze abgelehnt, die sich mit den Risiken für Mensch und Natur beschäftigten, begründete Leif Miller, Vizepräsident des Deutschen Naturschutzring (DNR).
Am Dienstag hat die EU-Kommission beschlossen, dass jetzt die einzelnen Mitgliedsstaaten über die generelle Zulassung gentechnisch veränderter Pflanzen selbst entscheiden dürfen. Damit resigniert die EU vor einer übergeordneten Leitlinie, innerhalb derer die Streithähne diskutieren können. Sie überträgt die Verantwortung auf die einzelnen Mitgliedsländer und überlässt diese den jeweils vorherrschenden Trends. Richtungswechsel nach Wahlen eingeschlossen.

Wer entscheidet jetzt eigentlich noch?
In Deutschland hat zwar Ressortchefin Aigner den Hebel zur Schutzklausel in der Hand, die fachliche Diskussion findet aber im Bundesforschungsministerium statt – und die Kritik, nach dem Verlassen des Tisches, auf der Straße. Der Ablehnung außerhalb wissenschaftlicher Gründe ist ausdrücklich Raum geboten worden.
Egal, wie Deutschland sich entscheidet. Jetzt entscheiden 27 EU-Länder individuell. Im Rahmen des gemeinsamen Binnenmarktes müssen dann die Produkte auch in allen übrigen Ländern gehandelt werden dürfen. Dr. Christel Happach-Kasan, agrarpolitische Sprecherin der FDP führte gegenüber Herd-und-Hof.de auf den DLG-Feldtagen aus, dass die Niederländer wohl die Chance nutzen würden, den Anbau zu genehmigen. Dann suchen Nichtregierungsorganisationen nicht nur nach amerikanischen, sondern auch nach holländischen oder slowenischen Lebensmitteln. Schlimmer: Sind Futtermittel im Binnenmarkt dann noch handelbar? Dr. Happach-Kasan fürchtete den Einstieg in die Renationalisierung der Agrarpolitik.

Neue Koexistenzregeln?
Die Kommission hat mit der neuen Regelung auch die Empfehlung gegeben, die Koexistenzregeln zu überarbeiten. Derzeit wird die Koexistenz noch im Zusammenhang mit der 0,9 Prozent-Regel gesehen, ab der Nahrungs- und Futtermittel gekennzeichnet sein müssen. Der Schwellenwert könnte deutlich abgesenkt werden, denn die Kommission führt aus, „dass sich der potenzielle Einkommensverlust für Nicht-GVO-Erzeuger wie Öko-Erzeuger und mitunter konventionelle Erzeuger nicht auf die Überschreitung des Schwellenwertes für die Kennzeichnung beschränkt.“
Unabhängig von der Kommissionsentscheidung hat der Deutsche Imkerbund (D.I.B.) in der letzten Woche bereits den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen wiederholt abgelehnt. Bienen und Bienenprodukte seine durch die Gentechnik besonders betroffen und eine übergroße Mehrheit der Bevölkerung lehne sie in Lebensmitteln ab. Schon die bereits bestehende Abstandsregelung reiche für eine Koexistenz aus. Der D.I.B. forderte erneut einen „Unterglasanbau“ bei Gen-Versuchen.

Vergiftetes Geschenk und Regelungswut
Dallis Vorschläge finden in Deutschland keine Mehrheit.
Dr. Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Linken sprach von einem „vergifteten Geschenk“. „Es hört sich für viele gentechnikkritische Länder wie zum Beispiel Österreich oder Ungarn verlockend an, wenn sie die Gentechnik auf dem Acker verbieten können. Doch das nützt nichts, wenn sie von gentechnikfreundlichen Ländern umzingelt sind.“ Tackmann fürchtet wegen eines beschleunigten Zulassungsverfahren eine flächendeckende Kontamination Europas.
Hingegen befürwortet Peter Bleser, agrarpolitischer Sprecher der CDU/CSU zwar die beschleunigte, aber weiterhin wissenschaftlich begründete Zulassung, fürchtet aber durch die Übertragung der Zulassung auf die Mitgliedsstaaten ein europäisches Regelungschaos. „Wichtige wirtschaftliche Potenziale gingen verloren, während weltweit die grüne Gentechnik „in erheblichem Umfange genutzt wird“. Unverständlich sei, dass es neben wissenschaftlichen jetzt auch sozioökonomische Ablehnungsgründe gibt, „die Verbraucher allerdings durch die Ablehnung einer prozessorientierten Lebensmittelkennzeichnung über den tatsächlichen Einsatz von GVO in Lebensmitteln im Unklaren lassen will.“

Roland Krieg

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