Gert Lindemann zu Deutschlands Tierschutzplan

Landwirtschaft

Tierschutz: Gert Lindemann zur richtigen Zeit am richtigen Ort

Brillenträger beschlug vor gar nicht langer Zeit beim Betreten des Kälberstalls die Brille. Der traditionelle Warmstall für den Rindernachwuchs wärmte zwar die Bauern, versorgte die jungen Steppentiere aber mit schlechter Luft und schimmeligen Stroh. Heute wachsen die Kälber in Kälberhütten mit großem Auslauf auf.

Das Kupieren von Ringelschwänzen hat das Schwänze beißen nicht beendet. Das Beenden der hochkomplexen Caudophagie ist vor allem ein Ergebnis des Betriebsmanagements – und dann der Fütterung, des Beschäftigungsmaterials, des Platzes, des Klimas und …

Tierschutz ist ein lebendiger Prozess, der sich nicht nur in der Wortneubildung Tierwohl niederschlägt. Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt sagte Anfang Dezember im Bundestag über den aktuellen Tierschutzbericht: „Der Tierschutzbericht ist gleichzeitig Zwischenbericht und Auftragsbuch für die Zukunft. Tierschutz ist keine Aufgabe, die man einmalig abhaken kann.“

Der „außerordentliche Vorfall“

Jede gute Novelle kennt einen „außerordentlichen Vorfall“, der im Drama als „Peripetie“ bezeichnet wird: Ein unerwartetes und plötzliches Ereignis, das die Lösung eines scheinbar unauflösbaren Problems bewirkt. Auf der Suche nach dem Mantel der Geschichte des Tierwohls verschlug es die Redaktion in das Berliner Bundeslandwirtschaftsministerium zu einem Gespräch mit Gert Lindemann.

Der „außerordentliche Vorfall“ fand in Hannover kurz vor Weihnachten 2010 statt. Nach nur acht Monaten stolperte die Landwirtschaftsministerin wegen der Tierhaltung aus dem Amt. Nachfolger Gert Lindemann nahm das Büro ein, in dem einer seiner Vorgänger den Satz prägte, der Stall müsse sich an die Bedürfnisse des Tieres anpassen. Aber auch Sozialdemokrat Karl-Heinz Funke war in den 1990er Jahren im niedersächsischen Ministerium nicht Vorreiter des Tierschutzes. Diese Diskussion gab es auch in der CDU, erklärte Lindemann: „Unser eigenes konservatives Klientel hat gesagt, so kann man doch nicht mit dem Mitgeschöpf Tier umgehen.“ Lange Zeit gab es nicht nur im Tierhaltungsland Niedersachsen viele Vereinbarungen zum Tierschutz, nur - ohne Zeithorizonte und ohne Verbindlichkeiten. Zwei Drittel der Landwirte haben sich daran gehalten, aber die anderen füllten die Schlagzeilen und prägen die Diskussion.

Den „Job“ als Landwirtschaftsminister hat Gert Lindemann angetreten, weil die Tierhalter seinem Eindruck nach aus der Position der Mitte weggerutscht sind. „Es ist mir ein spezifisches Anliegen, die Bauern wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückzuführen.“ „Ich bin nicht als Obertierschützer in Niedersachsen angetreten.“ Lindemann hat neben einem Tierschutzplan genauso den Boden- und Gewässerschutz sowie den Einsatz von Medikamenten im Blick und will selbst heute noch den Bauern etwas Gutes tun, wieder in der Gesellschaft anzukommen.

„Ich habe den Tierschutzplan in Niedersachsen gemacht“

Gert Lindemann hatte vor seiner Amtszeit als Staatsekretär im Bundesland-wirtschaftsministerium 16 Jahre lang die Abteilung für Veterinäre in Hannover geleitet. Mit dieser Berufserfahrung gab er den Auftrag, auf zwei DIN A4-Seiten alle Einzelfragen des Tierschutzes zusammen zu tragen. Die sollten zusammen mit Tierart und Haltungsform in die erste Spalte. In die zweite Spalte kam der Lösungsansatz aus Sicht der Veterinäre und die Dritte Spalte beinhaltete den Zeithorizont für die Umsetzung „ohne die Nutztierhaltung aus Deutschland zu verdrängen“, wie er mehrfach betont.

Daraus wurden nicht nur insgesamt 38 Punkte, die heute oft als bundesweites Referenzsystem vorgeschlagen werden, sondern des Weiteren die Wirtschaftsdüngerverbringungsverordnung zum Schutz von Boden und Gewässer und die Änderung des Arzneimittelgesetzes zur Reduzierung des Medikamenteneinsatzes. „Ich bin froh darüber, dass mein Nachfolger alle drei Punkten weitergeführt hat“, gibt Lindemann sich bescheiden. Die ruhige Sprechweise und gelassene Sitzhaltung betonen die Bescheidenheit seiner Antworten nach der Frage des Urheberrechts: „Ob ich da besonders erwähnt werde, ist mit eigentlich schnuppe.“ Oder: „Also zumindest habe ich die Tierschutzdiskussion in Niedersachsen ausgelöst.“

Geschichte lässt sich Meist erst im Nachhinein erkennen. So rutscht es dann doch noch aus ihm heraus, als der von der Landespressekonferenz zur Vorstellung des Tierschutzplanes berichtete, auf der die Journalisten zunächst nur ein übliches Politikpapier sahen: Lindemann aber sagte damals schon: „Das sei der weitreichendste Plan, den es für Deutschland jemals im Bereich Tierschutz gegeben hat.“

„Ich bedaure nichts!“

Lindemanns Gelassenheit darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sein Anliegen ernsthaft vertritt. Auch gegen Widerstände aus dem Landesbauernverband oder Vorwürfen, der Tierschutzplan hätte der CDU die Wiederwahl in Niedersachsen gekostet. Dafür hat sie der Partei Stimmen aus den urbanen Räumen gebracht und dem gelernten Jurist heute den Vorsitz des Kompetenzkreises Tierwohl im Bundeslandwirtschaftsministerium.

Öffentliche Debatten der Tierhaltungsbranche ohne Selbstkritik sind nicht seins. Man müsse die Schwachstellen der Agrarproduktion definieren und abstellen. „Die flächenlose Tierhaltung halte ich für einen Irrweg.“ Zum Thema Zeit: „Wir sollten die Maßnahmen für Tierschutz und Tierwohl unverzüglich, d.h. ohne schuldhafte Verzögerung umsetzen.“ Auch wenn es weh tut. Wer sagt „Ohne mich“, der muss mit dem Ordnungsrecht der Politik rechnen.

Der Kompetenzkreis Tierwohl endet am 16. September und Lindemann wünscht sich eine Weiterführung der Diskussion in einer Enquete-Kommission. Dass sei gut für die Bauern, für den Lebensmittelhandel und für die Verbraucher. Und wohl auch für die Parteienlandschaft. Den Kritikern wünscht er mehr Realismus: „Die Qualität agrarischer Produkte ist nicht von der Betriebsgröße abhängig, weder im Ackerbau noch in der Tierhaltung.“ Würde dieses wissenschaftliche Credo akzeptiert, käme ein „vernünftiges und für alle tragbares Ergebnis“ heraus. Dann steht am Ende eine „Nationale Nutztierstrategie“, die auch den Bauern eine langfristige Perspektive für die Verbesserung des Tierwohls gibt.

Der nächste Schritt ist die Übergabe des vierten Berichtes des Kompetenzkreises Tierwohl an den Bundesminister im Januar. Da stehen Tipps zu Betäubungsmethoden bei der Schlachtung drin, Forderung für Sachkunde und Weiterbildung für die Landwirte, ethische Grundlagen sowie der Vorschlag für die Nationale Nutztierstrategie.

Mit Blick zurück auf fünf Jahre Kampf um verbindliches Tierwohl und Fristenregelungen bleibt Gert Lindemann knapp – aber überdeutlich: „Das würde ich so wieder machen!“

Roland Krieg

Der Text erschien zuerst im Jahres-Almanach der vfz Handelszeitung Vieh und Fleisch am 21. Dezember 2015

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