Gesellschaftliche Agrarpolitik
Landwirtschaft
GAP: Haciendas oder lebendige Dörfer?
Seit EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos im Oktober seine
Legislativvorschläge für die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) vorgelegt1)
hat, wird eifrig über die noch offenen Details gestritten. Dr. Till Backhaus,
Landwirtschaftsminister in Mecklenburg-Vorpommern (SPD), sagte gestern in Rostock,
dass die GAP ein großes Thema, aber die Bedeutung den meisten noch nicht ganz
klar sei. Die jetzige Agrarreform sei ein Paradigmenwechsel, der mit Sicherung
der Ernährung, Energie und natürlichen Ressourcen eine neue Dimension erreicht
habe.
Herd-und-Hof.de begleitete Gereon Thiele,
Referatsleiter der EU-Kommission der Generaldirektion Agrar (links) und Dr. Jürgen
Buchwald, Abteilungsleiter Landwirtschaft des Ministeriums für Landwirtschaft,
Umwelt und Verbraucherschutz in Mecklenburg-Vorpommern (rechts) auf zwei Betriebe, um
die möglichen Auswirkungen der GAP auf den landwirtschaftlichen Alltag zu
überprüfen. Es zeigte sich: Die Gemeinsame wird immer mehr zu einer
Gesellschaftlichen Agrarpolitik.
Spiegelbild der Gesellschaft
Landwirtschaft war immer ein Spiegelbild der
Gesellschaft. Vor den städtischen hatten die agrarischen Kulturen ihre
Hochzeiten. Heute hat sich im Bewusstsein der Städter die Landwirtschaft in
einer romantischen Variante erhalten. Gab es früher in jedem Dorf mehrere
Bauern, die Ackerbau und Viehzucht nebeneinander betrieben, hat sich der
Agrarsektor mit Hilfe des technischen Fortschritts zu einem hocheffizienten
System entwickelt. Produktion und Umwelt stoßen dabei immer öfters aufeinander
und die Bürger suchen auch durch den gemeinhin als Vorbild geltenden
ökologischen Landbau beide Seiten zu vereinen.
Gottfried Marth, Vorsitzender des Anbauverbandes
Biopark, bringt es auf den Punkt: Nicht nur in Ostdeutschland gibt es die
Entwicklung zu fondsgetriebenen Großbetrieben, die wie einer südamerikanischen
Hacienda nur noch aus einer Maschinenhalle und Unterkunft für die „Gauchos“
besteht. Die Entwicklung gehe auf Kosten der lebendigen Vielfalt der Dörfer, in
denen niemand mehr den Winterdienst übernimmt.
Die Gesellschaft bekommt die Landwirtschaft, die das
produziert, was sie auf ihrem Teller verspeist. Entweder billige Lebensmittel
aus industrieller Produktion oder qualitative Lebensmittel aus der Region vom
Nachbarn hergestellt.
Die Reform der GAP wird keine Revolution der aktuellen
Landwirtschaftsstruktur und Produktionsweise bringen, will aber eine Evolution
in Sachen Nachhaltigkeit sein. Das wird ihr auch zugestanden, denn niemand fand
sich, der die Vorschläge von Ciolos rundherum abgelehnt hat. Sie gehe in die
richtige Richtung, aber im Detail bestehe noch Diskussionsbedarf.
Kappung und Degression
Ein Streitpunkt in Ostdeutschland sind Degression und
Kappung der Direktzahlungen. Es findet sich keine plausible Erklärung, warum
die Abstufungen so vorgenommen wurden . Es findet sich aber auch keine verlässliche
Zahl, wie viele Betriebe in welcher Höhe von der Kappung betroffen sind.
Dr. Buchwald zählt alleine in Mecklenburg-Vorpommern
621 Betriebe. Allerdings ohne Gegenrechnung der Lohnkosten, die dem Abzug
entgegengesetzt werden. Dr. Heinrich Graf von Bassewitz, Betriebsleiter vom
ökologisch betriebenen Gut Dalwitz hingegen kommt für ganz Deutschland nur auf
100 betroffene Betriebe, weil er einen Lohnkostenansatz einbezogen hat.
Wilfried Lenschow, Geschäftsführer der
Agrargenossenschaft Bartelshagen,
rechnet vor: Sein Betrieb erhält rund eine Million Euro Direktzahlungen,
von denen 700.000 Euro im Jahr wegfiellen. Nach Gereon Thiele hingegen brauche
sich der Betrieb, der Bruttogehälter zwischen 26.000 und 30.000 Euro bezahlt,
keine Sorgen um Kürzungen zu machen.
Um diese Größenordnungen beim Lohnansatz geht es auch, bestätigte Europa-Abgeordneter
Peter Kuhn (CDU). Derzeit sind in EU-Kreisen 28.000 Euro Lohnansatz für die
Kappungsminderung im Gespräch.
Der Betrieb beschäftigt 31 Vollzeitarbeitskräfte,
der Ökobetrieb von Graf Bassewitz 40, von denen die Hälfte im neu
eingerichteten Hotel- und Restaurantbereich arbeiten. Das sind Arbeitsplätze
vor Ort, ergänzt Lenschow. Alternativen gibt es kaum. Auch in Rostock sind seit
der Werftenkrise Arbeitsplätze rar. Zudem übernehmen solche Betriebe die
soziale Integration in den Dörfern. Dr. Buchwald ergänzt, dass das
durchschnittliche Lohniveau bei rund 20.000 Euro liegt. Und die Mitarbeiter
haben 30 Werktage Urlaub, was ein familiengeführter Betrieb in Westdeutschland
kaum aufweisen kann.
Sieben Prozent
Ein sehr diffuser Punkt in der GAP ist der Vorhalt von
sieben Prozent ökologischer Fläche. Schon Ciolos ergänzte, dass auch schon
bestehende Flächen wie Hecken oder Blühstreifen angerechnet werden. Damit hätten
schon viele Betriebe die Hälfte erfüllt. Doch derzeit fehlen die Kriterien, was
genau alles unter den sieben Prozent fallen soll. Einige sehen darin eine
Stilllegung. Die Definition von GereonThiele: „Flächennutzung mit
Umweltinteresse“. Daher ist derzeit nicht klar, ob und wie auf den Flächen
produziert werden kann. Eine Extensivierung zeichnet sich auf jeden Fall ab und
die Berliner Diskussion über extensive Weiden2) in dieser Woche hat gezeigt, dass ökologisch
hochwertige Flächen auch einen Nutzen abwerfen kann.
Derzeit werden Blühstreifen oder Hutungen als
Agrarumweltmaßnahmen (AUM) in der
zweiten Säule von den Bundesländern kofinanziert. Dr. Buchwald plädiert für die
Übernahme der AUM in die erste Säule als Ersatz der Sieben-Prozent-Formel.
Damit würden die Maßnahmen als Nebeneffekt auch für alle verpflichtend. Die
Agrar- und Umweltminister haben sich auf ihren letzten Konferenzen für einen
Maßnahmekatalog ausgesprochen, aus dem sich die Bauern drei Kriterien aussuchen
könnten. AUM sind erfolgreich. In Mecklenburg-Vorpommern liegen sie auf rund 15
Prozent der Fläche.
Es gibt noch einen zweiten Nebeneffekt: Wer bezahlt den
Baum, die Hecke, die Sölle im Feld? Die AUM sind in der zweiten Säule vom
Landeshaushalt kofinanziert, das Greening der ersten Säule wird vollständig von
der EU übernommen. Der Wechsel der AUM in die erste Säule befreit die Länder
von der Kofinanzierung.
Wilfried Lenschow plädiert für eine andere Lösung. Das
„Greening“ sollte überbetrieblich durchgeführt werden. Wenn es um die Renaturierung
von Gewässern gehe, könnten die Anrainer gezielt diesen Flecken ökologisch
optimieren. In Regionen, die seit je ohne Landschaftselemente auskommen, müsste
nicht künstlich etwas neues geschaffen werden.
Nach Graf von Bassewitz habe das Greening sowieso keine
Wirkung und sei „ein zahnloser Tiger“.
Dafür sind die Kriterien zu blass. Wirksamer wäre die gesamte Produktion
zu ökologisieren. Der Bezug auf die Fläche sei nicht zielführend. Ein Betrieb
mit 10 Hektar Spargel ist ein Intensivbetrieb, einer mit zehn Hektar Ochsenmast
werde extensiv geführt. Mit einem Bezug auf die Produktionsweise könne der
Ökoanbau auch ausgedehnt werden.
Der größere Wurf
Die GAP-Diskussion bringt Argumente hervor, die schon
für die übernächste Reform taugen. Nach Minister Backhaus sollten 15 Prozent
der Flächen für den heimischen Futteranbau genutzt werden, um die Importe von
Eiweißfuttermitteln zu minimieren. Graf von Bassewitz wünscht sich statt
Ausgleichsflächen für eine Versiegelung eine gleichwertige Kompensation durch die
Umstellung auf den Ökolandbau.
Die Reform wird meist nur in den Agrarkreisen
diskutiert. Doch Wilfried Lenschow fasst zusammen: Die Landwirtschaft soll die
Menschen satt machen, mit Energie versorgen und sich um den Naturschutz
kümmern. Wer das alles berücksichtigen will, der könnte in Kauf nehmen müssen,
dass die Produktion auf den verbliebenen Flächen intensiviert werde. Es geht
darum, wie unsere Landschaft aussieht und was wir auf dem Teller haben.
Lesestoff:
1) EU-Legislativvorschlag Oktober 2011
2) Extensive Weiden in der GAP
Roland Krieg (Text und Fotos)