„Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage herstellen“

Landwirtschaft

Bilanzpressekonferenz des Deutschen Raiffeisenverbandes

2.250 Raiffeisen-Genossenschaften haben im letzten Jahr gut 60 Milliarden Euro Umsatz erzielt. Sie bestehen aus 513.000 Mitgliedern, die Agrarprodukte im Wert von 4,5 Milliarden Euro ausgeführt haben. Die Genossenschaften sind ein Schwergewicht in der Agrarbranche. Sie erfassen, reinigen und lagern rund die Hälfte der in Deutschland gehandelten Marktfrüchte, verkaufen rund vier Millionen Tonnen Düngemittel und führen 1.500 Raiffeisenmärkte. Selbst beim Wein vermarkten die Winzergenossenschaften etwa ein Drittel des Rebsaftes und konnten im letzten Jahr mit 2,8 Millionen Hektoliter einen Umsatz von 800 Millionen Euro erzielen.

Schwieriges Fahrwasser

Doch auch die Genossenschaften befinden sich im schwierigen Fahrwasser der Agrarmärkte, wie der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) auf seiner Bilanz-Pressekonferenz in Berlin bekannt geben musste. Die 60,5 Milliarden Euro Umsatz entsprechen einem Rückgang von 8,5 Prozent zum Vorjahresergebnis mit 66,4 Milliarden Euro. Am deutlichsten waren die Rückgänge im Bereich Milch (- 14,9 Prozent), bei den Agrargenossenschaften (- 10 Prozent), in der Warenwirtschaft (- 7,9 Prozent) und in der Sparte Vieh und Fleisch (- 6,1 Prozent). „Der Geschäftsverlauf bestätigt die starke Abhängigkeit des deutschen Agribusiness vom Außenhandel, von Wirtschaftskrisen, geopolitschen Konflikte und Wechselkursrisiken“, sagte Generalsekretär Dr. Henning Ehlers. Auch der DRV konnte wie andere Verbände seit der Grünen Woche keinen positiven Ausblick auf das Jahr 2016 geben.

Die einzelnen Segmente differenzieren sich. Die Warenwirtschaft leidet unter preisbedingten Rückgängen für Getreide und Mineralölprodukte. Die deutsche Getreideernte war trotz aller Witterungswidrigkeiten leicht besser als erwartet und von guter Qualität. Sie trifft aber auf gut versorgte Märkte. Vor allem Frankreich hat qualitativ und quantitativ 2015 nachlegen können. Deutsches Getreide habe wegen der französischen Ware vor allem in Nordafrika Marktanteile verloren. Das Wetter hat 2015 eine letzte Fungizidbehandlung überflüssig gemacht, so dass der Umsatz trotz gestiegener Preise zu einem leichten Minus führte. Die niedrigen Agrarpreise machen die Landwirte vorsichtig. Die Investitionsbereitschaft ist deutlich zurückgegangen.

Der niedrige Erdölpreis hat auch das Heizöl- und Ottokraftstoffsegment beim DRV auf ein „nicht gekanntes Niveau“ zurückfallen lassen. Die Energiegenossenschaften hingegen sind weiterhin mit Solar, Wind und Biogasanlagen auch international aktiv. So beteiligt sich der DRV in Tansania im Bereich der energetischen Verwertung von Bananenstrünken. Dadurch verringert sich das Sammeln von Brennholz auf den Betrieben der Kleinbauern. Wie der Bereich erneuerbare Energien in Deutschland allerdings weiter verläuft, wird sich nach Ausgestaltung des EEG richten, sagte DRV-Präsident Manfred Nüssel gegenüber Herd-und-Hof.de. Die Verwertung der Biomasse hat bei der letzten Reform einen herben Rückschlag hinnehmen müssen. Noch vor Jahresfrist hatten die Länder Bayern, Rheinland-Pfalz und Thüringen einen Antrag zur stärkeren Berücksichtigung der Biomasse in den Bundesrat eingebracht [1].

Auch bei den Genossenschaften sieht es bei der Milch am kompliziertesten aus. Die Anlieferung hat sich um 31,5 Millionen Tonnen erhöht. Die Nachfrage aber bleibt weltweit auf niedrigerem Niveau. Die Umsätze der genossenschaftlichen Molkereien mit über 20 Millionen Tonnen Verarbeitung haben sich um 15 Prozent auf 12,6 Milliarden Euro reduziert.

Umsatzstruktur der Genossenschaften nach Sparten

Forderungen und Politik

Derzeit greift das Liquiditätsproblem auch vermehrt nach landwirtschaftlichen Betrieben, denen bis vor kurzem gute Zukunftschancen noch als Wachstumsbetriebe eingeräumt wurden. „Dieser enorme Preisverfall ist für viele Erzeuger existenzgefährdend“, weiß auch Dr. Ehlers. „Die Schwankungen sind jedoch Weltmarkt induziert. Ohne Außenschutz lassen sie sich nicht unterbinden“, folgert er. Doch die EU wird an ihrer Deregulierung des Marktes fest halten. So sucht auch der DRV eine Balance zwischen Schutz und Marktliberalisierung. Außenschutz bei gleichzeitiger Exportoffensive? Angebot und Nachfrage zueinander bringen, ohne Mengenregulierung? Auf dem Milchmarkt ist nicht nur die global austauschbare Bulkware Milch- und Molkepulver betroffen. Auf dem europäischen Käsemarkt herrscht nach Manfred Nüssel ein „intensiver Verdrängungswettbewerb.“ Käse bietet eine höhere Wertschöpfung als Milch. Die deutsche Milch wird zu 45 Prozent zu Käse verarbeitet, doch die niedrigen Käsenotierungen schlagen auf den deutschen Markt bereits durch lautet die ernüchternde Bilanz.

Angebot und Nachfrage sollen zwar zueinander gebracht werden, aber die Wiedereinführung einer Milchquote lehnt der DRV deutlich ab. Selbst einer Mengensteuerung nach Modell einer Marktverantwortungsabgabe, wie sie der Bund Deutscher Milchviehhalter einfordert, stößt auf wenig Gegenliebe. Doch wie genau Menge und Angebot vereint werden wollen, bleibt seit Jahren unklar. Die genossenschaftlichen Molkereien schöpfen nach Nüssel „die Potenziale für Kosteneinsparungen in den Unternehmen aus.“

Der DRV setzt weiter auf die Andienpflicht, der die Molkereien die Abnahmepflicht gegenüberstellen. In Zeiten großer Volatilität biete dieses Pärchen beiden Seiten „ein hohes Maß an Sicherheit. Auch hier ist kein Platz für externe Einflussnahme“, erklärt Nüssel. Der DRV prüft derzeit, wie die Verträge zwischen Molkereien und Milchlieferanten ausgestaltet werden können, um bei Mengen und Preisen Planungssicherheit zu bieten. Zeit wird es, denn der Blick in die Regale des Lebensmittelhandels zeigen: Die Milch kostet wieder genauso wenig, wie im Herbst 2015. Die paar Cent Preisaufschlag, über die sich die Branche Ende des Jahres hat freuen wollen, sind schon lange wieder Geschichte.

Exportventil

Wie in alle anderen Branchen auch, spielt der Export von Agrarprodukten für die Agrar- und Ernährungsbranche eine große Rolle. Die Exporteure von Fleisch, Süßwaren und Co. haben zu Beginn des Jahres angesichts der Weltkrisen durchaus auf ein gutes Jahr zurück blicken können. Die Außenhandelshändler haben Russland längst kompensiert und freuen sich auf einen zusätzlichen Bonusmarkt, sollte Moskau sein Embargo einmal aufheben [2]. Das gilt auch für die Genossenschaften, die in der vergangenen Woche mit EU-Agrarkommissar Phil Hogan auf Mittelamerika-Reise gingen [3]. Die zweite Reise wird nach China gehen und Manfred Nüssel hegt große Hoffnung auf den chinesischen Markt. Die Verschiebung auf andere Märkte hat bereits stattgefunden. Russlands und Chinas Politik aber bleiben Unsicherheitsfaktoren. Ein Selbstläufer ist der Weltmarkt nicht, denn beispielsweise Neuseeland hat mit China bereits ein Freihandelsabkommen abgeschlossen.

Weltgetreideproduktion und -verbrauch (ohne Reis) 1999 bis 2015

Nüssel begrüßt zwar die neue Stelle im Exportbereich des Bundeslandwirtschaftsministeriums, blickt aber seitlich auch auf die Profis mit deutlich besser ausgestattetem Geldbeutel wie in Frankreich oder Österreich. Die Amerikaner reisen gleich mit einer Wissenschaftsdelegation an und zeigen in aufwendigen Präsentationen die Vorzüge amerikanischer Futtermittel auf. Der US-Getreiderat veranstaltet ganze Fachtagungen mit Einkaufsgelegenheiten [4]. Die schnelle Umsetzung phytosanitärer und Veterinär-Zertifikate für einen leichteren Export sind Voraussetzung, die Nüssel vom BMEL einfordert.

Genossenschaften im Visier

Nach dem Internationalen Jahr der Genossenschaften und einer großen Sympathiewelle vor zwei Jahren bekamen die Einrichtungen binnen eines Jahres gleich zweimal Besuch vom Bundeskartellamt [5]. Die Durchsuchung bedeutet nicht, dass ein Kartellverstoß vorliegt, kommt aber angesichts der Agrarmarktkrise zum ungeeignetsten Moment. Zum laufenden Verfahren kann Manfred Nüssel gegenüber Herd-und-Hof.de keine weiteren Angaben machen – aber das Regionalprinzip steht wohl beim Bundeskartellamt unter Verdacht. Ein Konzern könne bis in die letzte Abteilung Weisungen geben, die Genossenschaften dürfen aber offenbar nicht miteinander reden. Der DRV hat diesbezüglich Compliance-Regeln aufgestellt. Doch sind die Kaufleute so verunsichert, dass sie sich gegenseitig kaum noch nach dem Stand der Geschäfte erkundigten. Das könnte bereits ein Kartellverstoß sein. Eine konkrete Aussage vom Kartellamt, wogegen die Behörde ermittelt, liege dem DRV nicht vor, erklärte Nüssel. Doch scheint das Jahrhundertwerk der Genossenschaften in Gänze in Gefahr zu geraten.

Alles auf Anfang

Das passt allerdings zur Grundstimmung des Agrarbereiches. Die Branche befindet sich in einer „permanenten Verteidigungsposition“, beklagte Dr. Ehlers. Er bezieht das nicht nur auf die Skandalisierung einzelner Lebensmittel oder gegen die Modernisierung der Agrarbetriebe. Angesichts der Dauerpreiskrise wird sich, so ist zwischen den Zeilen zuhören, die Branche eigentlich neu aufstellen müssen. Der Agrarbereich ist in seiner Gesamtheit auf mehrere Ministerien verstreut worden. Die Gentechnik liegt im Bundesforschungsministerium, die neuen Energien sind dem Wirtschaftsministerium unterstellt, das Umweltministerium setzt ganz andere Prioritäten und ob der gesundheitliche Verbraucherschutz bald ebenfalls in das Justizministerium folgt, bleibt abzuwarten. So zerstückelt sind auch die nachfolgenden Bundesbehörden. Manfred Nüssel wünscht sich eine Zusammenführung für eine einheitlichere Bewertung. Zu viele Interessen ziehen den Strang in unterschiedliche Richtungen.

Lesestoff:

www.raiffeisen.de

[1] Biomasse stärker berücksichtigen

[2] Agrarexporte haben Russland längst kompensiert

[3] Hogan zur Marktöffnung in Kolumbien und Mexiko

[4] USGC sponsert Geflügeltagung in Taiwan

[5] Kartellamt wieder bei Agrargenossenschaften vorstellig

Roland Krieg; Grafiken: DRV

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