Glyphosat-Anhörung im Bundestag

Landwirtschaft

Glyphosat: Der kleine Mann gegen das „Netzwerk des Bösen“?

Die Zahlen sprechen für sich: Weltweit werden rund 700.000 Tonnen Glyphosat eingesetzt. In Deutschland sind es 5.900 Tonnen. Der Jahresumsatz der großen Agrarchemiekonzerne mit dem Wirkstoff beläuft sich auf 5,5 Milliarden US-Dollar. Vor diesem Hintergrund gibt es keine Unbefangenheit. Mehr noch: Das Mittel wird außerhalb Europas als Paket im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Pflanzen verkauft. Soja, Mais und andere Nutzpflanzen wurden widerstandsfähig gegen das Pflanzenschutzmittel gemacht, die Landwirte spritzen alle anderen Wettbewerbspflanzen einfach tot. Landwirtschaft leicht gemacht und ein Riesengeschäft der Konzerne.

Auf der anderen Seite gibt es die Erwartung der Gesellschaft auf einen zurückgehenden Einsatz toxischer Substanzen, führte Prof. Dr. Karen Friedrich von der Schule für öffentliche Gesundheit in Brasilien an. Im Agrarausschuss des Bundestages stand am Montag der Wirkstoff Glyphosat auf der Tagesordnung einer öffentlichen Anhörung. Prof. Friedrich legte den Finger auch in die Wunde der Skepsis gegenüber der Industrie. Die Studien der Hersteller folgten zwar der Guten Laborpraxis (GLP) räumt sie ein, finden jedoch an sich weniger Glaubwürdigkeit.

Zu viel zu oft hat vor allem die Chemie mit DDT, Bhopal aber auch Contergan wiederholt ihre Unschuld verloren. Wird Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ eingestuft, liegt das böse Monster unter dem Bett. Allen sachlichen Widerreden zum Trotz.

Der Methodenstreit

Die unterschiedlichen Befunde zwischen dem Internationalen Krebsforschungszentrum (IARC) und dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) ergeben sich aus der „unterschiedlichen Auslegung der Beweiskraft“, wie Prof. Ivan Rusny, Veterinärmediziner ans Texas darlegt. Das IARC legt per Definition keinen Expositionsweg wie das BfR fest und das Joint Meeting of Pesticide Residues (JMPR) der WHO legt den Fokus auf Rückstände in Lebensmitteln. Das Ergebnis steht noch aus [1]. Der Amerikaner verweist auf die Mischung aus EU-Vorschriften und einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, die in Europa das Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel zersplittern. In den USA gibt es ein zentralisiertes System mit einer Behörde und standardisiertem Vorgehen. Letzteres hingegen unterstreicht auch das BfR, verweist auf die GLP, die angewandten OECD-Leitlinien und die EU-Prüfmethodenverordnung 440/2008.

Die Sachverständigen für die Anhörung werden von den Parteien benannt. Das BfR saß wie noch nie auf der Anklagebank und Präsident Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel zeigte sich äußerst besorgt über den Generalverdacht der Korruption, der die wissenschaftliche Arbeit des BfR untergrabe - inem Institut, das seit 13 Jahren eine unabhängige und wissenschaftliche Risikobewertung durchführt. „Der Versuch, nicht nur durch Unterstellungen direkten Einfluss auf die wissenschaftliche Bewertung zu nehmen, sondern damit gezielt die fachliche Reputation des BfR und der dort arbeitenden Wissenschaftler zu schädigen, widerspricht auch dem vom Deutschen Bundestag artikulierten Gründungsgedanken“, teilte am Nachmittag das BfR in einer Pressemitteilung mit. „Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft äußert sich zu den konkreten Vorwürfen nicht“, sagte eine Sprecherin am Montag. Solange das Bewertungsverfahren nicht abgeschlossen ist, sollten die wissenschaftlichen Fakten auch mit wissenschaftlichen Begründungen diskutiert werden, betonte Prof. Hensel mehrfach. Äußerungen über Pressemitteilungen oder das Fernsehen seien nicht der richtige Weg.

Kritik äußerte vor allem Prof. Dr. med. Eberhard Greiser, der erst kurzfristig als Sachverständiger benannt wurde, nur Zeit fand, die erste Frage über möglichen Gründe der unterschiedlichen Bewertungen von IARC und BfR zu beantworten, das aber auf 29 Seiten erläuterte. Prof. Greiser spricht von „vorsätzlichem Fälschen von Studieninhalten“.

Harald Ebner von Bündnis 90/Die Grünen bezeichnete gegenüber Herd-und-Hof.de den Methodenstreit als „Verwirrspiel“. Doch da müsse man durch. Erst durch permanentes Nachhaken „lichte sich der Nebel“, den Verbraucher kaum noch nachvollziehen können. So habe das BfR seine Haltung zur IARC-Studie in den letzten Wochen von „nicht nachvollziehbar“ bis zur Anerkennung geändert. Ebner bezeichnet diese Lernkurve als Fortschritt und legt erneut dar, dass es keine Expositionsstudien für Glyphosat gibt. Daraus könne niemand schließen, es gebe kein Problem. Das Fazit, keine Studie, keine Gefahr, sei falsch.

Unterstützung findet das BfR durch den Münchener Toxikologen Prof. Dr. Helmut Greim, der die Exposition von Menschen gegenüber dem Wirkstoff als „so weit weg“ definiert, dass keine Gefahr bestehe. Wissenschaftliche Divergenzen treten im Verlauf der Risikobewertung immer auf. Hilfreich ist auch der Satz von Bernhard Krüsken, Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, der von der „Risikoproportionalität“ sprach. Das IARC hat Glyphosat mit seiner Einschätzung zur Krebsgefährdung auf die gleiche Stufe wie „Schichtarbeit“ gestellt.

Transparenz

Nach dem Schweizer Professor Christopher J. Portier verwenden das IARC und das BfR unterschiedliche Evaluierungsprozesse und setzen für die Evaluierung unterschiedliche Ressourcen ein. Portier teilt dem IARC-Prozess Vorteile zu. Dessen Ablauf sei offen und transparent und verwendet nur veröffentlichte Studien. Das BfR habe zwar ebenfalls eigene Leitlinien, die aber weniger klar umrissen seien. Beim IARC werden alle Teilnehmer und deren mögliche Interessenskonflikte veröffentlicht. Die Europäische Arzneimittelagentur habe die IARC-Vorgehensweise mittlerweile übernommen.

Das BfR zieht für seine Bewertung auch unveröffentlichte Studien der Industrie hinzu. Dr. Angelika Tritschler von der WHO mahnt in ihrer schriftlichen Stellungnahme eine bessere Zugänglichkeit von unveröffentlichten Studien an, „gerade auch, wenn sie beurteilungsrelevant sind.“

Demgegenüber argumentiert das BfR, dass Industriestudien durch öffentliche Konsultationen aufgefangen werden. Als Berichterstatter für Glyphosat hat das Berliner Institut seine Bewertung an die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit übermittelt. Das zuletzt übermittelte Addendum wurde an alle 28 Mitgliedsstaaten und Norwegen verteilt, die das Ergebnis kommentieren. Heute soll es das abschließendes Expertentreffen bei der EFSA mit Beobachtern der ECHA (Europäische Chemikalienagentur), von JMPR, IARC und der US-Umweltschutzagentur EPA. Die BfR bezeichnet diesen Fortgang als europäisches Gemeinschaftsverfahren. Rückmeldungen aus Frankreich, Dänemark und Großbritannien lobten die BfR-Bewertung als qualitativen Beitrag.

Das Anbausystem

Die Anwendung von Glyphosat findet in Europa ohne Verwendung gentechnisch veränderter Pflanzen statt. Doch ist das Geschäftsmodell Glyphosat-GVO auch ohne Gentechnik in Deutschland relevant, wie der Streit um den Clearfield-Raps belegt [2]. Paketlösungen binden die Landwirte an Produkte.

Der Pflug ist in schlechtes Licht geraten, weil er als tiefwendendes Bodenbearbeitungsgerät die Bodenruhe stört. Poren werden aufgerissen und der offene Boden ist Wind- und Wassererosion ausgesetzt. Die konservierende Bodenbearbeitung mit Minimalbestelltechnik belässt die Stoppel des abgeernteten Feldes auf dem Acker und schützt den Boden [3 + 3a]. Der Pflug oder das tiefe Grubbern haben zwischen Ernte der Vorfrucht und Aussaat der neuen Feldfrucht alle aufkeimenden Pflanzen durch Vergraben abgetötet. Wer auf den Pflug verzichtet, sucht eine neue Methode alle unerwünschten Pflanzen abzutöten und greift daher auf das Breitbandherbizid Glyphosat zurück.

Eine Änderung des Systems nach einem Verbot des Wirkstoffs hat daher tiefgreifende Änderungen im Anbausystem zu Folge. Neben der zusätzlichen Arbeitsaufwendung eines Pflugduchgangs, müssen etliche Landwirte erst einmal wieder einen Pflug kaufen und verbrauchen bei jeder Überfahrt Diesel. Der Deutsche Bauernverband argumentiert in diesem Zusammenhang, dass der Deckungsbeitrag der nächsten Frucht zurückgeht, Problemunkräuter wie Ackerfuchsschwanz und Windhalm kaum mehr zu bekämpfen sind und hängige Flächen dem Ackerbau nicht mehr zur Verfügung stünden. Kein kleines Problem: Immerhin wird die konservierende Bodenbearbeitung auf 39,8 Prozent der Ackerfläche, rund 4,5 Millionen Hektar, durchgeführt. Müssten die Landwirte auf Glyphosat verzichten, wirke sich das vor allem auf der Kostenseite aus, fasst Krüsken zusammen.

Ein Grund, warum die Dramatik auf beiden Seiten des Atlantiks so unterschiedlich verläuft, resultiert aus der Anwendungspraxis. Während der Wirkstoff in Deutschland in Mengen von 400 Gramm je Hektar ausgebracht wird, spritzen die Argentinier rund die zehnfache Menge auf die Fläche, führt Krüsken an. Prof. Friedrich aus Brasilien kommt sogar auf 12 Kilogramm für ihr Land. Zudem müssen in Deutschland die Pflanzenschutzgeräte alle zwei Jahre zur technischen Überwachung und die Landwirte einen Sachkundenachweis mit sich führen.

Das Thema Resistenzen ist allerdings zweischneidig. Die Glyphosatresistenz in den USA bereitet den Bauern zunehmend Kopfzerbrechen [4]. Der Wirkstoff steht am Ende einer Entwicklung aus engen ökonomisch geführten Fruchtfolgen, niedrigen Erzeugerpreisen und Agrarkonzernen, die in die bäuerliche Arbeit eingreifen. Glyphosat ist die Projektionsfläche für den Argwohn gegenüber dem „diffusen Großen“.

Risikoforschungsfonds

Rechtlich ist unumstritten, dass die Hersteller von Wirkstoffen auch für die Unbedenklichkeit und daher für die wissenschaftlichen Belege sorgen müssen. Die Gute Laborpraxis werde überall angewandt, hieß es im Ausschuss. Problematisch seien nur die Interpretationen. Eine Abkehr von der Praxis der Herstellerstudien fand keine Mehrheit. Als Alternative dazu forderte Harald Ebner einen von der Industrie finanzierten Risikoforschungsfonds, aus dem unabhängige Institute dann ihre Bewertungen durchführen könnten.

Lesestoff:

[1] Jetzt bewerten alle alles neu

[2] Pflanzenschutz und Pflanzensorte im Doppelpack

[3] Feldtag zur reduzierenden Bodenbearbeitung

[3a] Erosion durch konservierende Bodenbearbeitung vermeiden

[4] Weniger Sojasaatgut zum Auffangen der Kosten

Roland Krieg

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