Glyphosat auf Bahnreise
Landwirtschaft
Das Geheimnis der Spritzzüge
Glyphosat hat sich als Synonym für unerwünschte Pflanzenschutzmittel etabliert. Der Wirkstoff des Breitbandherbizids bekam bei der Vorstellung des Absatzberichtes von Pflanzenschutzmitteln 2019 im Bundesministerium am Mittwoch ein eigenes Kapitel. Im Vorgriff auf die Tagespresse war das vorhersehbar.
Absatz halbiert
Den höchsten Absatz von Glyphosat gab es im Jahr 2008 mit 7.500 Tonnen. Mit aktuell 3.059 Tonnen hat sich der Absatz mehr als halbiert und lag bereits 2018 bei 3.450 Tonnen. Glyphosat ist ein Totalherbizid, das alles, was grün ist abtötet. Es sei denn, die Kulturpflanze wurde gentechnisch als resistent gegen Glyphosat gezüchtet. Diese Kombination hat bei Firmen der Agrochemie für gute Kassen gesorgt und landwirtschaftliche Fachpraxis nicht mehr notwendig gemacht. Da in Europa der Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen kaum stattfindet, gibt es diese Kombination nicht. Glyphosat wird im Wesentlichen nach milden Wintern gegen die Zwischenfrucht eingesetzt, die mangels Frost nicht wie geplant abgestorben ist. Mittlerweile haben sich ackerbauliche Verfahren etabliert, die auch ohne Glyphosat auskommen.
Pflanzen sammeln im Schotterbett Wasser und destabilisieren es. Das gefährdet die Gleise. Das weiß jeder Kritiker von Pflanzenschutzmitteln, nimmt das aber in der Regel als unausweichlich hin. Die Bahn beantwortet Presseanfragen zum Thema nicht. Einzelinformationen gab sie Ende 2019 über eine Nachrichtenagentur heraus. 90 Prozent des 60.000 km langen Streckennetzes werden einmal pro Jahr behandelt. Dafür nutzt die Bahn aktuell 57 Tonnen Glyphosat und ist damit der größte Einzelanwender des Wirkstoffs.
Der Spritzzug
Fachmedien brauchen keine Bahn, um weitere Informationen zu erhalten. Die Bayer AG und das Bundesinstitut für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) kennen die Details. Ausgebracht wird Glyphosat mit einem so genannten Spritzzug [1]. Der eigentliche Spritzwagen mit den Düsen befindet sich zwischen Kessel- und Servicewagen. Die Spritzzüge werden von den Betreibern bedient. Die meisten Spritzzüge gehören der Bayer AG. Wie Landwirte müssen auch die Anwendungstechniker im Spritzzug einen Sachkundenachweis Pflanzenschutz mit sich führen. Die Bahn stellt nur die Loks mit Lokführer und plant die Einsatzzeiten.
Der Spritzzug fährt deutlich schneller als eine Feldspritze über das Feld. Schon bei den Landwirten ist das Thema Abdrift von großer Bedeutung. Das BVL sucht gerade für ein bundesweites Monitoring von Abdrift geeignete Flächen. Verflüchtigungen und Staubverwehungen können Wirkstoffe über weite Strecken verfrachten und auf unbehandelte und nicht zu behandelnde Flächen auftragen. So ein tonnenschwerer Zug verursacht schon selbst einen mächtigen Fahrtwind. Doch die Applikationstechnik ist speziell für die Anwendung bei Zügen entwickelt worden und nicht vergleichbar mit der Technik einer Feldspritze. Landwirte nutzen Spezialdüsen, die Wirkstoffe werden in anderer Tropfenform verteilt und Unterschiede zwischen Bahn und Feld gibt es mit Injektionsverfahren und Wasseraufwandmengen. Eine grundlegende Arbeit zur Abdrift bei Spritzzügen wurde im Jahr 2005 von der damaligen Fachgruppe Anwendungstechnik der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Zusammenarbeit mit Bayer CropScience und Spiess-Urania durchgeführt [2]. Die Abdriftwerte sind im Bundesanzeiger seit März 2006 veröffentlicht und wurden in das Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel in Spritzzügen integriert.
Spezialzulassung
Wenn die Bahn die Kesselwagen befüllt, fährt sie nicht beim Landhandel vorbei. Dort ist Glyphosat für die Verwendung auf dem Acker vorrätig. Glyphosat für die Anwendung in Spritzzügen erfordert eine spezielle Zulassung mit eigenen Anwendungshinweisen wie Aufwandmenge pro Hektar und Anzahl Anwendungen in der Vegetationsperiode. Anwendungen auf Gleisanlagen fallen unter die Bestimmungen von § 12 Absatz 2 Pflanzenschutzgesetz. Das besagt, dass Pflanzenschutzmittel nicht auf befestigte Flächen aufgebracht werden dürfen. Die zuständigen Pflanzenschutzdienste dürfen Ausnahmen für private Bahnen, Straßenbahngleise, Hafenbahnen und weiter genehmigen. Für die Deutsche Bahn ist das Eisenbahnbundesamt zuständig. Beide Behörden entscheiden nach vor Ort-Bedingungen über Verbote und Einschränkungen bei Bahnübergängen, Bahnhöfen, Brücken, Natur- und Wasserschutzgebiete. Es sind auch Auflagen wie sensorgesteuerte Ausbringung möglich.
Auch die Bahn will aus der Nutzung von Glyphosat aussteigen. Bis Ende 2022 Wie das gelingen kann, ist noch offen. Im Spiel ist eine ganze Reihe an Möglichkeiten: Heißwasserbehandlung, Strom, UV-Licht oder die Rückkehr zur Unkrautbekämpfung mit Mitarbeitern. Strom als Alternative für die chemische Unkrautbekämpfung befindet sich erst im Entwicklungs- und Teststadium. Eine Zulassung für dieses Verfahren liegt dem Eisenbahnbundesamt derzeit noch nicht vor. Experimente mit Heißwasser sind der Bayer AG nicht bekannt. Wie auch immer die Entscheidung ausfallen wird, über eine Kostensteigerung des neuen Verfahrens liegen keine seriösen Abschätzungen vor.
Lesestoff:
[1] Die wenigsten haben einen Spritzzug gesehen, geschweige denn in Aktion gesehen. Bahnliebhaber stellen Fahrten von Spritzzügen in das Netz. Zum Beispiel: https://www.youtube.com/watch?v=Sblfjm-mXBY
[2] Hans-Jürgen Wygoda et al., Ergebnisse aus Abdriftmessungen mit einem Spritzzug, Nachrichtenblatt Deutscher Pflanzenschutzdienst 58. 2006, S. 323-326.
Roland Krieg
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