Glyphosat: Debatte der Angst

Landwirtschaft

System der Pflanzenschutzmittel-Zulassung braucht Änderung

Europaparlament

Am Mittwochmorgen diskutierten sieben Sachverständige dreieinhalb Stunden mit den Abgeordneten des Agrar- und des Umweltausschusses im Europaparlament zum Thema Glyphosat. Es waren nicht irgendwelche Sachverständige, sondern die Akteure nahezu aller Beteiligten. Nur Monsanto und das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hatten die Einladung zur Anhörung ausgeschlagen.  Da die Experten bei ihren Ansichten blieben und die Abgeordneten die bisher bekannten kritischen Fragen stellten, hat die Anhörung keine neuen Erkenntnisse gebracht. Und doch spiegelte die Sitzung den Zeitgeist wider, auf den die Politik Antworten finden muss.

Ängste und Zweifel

Der Zweifel sitzt tief, ob Glyphosat wegen seiner Gefährlichkeit dringend verboten werden muss, oder bei sorgfältiger Anwendung für weitere zehn Jahre zugelassen werden soll. Die Politik hat sich in der letzten Woche um eine Festlegung gedrückt [1]. Aus Angst vor den Wählern. Die Kritiker bedienen das diffuse Verbrauchergefühl, die Industrie vergifte aus dem Hinterzimmer heraus die Welt und Wissenschaftler haben Angst vor politischen Entscheidungen. Da das Thema Glyphosat keine für Nicht-Toxikologen eindeutige Aussage hervorbringt, muss sich also am System der Zulassung etwas ändern Nur so kann verloren gegangenes Vertrauen wiedergewonnen werden, obwohl es nicht sicher ist, dass ein neues System besser ist. Doch hat der Mensch die Erde im Anthropozän so tiefgreifend und oft negativ verändert, dass die Welt der Menschen etwas Heilung braucht. Jedenfalls mehr als Glyphosat.

Alles im Lot

Tim Bowmer ist Vorsitzender des Ausschusses für Risikobeurteilung der Europäischen Chemikalienagentur ECHA und fordert geltendes Recht ein: Die Firmen müssen die Ungefährlichkeit ihrer Produkte beweisen. Für die Richtigkeit der Tests gibt es Anleitungen der OECD und den Leitfaden für Gute Laborpraxis. Zusammen mit der Europäischen Lebensmittelbehörde EFSA hat die ECHA ihre Arbeit getan. Jetzt sei die Kommission mit einer politischen Entscheidung dran. Beide Agenturen haben keine Befugnisse für eine Auftragsvergabe an externe Prüfstellen.

Dr. José Tarazone bewertete als Leiter des EFSA-Referats Pflanzenschutzmittel die Vorgehensweise des BfR als statthaft. Das BfR habe das getan, was von ihm erwartet wurde. Wie bei den anderen Institutionen sind alle Dokumente im digitalen Zeitalter zugänglich, bei der EFSA inklusive Kommentare und Protokolle. 2014 gab es zudem eine öffentliche Konsultation zum Thema Glyphosat.

Dennoch gibt es widersprüchliche Beurteilungen, die nicht so widersprüchlich sind. Das Internationale Krebsforschungsinstitut IARC habe mit seiner Einschätzung „wahrscheinlich krebserregend“ die Exposition am Arbeitsplatz ermittelt und nicht, wie die Weltgesundheitsorganisation WHO die Rückstände in Nahrungsmitteln. Dr. Kate Guyton unterstrich, dass die IARC-Einteilung keine politische Handlungsempfehlung sei.

Kirkland und Gillam
Prof. David Kirkland und Carey Gillam

Doch nicht alles im Lot

Die Studien zu Glyphosat sind so unterschiedlich, weil sie unter verschiedenen Bedingungen zu unterschiedlichen Zeiten an verschiedenen Orten durchgeführt wurden. Die schiere Masse an Studien reicht nicht aus, erklärte Prof. Christopher Portier von der Universität Maastricht, der an den Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker geschrieben hat. Wesentliche Studien, vor allem aus der Anfangszeit von Glyphosat zu Beginn der 1980er Jahre, seien gar nicht berücksichtigt worden. Zehn bösartige Tumore wurden nicht bewertet. Doch selbst mit mehr Zeit und mehr Ressourcen hätten EFSA und ECHA keine anderen Ergebnisse hervorgebracht, denn generell gehen die Agenturen von der Sorgfältigkeit der vorgelegten Studien aus.

Carey Gillam zeigte in ihrer großen Präsentation mit vielfältigen internen E-Mails von Monsanto, wie die Firma ihre eigenen Texte über wissenschaftliche Ghostwriter schön färben  ließ und Einfluss auf die amerikanische Umweltbehörde nahm. Die EPA kam in den 1980er Jahren zu gegenteiligen Einschätzungen. Für die Umweltexpertin von U.S. Right to Know ist das Thema Glyphosat eine Geschichte der Verschleierung und des Betrugs.

Einer der von ihr am meisten kritisierten Wissenschaftler saß neben ihr. Prof. David Kirkland sei einer der von Monsanto bezahlten Experten, die Studien im Sinne des Unternehmens verfassten. Der Berater allerdings verwies darauf, dass er genauso wie ein Architekt oder Rechnungsprüfer für seine Arbeit bezahlt werde und wagte sich an das Thema der Gewichtung wissenschaftlicher Studien. So müssten nach Angaben der OECD Studien mit dauerhaft geschädigter DNS höher gewichtet werden, als Studien, die zwar einen Schaden belegen, der aber reversibel ist. Kirkland sagte, er habe seine Arbeit ohne Einmischung von Monsanto erledigen können.

Wege aus der Krise

Es ist abzusehen, dass auch in zehn Jahren keine Einigung über den Wirkstoff bestehen wird. Eher wird die EU ihre Zulassungspraktik ändern müssen. Schon alleine, damit die Politik angstfrei Entscheidungen treffen kann. Martin Pigeon vom Corporate Europe Observatory hat daher konkrete Forderungen erhoben. Die Rohdaten der Firmen, mit denen Agenturen Risiken bewerten dürfen aktuell nicht veröffentlicht werden. Das müsse sich ändern. Bislang legt die Politik die Finanzierung der Risikobewertung in die Hände der Unternehmen. Damit sie selbstständig arbeiten können, sollte ein Umlagefonds geschaffen werden. Pigeon kritisierte den Trend, dass Wissenschaftler durch zunehmend private Partnerschaften ihre Eigenständigkeit verlieren. Zur Risikobewertung gehöre auch ein Abwägen von Alternativen. Ersatzstoffe zu Glyphosat seien toxischer. Das allerdings können die Landwirte und ihre Verbände bereits heute schon tun. Der deutsche Abgeordnete Albert Dess aus Bayern sagte, er verwende auf seinem Betrieb kein Glyphosat und werde es auch künftig nicht tun.

Lesestoff:

[1] Streit um Glyphosat: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/thema-glyphosat-ohne-ergebnis.html

Roland Krieg; Foto: Screenshot der Anhörung

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