Glyphosat-Diskussion im Bundestag

Landwirtschaft

Einführung in die Toxikologie

Ob der Wirkstoff Glyphosat in der EU für weitere Zehn Jahre zugelassen wird, entscheidet sich in diesem Jahr. Dazu führt die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) eine Neubewertung durch. Basis sind Risikobewertungen der Mitgliedsländer. Für Deutschland ist das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) zuständig. Ein System, das auf Wissenschaft basiert, ist erfahrungsgemäß langsamer, als kurzfristige Studien. Vor allem langsamer als die Wahrnehmung des Verbrauchers. Seit der Einschätzung der „International Agency für Research and Cancer“ IARC im März dieses Jahres, dass Glyphosat „wahrscheinlich krebserregend“ ist, steht der Wirkstoff wiederholt auf der politischen Agenda. Einen Tag, nachdem der Agrarausschuss nach fast einem Jahr den Antrag der Linksfraktion zur Einschränkung der Zulassung abgelehnt hat, reichten die Bundesgrünen auf Grund der IARC-Studie einen neuen Antrag ein [1]. Der wanderte am Freitag in den Ausschuss und überdauert dort die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die in den nächsten Monaten fallen werden.

Diese Studie hat Besorgnis in der Öffentlichkeit ausgelöst, stellte Rita Hagl-Kehl (SPD) fest, was jedoch von allen politisch Beteiligten eher zur Verschärfung ihrer Schlacht als denn zur Aufklärung genutzt wird.

Vertreibung aus dem Paradies

Um das Essen genießen zu können, muss es gedankenlos verzehrt werden dürfen. Das „Futtern bei Muttern“ gilt heute noch als Referenzsystem, „unbelastete Nahrung“ zu sich zu nehmen. Doch was heute Pflanzenschutzmittelrückstände sind, waren früher Sägespäne im Hackfleisch, Gips im Mehl oder Schwermetalle, die als Pflanzenschutzmittel eingesetzt wurden. Heutige Raucher schädigen sich selbst deutlich mehr als durch eine ständige Zufuhr von Pflanzenschutzmittelrückständen an der Höchstwertgrenze. Dr. Johannes Simons von der Universität Bonn hatte auf einer BfR-Tagung im Jahr 2006 schon festgestellt, dass Verbraucher ein persönliches „Risk-Benefit-Management mit bordeigenen Mitteln bei unklarer Wissenslage“ betreiben. Manche Informationsgeber statten die Bordapotheke mit Horrorszenarien aus – andere verweisen streng gläubig auf die Wissenschaft. Fertig ist eine Bundestagsdebatte.

Einführung in die Toxikologie

Giftig kann ein Stoff in verschiedenen Sektoren sein. Sofort tödlich bei einmaliger Aufnahme, subchronisch bei wiederholter Aufnahme, gentoxisch durch Veränderung des Erbgutes, kanzerogen durch einen Langzeiteffekt mit krebsauslösendem Potenzial oder neurotoxisch mit Effekten auf das Nervensystem.

Um einen Grenzwert zu ermitteln, wird zunächst einmal die Menge bestimmt, bei der keine gesundheitlichen Effekte auftreten (No observed adverse effect level – NOEL). Dieser Wert wird meist durch 100 dividiert. Dieser Wert soll die Unterschiede zwischen den Versuchstieren und dem Menschen wider spiegeln und wird als Sicherheitsfaktor definiert. Das soll besonders empfindliche Personen schützen. Bei besonders gefährlichen Eigenschaften wie Kanzerogenität wird oftmals ein weiterer Sicherheitsfaktor von bis zu 10 hinzugerechnet. Bei diesem Schlusswert besteht aus wissenschaftlicher Sicht kein Risiko für den Verbraucher. Zusätzlich kann die Belastung mit einem Stoff durch folgende Grenzwerte wiedergegeben werden [2]:
ADI (Acceptable Daily Intake): Grenzwert für die Langzeit-Exposition von Verbrauchern
ARfD (Acute Reference Dose): Grenzwert für die Kurzzeit-Exposition von Verbrauchern
AOEL (Acceptable Operator Exposure Level): Grenzwert für die Exposition von Anwendern
AEL (Acceptable Exposure Level): Grenzwert für die Exposition bei der Anwendung eines Biozids

Verbraucher nehmen dieses Thema im Alltag nur über den Begriff der Höchstmenge wahr. Meist in Verbindung mit einer Überschreitung. BfR-Präsident Prof. Andreas Hensel weiß zwar, dass die Wissenschaft eine individuelle Risikoabschätzung nicht auflösen kann, aber sie kann den zu deckenden Forschungsbedarf erklären. Verringert hat sich die Wissenslücke zwischen Akademie und Verbraucher in den letzten Jahren nicht.

Glyphosat in der Politik

Artur Auernhammer (CSU) fürchtet nach einem Verbot für Glyphosat das Ende europäischer Getreideexporte. Elvira Drobinski-Weiß (SPD) aber ist sicher: „Eine Landwirtschaft ohne Glyphosat ist zweifelsohne möglich. Ein Verzicht ist kein Ende der Getreidewirtschaft.“

Die Umweltverbände werfen der Politik vor, sich einseitig an den Interessen der Agrarindustrie zu orientieren. So haben auch wegen Glyphosat der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und der NABU Ende 2011 ihre Mitgliedschaft im „Forum Nationaler Aktionsplan zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ aufgekündigt. Umgekehrt hat die „Arbeitsgemeinschaft Glyphosat“ als Zusammenschluss verschiedener Agrochemiefirmen die Einladung von Bündnis 90/Die Grünen zu einer Glyphosat-Tagung in der letzte Woche abgelehnt.

Die Landwirte müssen einen Sachkundenachweis und den entsprechenden Beleg demnächst als Karte mit sich führen, während im Baumarkt bei Privatanwendern wenig bis keine Beratung stattfindet. Alternativen für Glyphosat sind vor allem die mechanischen Bodenbearbeitungsgänge wie Hacken, Jäten oder Abflämmen. Für die Kommunen existiert ein Ratgeber, der auf einen gänzlichen Verzicht von Pflanzenschutzmitteln setzt [3].

Das BfR wird den Geist der Abhängigkeit nicht los. Das Institut habe vor Veröffentlichung der Monographie die IARC-Studie klein geredet. Harald Ebner (Bündnis 90/Die Grünen) kritisiert das Institut, weil viele Industriestudien nicht selbst bewertet werden und es verletzte das Vorsorgeprinzip, nicht eine Untermauerung der neuesten Ergebnisse abzuwarten.

Hermann Färber (CDU) warnt Umweltverbände an, den Gebrauch des Mittels in Deutschland nicht mit der Anwendung in Südamerika zu vergleichen. Der bestehende Handlungsbedarf dort könne nicht durch strengere Maßgaben in Deutschland korrigiert werden.

Kirsten Tackmann (Die Linke) weiß worin die Probleme liegen: „Es gibt zu Glyphosat noch immer keine abschließende Studie. Niemand hat sie bisher in Auftrag gegeben.“

Wie geht es weiter?

Im Juli erscheint ein Nachbericht des Joint Meeting on Pesticide Residues (JMPR), einer gemeinsamen Arbeitsgruppe der Weltgesundheitsorganisation WHO und der UN-Welternährungsorganisation FAO. Neben Glyphosat sollen auch weitere Studien über Diazinon und Malathion evaluiert werden [4]. Das wird die Grundlage für eine eventuelle Neubewertung sein. Die EFSA arbeitet gerade an ihrem Bewertungsdossier für Glyphosat und der Agrarausschuss hat für den September eine öffentliche Anhörung zum Wirkstoff angekündigt

Lesestoff:

[1] Ausschuss lehnt Glyphosat-Einschränkung ab

[2] www.bfr.bund.de

[3] Kommunale Flächenpflege ohne PSM

[4] JMPR: www.who.int/foodsafety/areas_work/chemical-risks/jmpr/en/

REACh: Kompromiss zwischen Verbraucher und Industrie

Fresenius-Konferenzen:
Pflanzenschutzmittel bald mit verbesserter Risikobewertung

Pesticides in Air, Soil and Water

Roland Krieg

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