Glyphosat: Vom Feld vor die Gerichtsbank
Landwirtschaft
Wann wird die Zusammenfassung wichtiger als die Studie?
Die Bayer AG erlebt vor amerikanischen Gerichten ein finanzielles Desaster. Seit der Übernahme Monsantos hat die Aktie des Konzerns aus Leverkusen rund 40 Prozent an Wert eingebüßt. Und Klagen aus Südamerika, wo Glyphosat in großen Mengen eingesetzt wird, sind gerade erst in der Vorbereitungsphase. Ende April findet die Hauptversammlung in Bonn statt. „Die Zeit“ berichtet über den Wirtschaftsprofessor und Bayer-Aktionär Christian Strenger, der mit einem Gegenantrag den Vorstand aus dem Fiasko nicht entlasten will. Wie viel der Bayer AG Monsanto noch kostet, entscheiden die Richter.
Das Totalherbizid hat jetzt auch das Landgericht Köln beschäftigt. Der Wirkstoff findet sich immer häufiger vor Gericht – doch die Klagemenge übertöst, dass es bei den Prozessen nicht um die wissenschaftliche Bewertung über die Krebsgefahr geht. Die Internationale Krebsagentur IARC, die WHO, EFSA, ECHA, das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und andere Behörden bleiben sich einig: Die Potenz, Krebs zu erzeugen, ist von Glyphosat so groß, wie der Genuss von rotem Fleisch – sagt die IARC. Das Risiko an Krebs zu erkranken ist nach Ansicht aller anderen bei sachgemäßer Anwendung gering.
Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit muss jetzt alle als geheim eingestuften Dokumente veröffentlichen. Was laut als Sieg gefeiert wird, führt nach Einsicht der Dokumente kaum zu einer Änderung der Krebspotenz und des Krebsrisikos.
Mit Glyphosat das Urheberrecht aushebeln?
Es geht um drei Dokumente: Die Bewertung des BfR zur IARC-Studie und zwei Stellungnahmen der Studie in Zusammenfassung. Eine sechs- und eine einseitige. Vom September und vom Oktober 2015.
Im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes bekamen Journalisten vom Transparenzportal „Frag den Staat“ im Februar 2019 die 6-seitige Stellungnahme des BfR zum IARC-Bericht zugesandt. Die einseitige Zusammenfassung ist beim BfR seit dem 23.10.2015 öffentlich. Die Zusendung erfolgte mit dem Hinweis, dass die große Stellungnahme nicht veröffentlicht werden darf. Das allerdings taten sie auf dem Portal. Das BfR mahnte die Betreiber Anfang März auf der Basis des Urteils des Landgerichts Köln ab, die Veröffentlichung zu löschen. Es war ein Verstoß gegen das Urhebergesetz. Eine Unterlassungserklärung wurde dem Portal am 28. März zugestellt. Das sechsseitige Dokument verschwand.
Das gesamte Gutachten wurde vom BfR als Anhang zur Bewertung der IARC-Einstufung der EFSA übermittelt. Die Kernaussage laut BfR am 23. Oktober 2015 veröffentlicht: „Auf der Basis von fünf Kanzerogenitätsstudien an Mäusen und sieben Studien zur chronischen Toxizität sowie zu Kanzerogenitätsstudien an Ratten kommt das BfR nach dem „Weight-of-evidence“-Ansatzes zum Schluss, dass kein Krebsrisiko hinsichtlich der beabsichtigten Nutzung als Herbizid besteht. Folglich erscheint auch keine Einstufung als krebserzeugend gemäß der CLP-Kriterien angezeigt.“ [1].
Das Portal „Frag den Staat“ hat jetzt alle Leser aufgerufen, sich beim BfR im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes das 6-seitige Dokument privat zusenden zu lassen. Das Dokument genießt „urheberrechtlichen Schutz als Sprachwerk“, was vom Landgericht Köln bestätigt wurde.
Glyphosat im Kopf: Streit um das Nichts
Nicht verwechseln: Bei dem Streit geht es nicht um die Bewertung von Glyphosat, sondern um die Erlaubnis, Behördendokumente, die privat im Rahmen des Informationsfreiheitsgesetzes zugesandt werden, zu veröffentlichen. Übrigens: Schon das BfR hat den Journalisten mitgeteilt, dass die eigentliche Studie zur IARC-Bewertung öffentlich zugänglich ist. Danach kann sich jeder ein genaues Bild über die Begriffe Risiko und Potenz von Glyphosat machen. http://registerofquestions.efsa.europa.eu/roqFrontend/outputLoader?output=ON-4302 (Final addendum, vom 19.11.2015 Punkt 17)
Warum ist das wichtig? Weil Canan Bayram von Bündnis 90/Die Grünen für heute in der Fragestunde des Bundestages die Frage an das Agrarministerium eingereicht hat, künftig vergleichbare Unterlassungsverlangen zur Veröffentlichung zu unterbinden. Glyphosat dient mittlerweile sogar als Hingucker für ganz andere Themen.
Lesestoff:
ECHA ist die Europäische Chemikalienagentur, die einen Leitfaden zur „Classification, Labelling and Packing“ (CLP) herausgegeben hat. Der bezieht sich auf die EU-Verordnung 1272/2008 (CLP-Verordnung)
Roland Krieg