Große Potenziale in der indischen Milchproduktion

Landwirtschaft

Indien plant eine zweite weiße Revolution

In den 1960er und 1970er Jahren hatte Indien mit der „weißen Revolution“ Erfolge gefeiert. Der Subkontinent hat die Milchproduktion über Kooperativen in großen Teilen aus der Subsistenzproduktion geholt. Seitdem ist den Milchkonsum von 100 auf heute 315 Gramm pro Kopf und Tag gestiegen. Das Land exportiert sogar Milch und Milchprodukte.

Urbanisierung

50 Jahre später muss der nächste Schritt erfolgen. Im Jahr 2000 lebten in Indien eine Milliarde Menschen, davon gerade einmal 27 Prozent in den Städten, im letzten Jahr wohnten schon 32 Prozent der 1,2 Milliarden Menschen in Städten und 2030 wird es rund 1,5 Milliarden Inder geben. 40 Prozent leben dann im urbanen Raum. Dort kann sich die Mittelschicht mehr Nahrungsmittel leisten und tauscht auf dem Teller pflanzliches gegen tierisches Protein aus. Noch vor dem Konsum an Fleisch und Eiern steigt der Konsum von Milch und Milchprodukten, prognostiziert Sunjay Vuppuluri von der indischen „Yes Bank“. In Hannover hielt er einen Vortrag auf der Eurotier. Die weltweite größte Messe für Nutztiere weist auch 17 Aussteller aus Indien auf. Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) lud zusammen mit der Hamburger German Asia-Pacific Business Association (OAV) am Dienstag zu einem Expertengespräch über die Chancen und Risiken der Nutztierhaltung in Indien. Schwerpunkt war der Milchmarkt.

Das hat seinen Grund. Milcherzeugung und Konsum wachsen derzeit jährlich um vier Prozent. Aktuell produzieren die indischen Milchkühe rund 156 Millionen Tonnen Milch im Jahr. Für den Bedarf im Jahr 2030 müssen es 200 Millionen Tonnen sein, sagte Bernd Koch von der DLG-International. Dazu müsse die Produktivität der Milcherzeugung steigen und die Verarbeitung modernisiert werden. Chancen für deutsche Firmen, Maschinen und Technik zu verkaufen.

Heute trifft sich die binationale Arbeitsgruppe in Hannover zum 5. Mal, um technisch, genetisch und bei der Ausbildung den nächsten Entwicklungsschritt einzuleiten, ergänzt Friedrich Wacker aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Im nächsten Jahr steht eine Absichtserklärung für die Zusammenarbeit im Bereich des Veterinärwesens und der Lebensmittelsicherheit an. Indien rückt mehr in den Fokus des deutschen Agrar- und Ernährungsgewerbes. Mit 29 Billionen US-Dollar soll Indien im Jahr 2060 zwischen China und den USA das zweitgrößte Bruttosozialprodukt erwirtschaften. Heute trägt die Landwirtschaft noch 18 Prozent Anteil bei und beschäftigt 50 Prozent aller Beschäftigten.

Produktivitäts-Lücke

Dr. Trilochan Mohapatra ist Staatssekretär im indischen Landwirtschaftsministerium und Generaldirektor des Rates für indische Agrarwissenschaften (ICAR). Kurz und knapp lautet seine Analyse: Die Genetik der Milchkühe ist zu alt, die Fütterung überbrückt die Trockenheit nicht und die Futterqualität ist zu gering. Die Hälfte der indischen Milchrinder ist nicht in einem Herdbuch erfasst, um einen Zuchtfortschritt zu gewährleisten und 37 Millionen Samenportionen pro Jahr sind viel zu wenig, um die nationale Herde zu verbessern. Da Rinder nicht geschlachtet werden dürfen, wäre ein Sperma-Sexing notwendig. Die nicht gebrauchten männlichen Kälber der Milchkühe verhungern oder werden illegal geschlachtet, kritisieren Tierschützer.

Ein anderes Problem liegt in der Kleinteiligkeit der Milchproduktion. Knapp 500 Millionen Rinder und Büffel gibt es in Indien. Die Milchleistung liegt bei drei bis fünf Liter am Tag, was zwar für viele Familien ausreicht. Frischmilch in den Geschäften gibt es wegen der fehlenden Hygienestandards kaum zu kaufen. 80 Prozent der Tiere stehen dabei alleine oder zu zweit auf einem „Betrieb“. Von den 140 Millionen Milchbauern produzieren 45 Millionen unter dem Landesdurchschnitt. Die Kooperativen der weißen Revolution haben kaum eine Strukturänderung hervorgebracht, sondern nur die „Einzelkämpfer“ im Verbund gestärkt. Nach Dr. Mohapatra gibt es 1,6 Millionen Milchkooperativen im Land.

Der notwendige Fortschritt setzt sich nicht nur aus einer Steigerung der Milcherzeugung zusammen. Die Ressourcen müssen effektiver genutzt werden. Auch deutsche Landtechnik ermöglicht in größeren Betrieben eine verlustfreie Futtergewinnung und Lagerung ohne Qualitätsverluste.

Nach Koch könnten die Zukunftsbetriebe in Indien um die 300 Milchkühe haben. Was passiert dann mit den Kleinbauern? Premierminister Narendra Modi hat sich darüber Gedanken gemacht, sagt Dr. Mohapatra zu Herd-und-Hof.de. Er will das Einkommen der Kleinbauern verdoppeln, so dass sie auf dem Land bleiben. Sicher ist das nicht. Die meisten kennen nur die Landwirtschaft und werden ohne eine Politik des ländlichen Raums kaum eine andere Arbeit finden. Daher zielt die „neue weiße Revolution“ auch auf die Kleinbauern ab, erklärt Mohapatra. Sie sollen zunächst in Kooperativen eingebunden werden, damit sie an der Produktivitätssteigerung teilhaben können.

Landarbeit wenig attraktiv

Doch auch in Indien verliert die Landarbeit an Attraktivität. Mit dem Boom des Dienstleistungssektors im Land wollen die jungen Menschen nach Dr. Santender Singh Arya, wie woanders auch, lieber für weniger Geld in der Stadt arbeiten, als einem handwerklichen Beruf nachgehen. Der Geschäftsführer des Agriculture Skill Councils of India weiß wovon er spricht. Mit einer dualen Ausbildung nach deutschem Vorbild, will er die Grundlage für die Umsetzungen von Innovationen in der Landwirtschaft legen. Auf den größeren Betrieben erfolgt die Grünfuttergewinnung auch dank deutscher Technik nach europäischem Standard. Der Arbeitsplatz wird attraktiver. Doch, wenn die Jugend gut ausgebildet ist, verdient sie in der Industrie mehr als auf den Betrieben - und schon sind sie wieder weg.

Indien hat hier genauso wenig einen Königsweg parat, wie andere Länder in Asien.

Roland Krieg

Zurück