Gutachten zur Nutztierhaltung

Landwirtschaft

Welche Nutztierhaltung wollen wir?

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik (WBA) hat am Mittwoch das Gutachten zur Nutztierhaltung an Staatsekretär Peter Bleser im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft überreicht.

Drei Kernabschnitte aus der Einleitung des umfangreichen Gutachtens (425 Seiten):

„Die Nutztierhaltung in Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem wirtschaftlich sehr erfolgreichen Sektor entwickelt. Es wurden große Fortschritte in Bezug auf die Ressourceneffizienz erzielt. Gleichzeitig gibt es erhebliche Defizite vor allem im Bereich Tierschutz, aber auch im Umweltschutz. In Kombination mit einer veränderten Einstellung zur Mensch-Tier-Beziehung führte dies zu einer verringerten gesellschaftlichen Akzeptanz der Nutztierhaltung.“

„Angesichts des globalen ökologischen Fußabdrucks und der negativen gesundheitlichen Effekte eines sehr hohen Fleischkonsums spricht sich der WBA für die Strategie einer tiergerechteren und umweltfreundlicheren Produktion bei gleichzeitiger Reduktion der Konsummenge aus.“

„Für einen Großteil der Tierhaltung führt die in dem Gutachten konkretisierte Umsetzung der Leitlinien zu Mehrkosten in der überschlagsmäßig ermittelten Größenordnung von 13 bis 23 % (insgesamt etwa 3 bis 5 Mrd. Euro jährlich). Diese Mehrkosten würden bei einem Wertschöpfungsanteil der Landwirtschaft am Endpreis des Verbrauchers von rund 25 % bei einfacher Überwälzung zu einer Erhöhung der Verbraucherpreise von etwa 3 bis 6 % führen. Dies entspricht größenordnungsmäßig der bekundeten Zahlungsbereitschaft eines erheblichen Teils der Bevölkerung, die jedoch aufgrund fehlender Konzepte und der internationalen Marktintegration zurzeit nicht realisiert wird.“

Wahrscheinlich haben solche Sätze dazu geführt, dass das BMEL keine Pressemitteilung nach der Überreichung versendet hat [1]. Auch war kurzfristig nicht Minister Christian Schmidt bei der Übergabe dabei. Dafür haben sich die Kritiker ausreichend gemeldet.

„Zusammenschnitt grüner Agrarpolitik“

Der agrarpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Friedrich Ostendorff sieht in dem Gutachten „eine Klatsche für die bisherige Politik von Minister Schmidt“. Die Wissenschaftler fordern „nichts anderes als eine Umkehr bei der intensiven Fleischproduktion“. Diese sei alles andere als „zukunftsfähig“. Ostendorff sieht in der Studie einen Zusammenschnitt grüner Agrarpolitik der letzten Jahre und widerlege die Kritik an ihr. Jetzt fordert Ostendorff von Schmidt „eine konsequente Umsetzung der Forderungen und eine verstärkte finanzielle Förderung der artgerechten Tierhaltung.“

„In weiten Teilen außerordentlich kritisch“

Der Deutsche Bauernverband (DBV) sieht das Gutachten „in weiten Teilen außerordentlich kritisch“. „Die Analyse der derzeitigen Situation, deren methodische Grundlagen und Bewertungen haben erhebliche Schwächen. Die Empfehlungen der Wissenschaftler sind in Anbetracht der Konsequenzen für die Nutztierhaltung, die Bauernfamilien und für den ländlichen Raum unverantwortlich leichtfertig“, kritisierte DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken. Richtig lägen die Wissenschaftler allerdings mit der Bewertung, dass höhere Standards zu einer Verlagerung der Tierproduktion ins Ausland führten. Der DBV glaubt auch nicht an die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher. Es sind viele verschiedene Label auf dem Markt und der Verbraucher hat die Auswahl. „Gemessen an den Marktanteilen von Labels für eine solche Tierhaltung wird diese Annahme von der Realität im Lebensmittelhandel nicht bestätigt.“ Außerdem seine die Kosten nicht realistisch eingeschätzt und die Verbraucherausgaben stiegen höher als zwischen drei bis sechs Prozent. Gegenzurechnen seien die volkswirtschaftlichen Kosten durch die Abwanderung der Tierproduktion ins Ausland.

„Tierschutzplan Niedersachsen“

Niedersachsens Landwirtschaftsminister Christian Meyer erkennt in dem Gutachten den Tierschutzplan Niedersachsen wieder. „Die Analysen sind eindeutig, die Empfehlungen unmissverständlich. Der Sachverständigenrat fordert eine radikale Wende beim Tierschutz und bestätigt damit eindrucksvoll Niedersachsens Tierschutzplan.“ Bundesminister Schmidt sollte schnellstens den Tierschutzplan „als Roadmap für den Bund“ übernehmen. Das Gutachten spiegele den überall zu beobachtenden gesellschaftlichen Wandel bei Tierwohl und Lebensmittelproduktion wider.

„Bestandsobergrenzen in der Tierhaltung“

Dr. Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, sieht sich in ihrer „Position bestätigt, dass nicht die Stallgröße und Zahl der Tiere allein Dreh und Angelpunkt für gute Tiergesundheit sind, sondern Haltungsbedingungen und Betreuung der Tiere im Stall. Trotzdem brauchen wir eine Deckelung der Tierbestandsgrößen gegen Megaställe und zu hohe regionale Dichten. Die Linke fordert schon seit langem solche Bestandsobergrenze in der Tierhaltung.“ Tackmann will aber die gesellschaftliche Akzeptanz nicht allein im Vordergrund wissen: „Es geht vor allem um Lebewesen und es muss auch um die Arbeitsbedingungen sowie die Qualifikation der Menschen gehen, die Nutztiere betreuen. Die Verbesserungen werden Geld kosten. Das muss aber auch durch Gewinnverzicht im Lebensmitteleinzelhandel und der Schlacht- und Verarbeitungsindustrie bezahlt werden.“

Agrarforschung für mehr Tierwohl

Lob für das Gutachten gibt es auch aus der Wissenschaftsgemeinschaft. „Als forschungsstärkste Agraruniversität der Bundesrepublik ist uns Tierwohl ein Anliegen, das wir in vielen Forschungsprojekten aufgreifen und weiter vorantreiben wollen“, bekräftigt der Rektor der Universität Hohenheim, Prof. Dr. Stephan Dabbert. Zwei Mitglieder des Beirats lehren auch an der Universität. „In den vergangenen Jahren sind viele Entwicklungen auch aus der Universität Hohenheim bereits in die landwirtschaftliche Praxis eingezogen“, sagt Prof. Dr. Dabbert, der selbst Agrarökonomie lehrt. „In vielen Bereichen besteht auch heute noch Forschungsbedarf. Deshalb begrüßen wir dieses Gutachten und wollen unsere fachliche Expertise auch in Zukunft einsetzen, um dieses gesellschaftlich wichtige Thema voran zu treiben.“ Fachlich sei die Universität gut dafür aufgestellt: Das renommierte Ranking der National Taiwan University sieht die Hohenheimer Agrarforschung auf Platz 1 in Deutschland und Platz 5 in Europa. Im Best Global Universities Ranking der Zeitschrift US News and World Report liegt sie auf den Plätzen 1 und 3 in Deutschland und Europa.

„Fehlentwicklungen abstellen“

„Bisher ist die Bundesregierung nicht willens oder nicht in der Lage, Fehlentwicklungen in der Landwirtschaft abzustellen“, sagte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger in Berlin. „Die wachsende Exportorientierung der Fleischindustrie, oft durchgehend maschinelle Prozesse bei der Nutztierhaltung und alarmierende Belastungen von Discounter-Fleisch mit antibiotikaresistenten Keimen sind Belege dafür, dass die Agrarpolitik in die falsche Richtung läuft. Agrarminister Schmidt muss handeln“, sagte Weiger. „Das Wohl der Tiere müssen wir uns auch was kosten lassen. Denn Billig-Fleisch kostet mehr: Mangelnden Tierschutz, Preis- und Lohndumping und mit Dünger, Gülle und Pestiziden verseuchte Böden und Gewässer“, so der BUND-Vorsitzende. Verantwortlich dafür seien nicht nur niedrige Umwelt- und Tierschutzstandards, sondern auch indirekte Subventionen für industrielle Tierställe und Schlachthöfe sowie Zuschüsse für die Fleischlagerung in Kühlhallen. „Die Fleischindustrie kassiert die Gewinne und für die Folgekosten müssen die Steuerzahler aufkommen“.

„Umbauprogramm nutzt Bauernhöfen“

Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) fordert ebenfalls eine rasche Umsetzung des Gutachtens auf Ebene des Bundes und der Länder. Mit Elementen wie Ordnungsrecht, Förderung, Ausbildung, Beratung, Forschung, Produktkennzeichnung und Preispolitik sollen die „nicht zukunftsfähigen Agrarindustrie-Strukturen“ in eine „artgerechte, umwelt- und gesundheitsverträgliche sowie flächengebundene Tierhaltung in bäuerlichen Strukturen“ umgewandelt werden. AbL-Vertreter Eckehard Niemann zeigt sich gegenüber den Verbrauchern optimistisch: „Wenn bestimmte Formen der Qual- und Stresshaltung künftig nicht mehr erlaubt seien, würden zudem auch jene Verbraucher, die bisher bei Dumping-Angeboten im Supermarkt noch schwach geworden seien, gern für die dann flächendeckende „Klasse statt Masse“ einen fairen Preis bezahlen und ihren Einkauf darauf einrichten“

„Weichen auf Öko-Tierhaltung stellen“

Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft ist erleichtert. Vorstand Felix Prinz zu Löwenstein: „Die Haltungsbedingungen, die Züchtungsziele und die Fütterung, die von einem Markt erzwungen werden, in dem nur der Preis zählt, müssen beendet werden. Die Öko-Tierhaltung, die auf artgerechte Haltung, Freilauf, genügend Platz und ökologisch erzeugtes Futter setzt, wird vom Beirat zu Recht als zukunftsfähiges Modell der Nutztierhaltung empfohlen. Endlich!“ Die Öko-Standards sind nicht auf die gesamte Landwirtschaft einfach zu übertragen. Aber das Gutachten gebe Klarheit in der Frage, dass es nicht mehr um das „ob“, sondern bereits um das „Wie“ der Umwandlung geht.

Was der WBA noch fordert

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik fordert unter anderem ein Bundesprogramm Tierwohl und ein staatliches Label für besonders tierfreundliche Produkte. Er plädiert für eine entschiedene Umsetzung bestehender gesetzlicher Mindeststandards, empfiehlt eine Initiative Deutschlands für die Anhebung der Mindeststandards in der EU oder zumindest in für die Tierhaltung wichtigen nordwesteuropäischen Ländern. Prämiensysteme zur Entlohnung von darüber hinausgehenden freiwilligen Tierschutzleistungen wie Außenklimazugang oder mehr Beschäftigungsmaterialen sollten ausgebaut werden. Deren Finanzierung könnte durch eine stärkere Umschichtung von Hektarprämien (1. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU) in die 2. Säule (Politik zur Entwicklung ländlicher Räume) erreicht werden.

Die Wirtschaft (Handel, Großverbraucher, Industrie) kann durch die engagierte Umsetzung und eine erheblich verbesserte finanzielle Ausstattung der Brancheninitiative Tierwohl, durch Auslistung von Produkten aus defizitärer Tierhaltung und Marktdifferenzierungen statt Fokussierung auf Niedrigpreise zu einer verbesserten gesellschaftlichen Akzeptanz der Tierhaltung beitragen.

Ebenfalls für erforderlich hält der WBA ein Monitoringsystem als Informationsgrundlage für den Status des Tierwohls, in dem erstmals systematisch Daten zum Tierschutz in der Landwirtschaft erfasst werden. Alle, die in der Landwirtschaft mit Tieren umgehen, sollten zukünftig über einen Sachkundenachweis verfügen.

Zur Verringerung der Nährstoffausträge aus der Landwirtschaft empfiehlt der WBA eine engagierte Reform der Düngegesetzgebung, die über den gegenwärtigen Referentenentwurf zur Düngeverordnung hinausgehen sollte.

Der Prozess der Verbesserung des Tierschutzes sollte durch einen breiten gesellschaftlichen Dialog flankiert werden. "Dieser Dialog sollte vielfältige Formen der Bürgerbeteiligung sowie Transparenz- und Informationsinitiativen umfassen. Dem Deutschen Bundestag empfehlen wir, eine Enquête-Kommission Tierwohl einzusetzen.", so Prof. Regina Birner (WBA).

Lesestoff:

Das Gutachten finden Sie in Kurz- und Langfassung auf der Seite des BMEL: www.bmel.de

Roland Krieg

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