Health Check: Licht und Schatten

Landwirtschaft

Health Check: Licht und Schatten

Die Europäische Kommission begrüßt den Beschluss der Agrarminister über die Zwischenbewertung der Agrarreform von 2003. Die Gemeinsame Agrarpolitik wird den Bauern die Chance geben, sich den Markterfordernissen anzupassen und neue Chancen für Betrieb und Einkommen zu ergreifen. EU-Agrarkommissarin Mariann Fischer Boel sagte in Brüssel: „Ich bin zufrieden, dass wir einen Kompromiss gefunden haben, der allen Vorschlägen aus der Vorlage gerecht geworden ist.“ Das Umschichten der Gelder in die zweite Säule gebe den Entwicklungen einzelner Regionen Hilfe für „maßgeschneiderte Lösungen“.

En Detail
Für eine sanfte Landung beim Ausstieg aus dem Milchquotensystem werden die Quoten unverändert jährlich um ein Prozent erhöht. Italien bekommt sofort eine fünfprozentige Erhöhung. Milchbauern, die ihre zugestandene Milchmenge um mehr als sechs Prozent überschreiten müssen eine um die Hälfte höhere Strafabgabe bezahlen.
Entkopplung: Die Entkopplung der Beihilfen von der Produktion geht weiter. Die Mitgliedsländer, die noch vereinzelt „gekoppelte“ Gelder zahlen, werden das aufgeben müssen. Ausnahme bleiben Saugkälber, Ziegen- und Schafprämien.
Artikel 68: Zehn Prozent der Zahlungen könne bislang für Umweltmaßnahmen im gleichen Finanzsektor genutzt werden. Diese Regelung wird flexibler gestaltet und die Gelder können auch für andere Bereich im ländlichen Raum genutzt werden. Zum Beispiel für den Milchbereich. Hier können jetzt auch ungenutzte Gelder der Mitgliedsländer eingespeist werden.
Modulation: Es bleibt beim Freibetrag von 5.000 Euro für die Direktzahlungen aus der ersten Säule. Was darüber hinausgeht wird in die zweite Säule geschichtet. Zunächst zu fünf Prozent, dann ansteigend bis zum Jahr 2012 auf zehn Prozent. Wer mehr als 300.000 Euro im Jahr erhält, muss zusätzliche Kürzungen von vier Prozent hinnehmen.
Jungbauern
bekommen jetzt Investitionshilfen in Höhe von 70.000 statt 55.000 Euro. Die Flächenstillegung fällt weg und Cross Compliance wird derart vereinfacht, dass Bedingungen, für die Bauern nicht verantwortlich sind, wegfallen sollen. Interventionen für Schweinefleisch, Gerste und Sorghum entfallen, für Weizen wird der Interventionspreis auf 101,31 €/Tonne festgesetzt. Aber nur bis zur Gesamtmenge von bis zu drei Millionen Tonnen.

Der Deutsche Raiffeisenverband (DRV) begrüßt ausdrücklich die endgültige Abschaffung der Flächenstilllegung. Die Beschlüsse zur Getreideintervention hingegen seine unbefriedigend. Es sei angesichts einer „extrem überschüssigen Marktsituation“ fraglich, ob eine Begrenzung der Interventionsmenge auf drei Millionen Tonnen ausreiche, den Preis auf 101,31 Euro je Tonne ausreiche. DRV-Präsident Manfred Nüssel fürchtet bei ähnlich hohen Erträgen insbesondere bei Futtergetreide wie 2008 einen erheblichen Preisdruck.

Reaktionen
Einig sind sich Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) und Deutscher Bauernverband (DBV) in der Kritik zur Quotenerhöhung. Das sei das völlig falsche Signal an die Milchbauern und ihnen nur schwer zu vermitteln. Den einzigen Vorteil bei den Milchbeschlüssen sieht der DBV in einer Überprüfung der Auswirkungen in den Jahren 2010 und 2012. Lob hat die neue Agrarministerin erhalten, dass sie die Kürzungen geringer hat ausfallen lassen und den Milchfonds durchgesetzt hat. Deutschland könnte tatsächlich bis 2012 auf die gewünschten 300 Millionen Euro Milchfonds aus dem Topf für nicht genutzte Mittel kommen.
Mit der Finanzierung des Milchfonds hadert allerdings Niedersachsens Landwirtschaftsminister Hans-Heinrich Ehlen. Finanziert werde dieser jetzt aus Modulationsmitteln und nicht genutzten Direktzahlungen: „Man nimmt also das Geld für den Milchfonds den Landwirten selbst aus der Tasche“, sagte Ehlen. Niedersachsen stehe vor besonderen Problemen, weil die Milchbauern rund 500.000 Hektar Grünland ohne nennenswerte Produktionsalternative bewirtschaften müssten.

Mehr Umwelt
Als „kleine Schritte“ in die richtige Richtung bezeichnete Cornelia Behm, agrarpolitische Sprecherin der Grünen, die Einigung beim Health Check: „Die europäische Landwirtschaftspolitik muss in Zukunft deutlich mehr für den Klimaschutz und die Stärkung der ländlichen Regionen tun. Eine Umschichtung der Gelder für diese Bereiche ist deshalb der richtige Weg.“ Schließlich gehe das Geld den Bauern nicht verloren, sondern erhalten es für den Aufwand gesellschaftlich gewünschter Leistungen im Umweltschutz. Unbefriedigend bleibe, dass bei der Subventionskürzung die Arbeitsplatzzahl der Betriebe nicht berücksichtigt werde
Der Bioland-Verband allerdings zeigt sich richtig enttäuscht über den Health Check. Präsident Thomas Dosch: „Die Chance einer wirksamen Umverteilung von Agrarmitteln für zu mehr Umwelt- , Klima- und Artenschutz und damit mehr gesellschaftlicher Akzeptanz der EU-Agrarausgaben ist vertan. Wir sind schockiert, wie wenig Substanz von den ursprünglichen Vorschlägen der EU-Kommission geblieben ist.“ Aus fachlicher Sicht sei nicht nachvollziehbar, was aus der Analyse der Europäischen Kommission zur Agrarreform und dem Vorschlag einer substanziellen Umschichtung in die ländliche Entwicklung übrig geblieben ist. Die Gelder sollen auf jeden Fall für die Landwirtschaft erhalten bleiben, damit es weiterhin eine flächendeckende Bewirtschaftung geben könne. Daher sei der Eindruck, den der DBV erwecke, die Modulation sei eine Kürzung, falsch. Bioland sieht in der Modulation eine Honorierung für konkrete Leistungen.

Hektar bleibt Hektar
Heftige Kritik übt Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Dr. Till Backhaus: „Erstmals werden Landwirtschaftsbetriebe wegen ihrer Größe ungleich und damit ungerecht behandelt. Der Damm ist damit gebrochen. Künftig braucht man nur noch die Sätze anzuheben, um gerade den Strukturen notwendige Gelder zu entziehen, die in Europa am ehesten wettbewerbsfähig sind. Ein finanzieller Verlust bei den Großen, der den Kleinen in keinster Weise nutzt. Die Landwirtschaft verliert insgesamt. Das ist unlogisch und nicht konsistent mit den bisherigen Agrarreformen.“ Für Backhaus honorieren die Direktzahlungen bereits die Gemeinwohlleistungen und die auf einen Hektar bezogenen höheren Standards der Landwirtschaft. „Und ein Hektar ist ein Hektar, egal ob er in einem kleinen oder in einem großen Betrieb bewirtschaftet wird.“
Die zusätzlichen Gelder können für einen Milchfonds ausgelegt sein, doch Backhaus mahnt, dass auch Schaf- und Ziegenhalter vor existentiellen Problemen stehen. Gelder bräuchten auch die Mutterkuhhalter und generell Niedermoorstandorte, Dauergrünlandflächen und Betriebe, die auf leichten Böden wirtschaften müssen.
„Auf die Beschäftigten in vielen ostdeutschen Betrieben kommen harte Zeiten zu“, prognostiziert Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Linken. Die Verluste von jährlich 225 Millionen Euro treffen eine Region, die ohnehin wirtschaftlich benachteiligt ist, doppelt hart, so Tackmann weiter. Sie fürchtet, dass die Kürzungen Arbeitsplätze kosten werden.
Auch für Manfred Nüssel ist die Erhöhung der Modulation eine „herbe Enttäuschung“: „Der Einstieg in eine progressive Modulation trifft die von uns vertretenen Agrargenossenschaften in hohem Maße, insbesondere vor dem Hintergrund stark gestiegener Kosten und unbefriedigender Erzeugerpreise. Es kann nicht sein, dass sich Menschen zur gemeinsamen Landbewirtschaftung in einer Genossenschaft zusammenschließen und dafür mit einer zusätzlichen Kürzung ihrer Direktzahlungen sanktioniert werden.“
Thüringens Agrarminister Volker Sklenar hat schnell gerechnet. Durch die Erhöhung der Modulation erhöht sich der jährliche Umschichtungsbetrag in seinem Bundesland von 12,9 auf 29,4 Millionen Euro. Doch erkennt er an, dass die Kürzungen deutlich niedriger ausgefallen sind als befürchtet. Ursprünglich wären es nach dem Kommissionsvorschlag 45 Millionen Euro im Jahr gewesen. Sklenar will vor allem die milchviehhaltenden Betriebe unterstützen.
Brandenburgs Agrarminister Dr. Dietmar Woidke weist darauf hin, dass es schon einen Unterschied ausmache, „ob die Kürzungen adlige Großgrundbesitzer oder Industrieunternehmen treffen, die auch Agrarflächen bewirtschaften, oder ob damit die historisch gewachsenen Agrarstrukturen in den neuen Bundesländern schwer beschädigt wird. Die großen Agrarbetriebe im Osten sind fast ausschließlich in der Hand bäuerlicher Familien, die unter dem Dach einer Genossenschaft oder einer GmbH gemeinsam versuchen, erfolgreich zu wirtschaften.“ In Brandenburg bewirtschaften die Großbetriebe rund die Hälfte der brandenburgischen Landwirtschaftsfläche. Sinnvoller wäre es, die Zahlungen auf der Basis der Umweltrichtlinien, den Cross Compliance, zu erhalten, so Woidke.

Licht und Schatten
Der bayrische Agrarminister Helmut Brunner ist mit der Quotenerhöhung natürlich nicht zufrieden. Das angekündigte Monitoring und die drastische Erhöhung der Superabgabe bei Überlieferung müsse daher „konsequent angewandt werden“. Brunner fordert darüber hinaus eine größere Anstrengung zur Förderung des Exports und zur Erschließung neuer Märkte im In- und Ausland. Der Milchfonds entspreche bayrischen Forderungen und solle zu Gunsten der bayrischen Milchbetriebe eingesetzt werden. Zufrieden zeigte sich Brunner auch mit dem Einstieg in die progressive Modulation, die den ostdeutschen Betrieben zu schaffen macht. Sie sein ein „wichtiges Signal zugunsten bäuerlicher Betriebe“.

Beratungsoffensive Bayern
Helmut Brunner kündete im Vorfeld der Brüsseler Beratungen bereits an, die Beratungsoffensive „Wirtschaftliche Milchviehhaltung“ seines Vorgängers fortzuführen. Angesichts der künftigen Herausforderungen des Marktes gehe es um „Maßnahmen der Staatsregierung zur Sicherung der Milchproduktion in Bayern“. Die erste der drei Regionalkonferenzen findet für die Region Oberbayern Ost und Niederbayern am 05. Dezember in Passau statt. Die beiden anderen Konferenzen finden in Gersthofen und in Amberg statt. Die Ämter für Landwirtschaft und Forsten organisieren bei Bedarf auch eine gemeinsame Anreise per Bus. www.landwirtschaft.bayern.de

Als Präsident des Bayrischen Bauernverbands wird Gerd Sonnleitner deutlicher: „Gerade vor dem Hintergrund hunderter Milliarden staatlicher Hilfen für die Auswirkungen der Finanzkrise, die einige Banker durch Spielcasino-Kapitalismus verursacht haben, bin ich darüber empört, dass die Politik in Brüssel zusätzliche Kürzungen über eine höhere Modulation bei den Bauern beschließt.“
Friedhelm Schneider, Präsident des Hessischen Bauernverbands, sieht die Bauern als „eigentliche Umweltschützer“: „Wir betreiben Bodenschutz, Artenschutz, Wasserschutz und sichern die Grundwasserneubildung.“ Wenn also jetzt Gelder in die zweite Säule umgeleitet werden, dann müsse sicher gestellt sein, dass „diese nicht zur Spielwiese der Landräte und Gemeinde verkommen, um etwa den dritten Dorfbrunnen einzuweihen“.

Health Check und Export
In einer gemeinsamen Erklärung rügen die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), Germanwatch, FIAN und Misereor die Ergebnisse des Health Check. Weil die Milchmenge in Europa nicht angepasst wird, fürchtet Bernd Voß, Milchbauer und Vorstand der AbL, dass es keine kostendeckenden Preise gibt. Skepsis gegenüber dem Milchfonds zeigt Tobias Reichert von Germanwatch: „Der von der Bundesregierung durchgesetzte Milchfonds soll zu großen Teilen dazu dienen, bereits durchrationalisierte Betriebe noch wettbewerbsfähiger für den Export zu machen.“ Aigner habe sich in den Verhandlungen nicht deutlich für ein definitives Ende von Exportsubventionen eingesetzt. „Statt sich auf den größten Binnenmarkt der Welt – die EU – zu konzentrieren, wird weiterhin mit Export-Dumping in Entwicklungsländer gesetzt. Mit Steuergeldern sollen die planwirtschaftlich erzielten Übermengen dann auf den Weltmarkt verschleudert werden“, sagte Mute Schimpf von Misereor. Armin Paasch von FIAN ergänzt: „Milchbauern in Entwicklungsländern droht so noch mehr unfaire Konkurrenz durch subventionierte Produkte.“ Er sieht die Einkommensquellen von Milchbauern wie in Sambia und Uganda „massiv gefährdet“.

Fettkorrektur
Die Österreicher waren zusammen mit Deutschland die entschiedensten Gegner des Ende der Milchquote. Österreichs Landwirtschaftsminister Josef Pröll sieht die Brüsseler Beschlüsse sportlich und verweist auf drei Eckpfeiler für die österreichischen Milchbauern:
Kernstück wird eine Milchkuhprämie sein, die aus ungenutzten Zahlungsansprüchen resultiert. Österreich hat erreicht dass diese neuen Mittel aus Brüssel aus nationalen Mitteln verdoppelt werden können. Zweitens will Pröll die aus der Modulation aufgestockten Mittel in strukturschwachen Gebieten als Weideprämie, Investitionsmaßnahme oder als Hilfe für die Verarbeitung übernehmen. Und drittens wird für die Milchbauern der Fettkorrekturkoeffizient von 0,18 auf 0,09 Prozent gesenkt. Damit wird für die österreichischen Milchbauern der durchschnittliche Referenzfettgehalt von 4,03 auf 4,13 Prozent angehoben. So wird die angelieferte Milch in eine fiktive zusätzliche Milchmenge umgerechnet, ohne tatsächlich mehr Milch zu produzieren. Das bedeutet, so Pröll, dass die Bauern bei gleicher Milchmenge ihre Zusatzabgabe um die Hälfte reduzieren und pro Jahr 12,5 Millionen Euro sparen.

Felix Austria:
Nach österreichischen Angaben kamen rund 80 Prozent der Milchmengenüberlieferungen dadurch zustande, dass die Anlieferungsmilch mit 4,2 Prozent Fett einen höheren Fettgehalt aufwies als die Referenzmenge, die mit 4,03 bemessen ist und dem Alpenland beim Eintritt in die EU festgeschrieben wurde. Für die Feststellung der Liefermenge gilt weniger das Volumen als im Wesentlichen der Fettgehalt. Wird also die österreichische Fettkorrektur auf „Null“ gestellt, kann also mehr Fett, also mehr Milch geliefert werden, ohne dass es tatsächlich der Fall ist.

Lesestoff:
http://ec.europa.eu/agriculture/healthcheck/index_en.htm

Roland Krieg

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