Health Check mit Stärken und Schwächen
Landwirtschaft
Seehofer verspricht heißes Nachverhandeln bis November
Wenn man sich beim Arzt einer Routineuntersuchung unterzieht, bleibt ein ungutes Gefühl: „Irgendetwas findet der immer.“ In den schrecklichsten Alpträumen sieht man sich bereits auf dem OP-Tisch. Und fühlt sich doch gesund.
EU-Kommissarin Mariann Fisher Boel sprach immer vom Health Check, der Gesundheitsüberprüfung, als Zwischenbericht für die 2003 eingeschlagene gemeinsame Agrarpolitik, die jedoch von Politikern und berufsständischen Vertretern im Vorfeld oft als tiefergehende Agrarreform bezeichnet wurde. Vor allem wenn es um finanzielle Kürzungen ging.
In seiner ersten Bewertung des gestern vorgelegten Legislativvorschlag der Europäischen Kommission bezeichnete Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer diesen als „Voruntersuchung. Jetzt kommen wir zur Hauptuntersuchung“ und kündete eine „heiße Phase“ der Verhandlungen an, bis der Gesetzestext abschließend im November 2008 verabschiedet wird.
2003: |
Gestern abend sagte Seehofer der Presse in Berlin, dass „noch zusammen gefügt werden muss, was derzeit noch weit auseinanderliegt.“ Er wolle einen innerstaatlichen Dialog mit der Bundestagsfraktion, den Bundesländern und Berufsvertretern führen, damit Deutschland geschlossen mit einer Stimme spräche. Während die EU mit einer klugen Kommission 27 Mitgliedsländer austarieren müsse, hätte Deutschland vergleichbares mit seinen 16 Bundesländern zu stemmen. Er dankte den Bundesländern, die ihre unterschiedlichen Positionen nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen hätten.
Modulation
Die Modulation beschreibt, wie die Direktzahlungen an den Betriebsinhaber, der so genannten ersten Säule, gekürzt und in die zweite Säule für die Entwicklung des ländlichen Raums umgewandelt werden. Seit 2003 läuft die obligatorische Modulation in den EU15-Ländern, die schrittweise auf aktuell fünf Prozent erhöht wurde. Gültig ab einem Freibetrag von 5.000 Euro.
Um die Anhebung der Modulation hat es viel Streit gegeben. Zwischenzeitlich gab es ein Alternativmodell, dass die Erhöhung reduziert und den Freibetrag verdoppelt. Das Modell von EU-Berichterstatter Dr. Lutz Goepel fand allgemeine Anerkennung. Ist aber vom Tisch. Die EU hat folgende Sätze vorgeschlagen:
Gesamtprozentsätze der Modulation | ||||
Schwellenwerte |
2009 |
2010 |
2011 |
2012 |
1 bis 5000 € |
0 |
0 |
0 |
0 |
... bis 99.999 € |
5 % + 2 % |
5 % + 4 % |
5 % + 6 % |
5 % + 8 % |
... bis 199.999 € |
5 % + 5 % |
5 % + 7 % |
5 % + 9 % |
5 % + 11 % |
... bis 299.999 € |
5 % + 8 % |
5 % + 10 % |
5 % + 12 % |
5 % + 14 % |
Ab 300.000 € |
5 % + 11 % |
5 % + 13 % |
5 % + 15 % |
5 % + 17 % |
Q: EU Health Check |
Die Modulation wird ab 2012 mit einem Basissatz von drei Prozent auch in den neuen zehn Mitgliedsländern eingeführt.
Einseitige Belastung in den neuen Bundesländern
Die ganz großen Kürzungen von bis zu 45 Prozent sind vom Tisch. Trotzdem stehen gerade der ostdeutschen Landwirtschaft Einschnitte ins Haus. Sachsens Agrarminister Roland Wöller lehnt den Kürzungsvorschlag für die Direktzahlungen ab und zeigte sich „kämpferisch“: „Der Vorschlag, die Direktzahlungen zu kürzen, trifft vor allem die ostdeutschen Landwirtschaftsbetriebe.“ Nach seinen Berechnungen verliert Sachsen rund 34 Millionen Euro und gefährdet 10.000 Arbeitsplätze.
Enttäuscht zeigt sich Brandenburgs Agrarminister Dr. Dietmar Woidke: „Auch das jetzt vorgelegte Papier zeigt, dass sich Frau Fisher Boel trotz einiger Abminderungen nicht von der Idee verabschiedet hat, dass die Bauern in den fünf neuen Bundesländern einen Großteil dieser Reform bezahlen sollen.“ Dr. Woidke verweist darauf, dass die Agrarbetriebe in Brandenburg auf die Anzahl der Festangestellten berechnet vergleichbare Summen ausgibt, wie kleine GmbH. Kritik äußert er auch daran, dass den Mitgliedsländern nur 80 Prozent der gekürzten Mittel wieder ausgezahlt werden. Gegenüber 2007 würden in Brandenburg mehr als 43 Millionen Euro weniger ausgezahlt. Das Geld fehle der ländlichen Bevölkerung an Kaufkraft und wirke sich daher negativ auf den ländlichen Raum aus. Die Umleitung von Geldern mache nur Sinn, „wenn der wichtigste Partner in ländlichen Raum, nämlich die Landwirtschaft, stabil ist und bleibt.“
1.800 ha, 2.500 Milchrinder
Auch Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Dr. Till Backhaus zeigte sich unzufrieden: „Nachdem, was uns bekannt ist, können wir aus der Sicht Mecklenburg-Vorpommerns und vor allem unserer Landwirtschaft nicht zufrieden sein.“ Die progressive Modulation sei inakzeptabel und stelle eine „Degression durch die Hintertür“ dar. Im letzten Planungsjahr rechnet Backhaus einen Verlust in Höhe von 43,55 Millionen Euro vor. Ein arbeitsintensiver Betrieb mit 1.800 ha Land und 2.500 Milchrindern erhält derzeit rund 825.000 Euro Direktzahlungen. Verliefe die Modulation wie bisher reduzierte sich der Betrag auf 529.000 Euro. „Käme nun die progressive Modulation dazu, verlöre man dort weitere 78.000 Euro und die Unternehmerexistenz, zumindest aber drei weitere Arbeitsplätze wären akut gefährdet“, sagte Backhaus.
Kirsten Tackmann, agrarpolitische Sprecherin der Linksfraktion, sieht bei den Kürzungen gerade die ostdeutschen Haupterwerbsbetriebe betroffen. Diese „bieten oft die letzten Arbeitsplätze und sind eine Stützung des dörflichen Zusammenlebens“, die es zu stärken gilt.
Milch ohne Lösung
Positiv bewertet Sachsens Wöller, die Marktregulierungen zurückzufahren: „Die Abschaffung der Flächenstillegung und das Auslaufen der Milchquotenregelung sind konsequent.“
Licht im Health Check findet auch Dr. Backhaus aus Schwerin. In den Punkten, wo die Vorlage mehr Wettbewerbsgleichheit zwischen den Mitgliedsstaaten und auf größere Marktorientierung ausgerichtet ist, finde die Zwischenbewertung seine „volle Zustimmung“.
Manfred Nüssel, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV) begrüßt das Ende der Milchquote: „Vor dem Hintergrund des für Milchprodukte weltweit positiven Nachfragetrends soll nun durch diese einschneidende Weichenstellung endgültige politische Verbindlichkeit geschaffen werden“, heißt es beim DRV. Da aber künftige Preisschwankungen nicht auszuschließen sind, „sollten die vorhandenen Instrumente der Milchmarktordnung weiterhin verfügbar bleiben und – falls notwendig – aktiviert werden können.“
EU zum Ende der Milchquote |
Das Auslaufen der Flächenstilllegung begrüßt auch Eckhard Uhlenberg, Agrarminister aus Nordrhein-Westfalen: „Damit verschwindet ein längst überfälliges Fossil in der europäischen Agrarpolitik. Die Landwirte können auf diesen Flächen nun wieder für den Markt und die Verbraucher in unserer Region produzieren.“ Uhlenberg fehlt beim Ausstieg aus der Milchquote aber im EU-Papier die „sanfte Landung“. Er weist darauf hin, dass gerade „die Milchbauern in weniger wettbewerbsfähigen Regionen wie den Mittelgebirgen eine Zukunft haben“ müssen. Was die EU vorgelegt hat, bezeichnete Uhlenberg als „enttäuschend“.
Gegen den Ausstieg aus der Milchquote hatte auf dem Bamberger Bauerntag Bayern gestimmt. Folgerichtig ist Agrarminister Josef Miller über die Festschreibung des Quotenendes auch enttäuscht. Der Deutsche Bauernverband hatte ein Begleitprogramm Milch ausgearbeitet, das die EU jedoch nicht zur Kenntnis genommen hat. „Ein solches Begleitprogramm ist jedoch für unsere Milchbauern unerlässlich“, sagte Miller. Begleitmaßnahmen müssten über Berggebiete oder ähnlich benachteiligte Regionen hinausgehen, so Miller.
Hans-Heinrich Ehlen, Agrarminister aus Niedersachsen, angesichts der im April vollzogenen Quotenerhöhung: „Wenn diese letzte große Marktordnung richtigerweise abgeschafft werden soll, reicht es nicht aus, ohne Rücksicht auf Verluste die Milchquoten zu erhöhen.“
EU zur Flächenstilllegung |
Exportpolitik
Die EU hatte im vergangenen Jahr die Exportsubventionen für Milchprodukte auf Null gesetzt. Das ist den Nichtregierungsorganisationen zu wenig. Im Health Check werde die Chance verpasst, die negativen Auswirkungen auf die Kleinbauern in Entwicklungsländern zu vermeiden. Das evangelische Hilfswerk „Brot für die Welt“, Germanwatch, FIAN Deutschland und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) forderten in einer gemeinsamen Erklärung Seehofer auf, „sich jetzt dafür einzusetzen, dass Exportsubventionen für Milchprodukte dauerhaft ausgesetzt bleiben und diejenigen für Produkte wie Schweinefleisch und Zucker sofort auslaufen.“ Sie vermissen verlässliche agrarpolitische Rahmenbedingungen der EU. Am Abend hatte Seehofer genau das jedoch abgelehnt, weil der Health Check eine Zwischenbewertung und keine grundlegende Agrarreform. Der Health Check eigne sich nicht für eine Grundlagendiskussion, sondern sei eine Fortführung der eingeleiteten Reform.
Artikel 69 |
Landwirtschaft und Umwelt
Friedrich Ostendorf, Agrarsprecher des Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) zeigte sich erfreut über die Mittelerhöhung für den Umweltbereich: „Es ist längst überfällig, dass die Beihilfen für die Bauern von der reinen Massenproduktion entkoppelt und stattdessen an Leistungen für den Klima- und Umweltschutz gebunden werden sollen.“ Auch Henriette Mackensen vom Deutschen Tierschutzbund hofft auf Besserung: „Die bisherigen Reformen der Agrarpolitik haben kaum positive Veränderungen für die Tiere erbracht. Immer weniger Betriebe halten immer größere Tierbestände“. Enttäuscht zeigt sich allerdings das AgrarBündnis darüber, dass die bäuerliche Landwirtschaft im Health Check nicht ausreichend gewürdigt wurde: „Trotz der vorgeschlagenen Mittel-Umschichtung wird weiterhin der größte Teil der EU-Subventionen ohne beschäftigungswirksame und ohne wirksame ökologische Kriterien verteilt.“
Sonder-AMK in Berlin
Kürzungen von Zahlungen werden allgemein als Bedrohung der Planungssicherheit betrachtet. Was bis 2013 versprochen wurde, müsse auch gehalten werden. Sicherheit in anderem Sinne wird jedoch auch eingefordert: Uhlenberg warnte beispielsweise davor, dass das Preishoch des letzten Jahres nicht stabil geblieben ist. Der Milchpreis ist längst wieder rückläufig. Das Argument Direktzahlungen wegen steigender Lebensmittelpreise absenken zu können, gilt eben nicht, wenn die Preise sich wieder nach unten bewegen. Zunehmende Preisschwankungen auf dem Weltmarkt werden, so Minister Ehlen, die künftige Agrarpolitik noch herausfordern.
„Entkoppelte Direktzahlungen und Marktordnungen, die als Sicherheitsnetz fungieren, sind in der Lage, diese Risiken effektiv abzupuffern“, heißt es aus Hannover. Der Deutsche Bauernverband (DBV) sieht auch wenig Alternativen zu Direktzahlungen: „Im Vergleich zum langfristigen Abwärtstrend sei die Verbesserung der Preise bisher nur kurz gewesen.“
Anfang Juni wird in Berlin eine Sonder-Agrarministerkonferenz stattfinden. Dabei sollen sich alle Agrarminister auf das gemeinsame Votum über den Health Check einigen, das Seehofer im November abgegeben wird. Agrarminister Woidke kündete einen Beschluss an, der den Bund in der Auseinandersetzung mit der EU stärken soll. Dr. Backhaus: „Ich erwarte von der Bundesregierung, insbesondere in der Frage der Modulation, bei ihrem klaren Nein zu bleiben.“
Roland Krieg