Health Check

Landwirtschaft

Health Check: Entscheidung in dieser Woche

Irgendwann in der Nacht vom 19. auf den 20. November soll die politische Einigung in einem Kompromisspaket über alle 27 Mitgliedsländer über den Health Check fallen, der die EU-Agrarreform von 2003 zwischen bewertet und sogleich im Europäischen Parlament abgestimmt werden soll. Gestrichen werden sollen beispielsweise die Intervention für Schweinefleisch, die Energiepflanzenprämie oder die Beihilfe zur Kartoffelstärkeverarbeitung. Die für Deutschland wesentlichsten Themen sind jedoch die finanziellen Umverteilungen, die Milchmarktpolitik und die Ausformulierungen der Cross-Compliance. Der Mai-Vorschlag der EU wurde in den letzten Monaten verhandelt und heute wollen sich erneut die Agrarminister der Bundesländer auf einer Sondersitzung auf eine einheitliche Linie verständigen.
Gespannt darf man auf das Verhalten Bayerns sein. Weil die Ländermehrheit im Bundesrat jüngst nicht den bayrischen Vorstellungen über eine Mengenregelung auf dem Milchsektor folgen wollte, droht der CSU-Vorstand offen mit der Aufkündigung der Solidarität. Bayern hat bislang auch gegen die Kürzungen der EU-Subventionen gestimmt, die vor allem zu Lasten der großen Agrarbetriebe in Ostdeutschland gingen. Als Vergeltung für den Wegfall der Milchmengenregelung, könnte Bayern heute den Widerstand gegen die Kappung der Subventionen auf 150.000 Euro aufgeben. Die bayrischen Betriebe wären davon nicht betroffen.

„Agrarpolitik folgt nicht gesellschaftlichen Interessen“
Am Donnerstag hat ein breites Bündnis der Agraropposition den bevorstehenden Health Check zum Anlass genommen, Forderungen zu erheben, die EU-Agrarpolitik grundsätzlich neu auszurichten und sowohl den Kleinbauern in den Entwicklungsländern die Möglichkeiten zur Erlangung ihrer Ernährungssouveränität zu geben, als auch in Europa bei Umwelt- und Tierschutz sowie den ländlichen Strukturen den gesellschaftlichen Wünschen mehr Beachtung zu schenken.
Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) benannte die zentralen Forderungen der 16 Verbände. Die EU stehe bei den Themen Klimaschutz, erneuerbare Energien, Verbesserung des Wassermanagements vor zentralen Herausforderungen, die sie selbst formuliert hat. Doch folgt die Vergabe der EU-Gelder nicht den Bedürfnissen, die Ziele zu erfüllen, so Baringdorf. Nicht nur, dass die EU ihre Ziele aufweicht, vor allem fehlten Impulse aus Deutschland, die Ziele zu erreichen. Dem Europapolitiker fehlt die Honorierung der gesellschaftlichen Leistungen über die zweite Säule. Da die Verbände keine Mehrheit für die Bereitstellung neuer Mittel sehen, unterstützen sie den EU-Vorschlag der progressiven Modulation auf bis zu 22 Prozent der Direktzahlungen bis 2013. Drei Viertel der Mittel sollen über ELER in die Förderung der ländlichen Entwicklung gesteckt werden.
Betriebe, die viele Arbeitsplätze schaffen, werden nach Baringdorf durch die Zahlungsweise benachteiligt. 72 Prozent aller EU-Finanzierungen entfallen auf die 20 Prozent flächengrößten Betriebe, die etwa 70 Prozent der Nutzfläche bewirtschaften, aber nur 40 Prozent der Arbeitsleistung in Anspruch nehmen. Direktzahlungen sollen an dem Faktor Arbeit ausgerichtet werden.

Flexible Milchmengenregelung
Sonja Korspeter, Geschäftsführerin des European Milk Board (EMB), erneuerte die Forderung nach einer marktorientierten Mengenregelung zur Preisstabilisierung. Mindestens die Herstellungskosten sollen gedeckt sein und Gewinne erzielt werden, damit investiert werden kann. Den Verbrauchern müsse die Bedeutung der Milchproduktion zur Aufrechterhaltung der flächendeckenden Landwirtschaft und Sicherung des ländlichen Raums vermittelt werden. Aus diesem Grunde soll die EU auf die jährliche Aufstockung der Quote bis 2013 verzichten und sich für eine Mengenregelung auch nach 2015 einsetzen. Unabdingbar ist für den EMB ein Außenschutz, der den Import von Milch verhindert, die unterhalb des europäischen Qualitätsstandards produziert werde. Der vom Deutschen Bauernverband vorgeschlagene Milchfonds werde nicht ansatzweise die durch den Wegfall der Quote entstehenden Einkommensverlust ausgleichen.
Herd-und-Hof.de hat Sonja Korsperter gefragt, was eine andere Entscheidung des Bundesrats hätte bewirken können? Sehr viel, denn Deutschalnd als größter Milchproduzent hat in der EU ein starkes Gewicht. Es wäre ein deutliches Signal für andere Länder gewesen, den Wegfall der Mengenregelung noch einmal zu überdenken. Im EMB finden sich über 100.000 Milchbauern aus insgesamt 14 EU-Staaten wieder. Für die Aufrechterhaltung einer Milchquote hätte Deutschland ein Signal für Österreich, Frankreich und Spanien geben können. Die Niederlande und Dänemark hingegen seien zu exportorientiert, sagte die Milchmarktexpertin. Es sei auch nicht vorstellbar, dass zwei Märkte nebeneinander existieren könnten – einen für den Export und einen für die Region. Die Preissignale der exportorientierten Betriebe hätten immer Auswirkungen auf die anderen Betriebe und das sei nicht im Sinne der Milchbauern.

Landwirtschaft in Entwicklungsländern fördern
Mute Schimpf von Misereor schlug die Verbindung zwischen der EU-Agrarpolitik und den Entwicklungsländern, in denen die Zahl der Hungernden nach jüngsten Schätzungen entgegen den Millenniumsentwicklungszielen sogar noch deutlich gestiegen ist. Unter dem Motto „Ihr liberalisiert, wir subventionieren“ werde es keinen gerechten Welthandel geben. Ziel müsse sein, dass Nahrungsmittel dort produziert werden, wo sie auch gebraucht werden, fordert die Agrarexpertin. Dazu müssen Zugang zu Wasser, Land, Krediten und Bildung geschaffen werden. Schimpf bemängelt den Rückgang der Entwicklungshilfe für den ländlichen Raum und die Landwirtschaft.

Eine Milliarde hat wenig Auswirkungen
Streit ist in der EU darüber entbrannt, ob eine Milliarde Euro Überschuss im Agrarhaushalt, die durch nicht abgerufene Exportsubventionen auf Grund gestiegener Lebensmittelpreise entstanden sind, den Entwicklungsländern zugute kommen soll.
Adolf Kloke-Lesch, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), glaubt nicht, dass eine Milliarde Euro viel bewirken könnte. Hunger entstehe nicht deshalb, weil wir zu wenig zahlen, sagte er. Länder wie der Kongo, in denen gerade ein Bürgerkrieg wütet, könnten eine Kornkammer Afrikas sein. Er sieht die Bundesregierung schon auf den richtigen Weg zu einer nachhaltigen und verantwortungsbewussten Landwirtschaftspolitik. Der Rückgang der Entwicklungshilfe sei nicht so dramatisch, weil die Zahlen beispielsweise nicht den Schuldenerlass berücksichtigen.
Dr. Hanns Christoph Eiden aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium sieht den Health Check differenzierter. Immerhin wolle ein Drittel der Mitgliedsstaaten seine Milchproduktion für die Zeit nach dem Quotenwegfall im Jahr 2015 erhöhen, um im Wettbewerb einen reelle Chance zu haben. Die votieren auf jeden Fall für die vorgeschlagene Quotenerhöhung, damit ihre Produktion in Schwung kommen könne. Deutschalnd müsse akzeptieren, dass es strukturelle Unterschiede zwischen seinen Agrarbetrieben gibt. Die großen Betriebe in Ostdeutschland sind als Wirtschaftsfaktor ein Rückgrat des ländlichen Raums und sollten „nicht so ohne Weiteres zur Disposition gestellt werden“. Die Agrarpolitik hat sich in den letzten 20 Jahren bereits drastisch verändert, was man anerkennen sollte, auch wenn es noch nicht allen reicht.
Dr. Eiden spricht sich gegen den Artikel 68 aus, damit nicht aus verschiedenen Töpfen unterschiedliche Dinge gefördert werden. Er kritisiert auch die Milchbauern, die zu der „ärgerlichen Situation der Überlieferung“ beigetragen haben.
Romuald Schaber, Vorsitzender des Bundesverband deutscher Milchviehhalter (BDM), will trotz der schwierigen Mehrheitslage an der Mengensteuerung festhalten - allerdings ohne Garantie es zu schaffen. Die Verbraucher werden nur kurzfristig von den sinkenden Preise profitierten, so Schaber. Nehme man die staatlichen Zahlungen an die Milchbauern weg, dann lägen die Produktionskosten bei rund 50 Cent je Liter. Schaber weist darauf hin, dass niemand eine Alternative für die Quote kennt und hofft darauf, dass die europäischen Länder genau deshalb wieder zu ihr zurückfinden, desto näher ihr Ende rückt.

Wann, wenn nicht jetzt?
Nur wenige wagen es wie Peter Spiegel direkt auf die Größenunterschiede der verfügbaren Geldpakete hinzuweisen, die zwischen Banken- und Entwicklungshilfe existieren – weil den Zusammenbruch der oberen Pyramidenspitze nach unten niemand ernstlich riskieren will? Aber auch Friedrich Ostendorff, Sprecher des Arbeitskreises Landwirtschaft beim BUND bemängelte den „großen Schirm für notleidende Banker“ während es hingegen Schwierigkeiten bereitet, eine Milliarde Euro für die Hungernden bereitzustellen: „Da hat man natürlich Nachfragen“.
Ostendorff ist sehr skeptisch gegenüber der Agrarpolitik und fürchtet dass die Intensivierung der Agrarproduktion für Nahrung und Energie auf Kosten des Naturschutzes geht. Sein Nachbar stehe angesichts der Milchpreise vor der Frage, ob er seinen Bestand von 500 auf 1.000 Kühe erhöhen soll, ohne jemals Gewissheit zu erlangen, die Investitionen in Zukunft wieder einspielen zu können. Wer die Bestandsaufstockung nicht realisiert, dem bleibe nur die Betriebsaufgabe. Doch auch wer mehr Kühe aufstallt generiert ein Problem, weil nicht genug Futterflächen zur Verfügung stehen. So weitet die Intensivierung der Milchproduktion direkt die Sojaflächen in Brasilien aus.
Benny Haerlin vom Weltagrarrat, der in diesem Jahr die Ökologisierung der Landwirtschaft gefordert hat, fordert zum generellen Überdenken der Agrarpolitik auf. Es gehe darum, mit den vorhandenen Ressourcen im Jahr 2050 neun Milliarden Menschen ernähren zu müssen, was nicht nachhaltig funktioniert, wenn die Landwirtschaft als industrieller Produzent für Rohstoffe angesehen wird. Gerade die Europäer müssten „ihren Verbrauch radikal“ reduzieren. Dazu bräuchte man weder einen ordnungspolitischen Rahmen noch dauerhafte Appelle an die Vernunft. Am Beispiel Fleisch machte er deutlich, dass bei Berücksichtigung aller Nebenkosten Fleisch so teuer wäre wie Biofleisch. Dann würde sich der Fleischverbrauch ökonomisch regeln. Vergleichbar wäre auch eine Orientierung der Milchquote an das Vorhandensein von Grünland eine sinnvolle Kopplung zwischen Naturschutz, Biodiversität, Erhaltung der ländlichen Strukturen und Erzeugerinteressen.

Lesestoff:
Das Positionspapier der 16 Verbände finden Sie unter www.abl-ev.de
Den EMB erreichen Sie unter www.europeanmilkboard.org
Im Oktober haben Daniel de la Torre Ugarte und Sophia Murphy bei Misereor das Diskussionspapier „The Global Food Crises: Creating an Opportunity for Fairer and More Sustainable Food and Agriculture Systems Worldwide“ herausgebracht: www.misereor.de
Ergebnisse des Milchgipfels finden Sie hier.
Parallelen zwischen sambischen und norddeutschen Milcherzeugern war Gegenstand einer Diskussion in der Heinrich Böll-Stiftung im Mai.

Roland Krieg

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