Helfen Biostimulanzien dem Pflanzenschutz aus der Patsche?

Landwirtschaft

Pflanzenschutzsymposium der Adama

Der Markt für Biostimulanzien wurde 2019 weltweit auf 2,32 Milliarden US-Dollar geschätzt. Bis zum Jahr 2027 soll er einen Umfang von 4,78 Milliarden US-Dollar erreichen. Der Markt für Biostimulanzien als neuer Baustein für den Pflanzenbau wächst zur rechten Zeit, denn der eigenständigen Produktgruppe zwischen Pflanzenschutzmittel und Düngemittel wird im Juli 2022 eine neue Klasse landwirtschaftlicher Betriebsmittel in der Düngeprodukte-Verordnung der EU 2019/1009 eingeräumt. Dann endet die dreijährige Implementierungsphase mit neuen Konformitätsbewertungsstellen, Qualitätsstandards, Nachweismethoden und Sicherheitsbewertungen in der Europäischen Union. Der Industrieverband Agrar (IVA) hatte gleich zu Beginn den Fachbereich Biostimulanzien begründet, den Pia Skroch auf dem ADAMA-Symposium „Der Pflanzenschutz am Scheideweg“ am 04. November in Magdeburg vorstellte.

Was sind Biostimulanzien?

Unter dem Oberbegriff versammeln sich zahlreiche Substanzen und Mikroorganismen, die auf Pflanzen oder die Wurzelsphäre angewandt werden. Ihre Funktion ist die Unterstützung natürlicher Prozesse, die Nährstoffaufnahme und Nährstoffeffizienz fördern. Sie sollen auch die Toleranz gegenüber abiotischem Stress, wie Trockenheit und Hitzeperioden verbessern und die Pflanzenqualität steigern.

Die Substanzen selbst liefern keine Nährstoffe, sind also keine Dünger und sie werden nicht nach ihrer Dosis-Wirkungs-Beziehung definiert. In der neuen Düngeprodukte-Verordnung heißt es, sie optimieren die Effizienz der Düngemittel und verringern deren Auswaschung. Die Verwendung von Biostimulanzien soll bestehende Betriebsmittel im Rahmen des integrierten Pflanzenbaus ergänzen und keine Betriebsmittel ersetzen. Gleichwohl haben sie die Aufgabe, Qualitäten und Erträge von Nutzpflanzen abzusichern und zu verbessern.

Die Ausgangslage

Die Situation auf den Ackerbaubetrieben ist angespannt. China ist der wesentliche Treiber für die Hausse bei den Rohstoffen und Betriebsmittel, erklärt Markus Grimm, Geschäftsführer von Adama Deutschland. Eine ganze Reihe an Gesetzen, wie die Ackerbaustrategie 2035 der Bundesregierung, dem Klimaschutzgesetz, der Green Deal der Europäischen Kommission mit seinen beiden Strategien zur Biodiversität und „Vom Acker bis zum Teller“ setzen auf eine reduzierte Nutzung von Pflanzenschutzmitteln und Düngern. Die Zahl der zugelassenen Wirkstoffe wird kleiner und mit der weiteren Überarbeitung der Chemikalienrichtlinie REACh wird es einen Wechsel zu Pflanzenschutzmittel mit geringerem Risiko geben.

Gleichzeitig weist der sechste Sachstandsbericht des Weltklimarates geringere und volatilere Erträge und Einkommen für die Landwirte weltweit aus. Die landwirtschaftliche Nutzfläche verkleinert sich weltweit. Neue Schaderreger wie die Kirschessigfliege wandern in die so genannten Gunstregionen ein und sorgen für neue Bedrohungslagen.

Pflanzenschutzmittel erzeugen bei Verbrauchern mittlerweile ein mulmiges Gefühl. Oft aus Unkenntnis. Dabei ist der ökologische Anbau kein Garant für Schädlingsfreiheit. Die konventionellen Pflanzenschutzmittel sind im Rahmen der integrierten Produktion nur ein Baustein nach Monitoring der Schadschelle, mechanischer Unkrautbekämpfung und Fruchtfolgestrategien. Das Thema Schimmelpilzgifte, wie die Rückkehr des Mutterkorns, wird in der Öffentlichkeit nach Markus Grimm noch viel zu wenig beachtet.

Für die Agrochemie sind die Auswirkungen in den Bilanzen erkennbar. Die Marktentwicklung von 2017 bis 2021 hat den Umsatz von 1,275 auf 1,043 Milliarden Euro gesenkt.

Die gesunde Pflanze ernährt die Menschheit

Selbst wenn Temperatur, Niederschlag und Sonneneinstrahlung auf einen gut genährten Boden treffen, wächst die Pflanze nicht unbedingt gesund heran. Der Landwirt sorgt mit ackerbaulichen Maßnahmen für das Wachstum des von der Züchtung erzeugten gesunden Saatgutes und schützt sie gegen Insekten, Bakterien, Viren sowie vor der Konkurrenz durch Ungras und Unkraut. Nur dann kann der Bestand einen Ertrag erzielen, der die wachsende Zahl an Menschen und die veränderten Ernährungsgewohnheiten Rechnung trägt. Bernd Rodemann vom Julius Kühn-Institut Braunschweig zeigte die Ertragseffekte, die der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nach Berechnung der Universität Leuven 2019 errechnete. Die Mittel haben global bei Weizen ein Ertragsplus von 19 Prozent und eine Verlustvermeidung von 21,6 Prozent erreicht. Bei Reis ein Prozent von 32 Prozent und eine Verlustvermeidung von 39,6 Prozent.

Allerdings zeigen sich Rodemann derzeit die Folgen der Übernutzung des chemischen Pflanzenschutzes: Die Resistenzen bei pflanzlichen und tierischen Schaderregern steigen. Werden mehr Produkte und mehr Wirkstoffe eingesetzt, kann das höhere Potenzial von Umwelteffekten die Zulassung gefährden und wiederum mehr Resistenzen hervorbringe.

Alternativen sind gefragt

Der Weg aus der Sackgasse ist komplex. Die Landwirtschaft hat jedoch einige Möglichkeiten, den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Bernd Rodemann schreibt dem chemischen Pflanzenschutz dabei eine unverzichtbare Rolle zu. Biologische und nicht chemische Pflanzenschutzmittel und Verfahren können kurz- und langfristig entwickelt und gefördert werden. Die Digitalisierung wird mit exakten Prognosemodellen die Landwirte standortangepasst unterstützen und gleichzeitig auch Entscheidungshilfen anbieten. Dazu gehört die Sorten- und erregerspezifische Entwicklung von Prognose- und Schadschwellenmodellen. In den Fokus ist seit Jahren schon die konservierende und erosionsmindernde Bodenbearbeitung mit neuen mechanischen Bearbeitungstechniken entstanden.

Bei den Zielen sind nach dem JKI-Experten jedoch noch viele Zielkonflikte zu lösen. Der geringere Aufwand für die Unkrautbekämpfung ist mit mehr Durchwuchs mit seinen negativen Folgen sinkender Qualität bei Nutzpflanzen und Kreuzkontamination des Unkrauts verbunden. Ein Mehr an Blühstreifen fördert die Insektenvielfalt aber auch das Risiko für Mutterkornbesatz.

Schlimmer wäre es für die gesamte Agrarwirtschaft und  den ländlichen Raum, wenn ohne vorhandene chemische Wirkstoffe die Anbauwürdigkeit ganzer Kulturen verloren gehe und die Fruchtfolgen wieder enger werden. So gibt es Zuckerrüben nur noch eine eingeschränkte Wirkstoffverfügbarkeit von Fungiziden gegen Cercospora beticola.

Eine Lösung sind Multi-Site-Inhibitoren (MSI), die in ihrer Wirkung auf den Zellkern mit Verhinderung der Zellteilung, auf die Mitochondrien durch den Stopp der Energieproduktion für die Zelle und gleichzeitig auf die Zellmembran mit der Verhinderung der Zellentwicklung wirken, wie Gerd Dingebauer von Adama Deutschland ausführt.

Biostimulanzien

In diesem Spannungsfeld sind demnächst die Biostiumulanzien unterwegs. Sie grenzen sich gegen Biodünger, Biologische Pflanzenschutzmittel und Makrorganismen wie Nützlinge ab. In die neue Düngeprodukte-Verordnung werden Aminosäuren, Mikroorganismen, Algenextrakte, Humin- und Fulvosäuren sowie anorganische und bioidentische Substanzen kategorisiert. Biostimulanzien sind keine Wundermittel“, betont Pia Skroch. Sie wirken vielfältig durch Förderung des Wurzelwachstums und Erschließung des Wurzelraums und Verbesserung der Bodenstruktur. Sie verändern den PH-Wert im Boden, schließen Bodenphosphat für die Pflanze besser auf und binden als Rhizobien Stickstoff aus der Atmosphäre.

Versuche zeigen, dass beispielsweise Algenextrakte aus überwiegend Braunalgen bei der Mungobohne deutlich mehr Seitenwurzeln ausbilden. Huminsäuren komplexieren Nährstoffe, machen sie damit verfügbar und verbessern die Bodenstruktur. Chinakohl zeigte gegenüber den Kontrollpflanzen eine deutlich reichhaltigere Blattmasse. Aminosäuren sorgen bei Tomaten für eine höhere Toleranz gegenüber Kälte und Hitze.

Auch Adama hat mit eigenen Versuchen vier potenziellen Biostimulantien geprüft. Beispielsweise eines für den Obstbau bringt einen größeren Fruchtansatz bei Äpfeln hervor. Dadurch ergibt sich ein höherer Verkaufserlös.

Was ist dran?

Eine Umfrage aus dem Januar 2020 hat bei Landwirten gezeigt, dass Landwirte nur zwei Prozent mit der Nutzung von Biostimulantien auf die sinkende Wirkstoffverfügbarkeit von chemischen Pflanzenschutzmitteln zurückgreifen würden. Positive Effekte sind nach dem Einsatz der Mittel nicht so schnell zu erkennen und die Landwirte wollen für ihre Ausgaben auch einen realen Gegenwert bekommen. „Das Erwartungsniveau gegenüber Biostimulanzien sollte realistisch sein“, grenzt Pia Skroch ein. Viele sichtbare Effekte sind in ihrer Wirkweise wissenschaftlich noch nicht verstanden. Die Anwendung könne noch weiter optimiert werden, wozu sie auch das Mischen verschiedener Mittel versteht. Die Möglichkeiten und Grenzen der Mittel müssen über die Beratung genau kommuniziert werden.

Für die Praktiker stellt sich eine andere Frage: „Was bekomme ich für mein Geld?“ Zu den positiven Versuchsergebnissen gesellen sich Resultate, bei denen nicht geklärt ist, wie sie zustande gekommen sind. Wurde der positive Effekt von günstigen Witterungsbedingen, dem Einfluss der Sorte oder den allgemeinen Bodenverhältnissen überlagert? Pia Skroch ist sicher: Die Effekte der Biostimulanzien sind auf Grenzertragsstandorten größer als auf Gunststandorten.

Bernd Rodemann gab den Blick auf die noch ausstehende Arbeit des JKI frei. Dort soll die Konformitätsstelle mit der Listung der zugelassenen Biostimulanzien eingerichtet werden. Es werde aber weder eine Risikoanalyse noch eine Dosis-Wirkungs-Beziehung überprüft. Der Hersteller muss eigenverantwortlich für Wirkungsversprechen von beispielsweise 25 Prozent gerade stehen. Und er muss die Landwirte vom Nutzen seiner Produkte selbst überzeugen. Spreu und Weizen werden sich aus dem breiten Spektrum der Biostimulanzien von selbst trennen. Für die Agrochemie führt kein Weg um Biostimulanzien herum. Neben den großen Firmen sind zahlreiche Start-ups auf diesem Gebiet unterwegs. Das eine oder andere Modul wird seinen Platz im integrierten Pflanzenbau finden.

Roland Krieg

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