Helfen Siegel wirklich dem Tierwohl?

Landwirtschaft

Auf der Suche nach dem Licht im Labeldschungel

Heute wird Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt das Geheimnis um sein zweistufiges Tierwohllabel lüften. Die gesamte Branche ist gespannt. Nicht nur, weil kaum ein Label wirklich einen wesentlichen Marktanteil errungen hat. Nicht nur, weil der Deutsche Tierschutzbund auf den großen Durchbruch wartet, die Premienstufe anzuführen. Auch nicht nur, weil die konventionelle Branche bis zum Grundeis zittert, wieder einmal der Verlierer zu sein.

Verzahnung ITW

Noch am Vorabend konstatierte Bauernpräsident Joachim Rukwied auf dem DBV-Tierhaltungsforum, dass die Landwirte zu Veränderungen bereit sind: „Neben Marktfragen sind zentrale Fragen der Zukunft für die Branche die Fragen nach der gesellschaftlichen Akzeptanz. Die Tierhaltungssysteme müssen so verändert werden, dass sie eine gesellschaftliche Akzeptanz finden.“ Doch Schmidt solle die Brancheninitiative nicht übergehen: „Alles was die Initiative Tierwohl (ITW) im Ansatz gefährdet ist ein Schuss ins Knie!“. Die Brancheninitiative will sich mit dem staatlichen Label verzahnen, d. h. die Auditierung und die Kontrollen übernehmen, die sie mühsam aufgebaut hat. Aktuell hat die Branche die zweite Runde für die Zeit von 2018 bis 2020 festgemacht. In einer dritten Runde kann sich Rukwied eine Nämlichkeit der Produkte als Weiterentwicklung vorstellen.

Das ist die größte Kritik an der ITW. Sie setzt auf eine Massenbilanz. Das aber funktioniert in Deutschland aber nicht, weil der Labelweltmeister so viele unterschiedliche Siegel zu einem Thema hervorzubringen versteht, dass kaum ein Verbraucher mehr den Überblick  und Einblick in die Kriterien hat.

Defizit Kommunikation

Darüber beschweren sich auch die Bauern. Betriebsleiter Peter Seeger aus Südhessen nimmt am ITW teil. Das Ehepaar integriert beispielhaft die Öffentlichkeit über soziale Medien und mit Hofbesuchen in den Betrieb mit Sauen, Ferkeln und Maststall. Seeger ist mit dem Siegel auch zufrieden. Aber: Die Verbraucher kennen das Label nicht. Die Betriebsleiter können damit so gut wie gar nicht werben, obwohl es in jedem Marketingprogramm darum gehe, über das Gute auch zu reden. „Das ist wirklich schade.“ Die Landwirte brauchen die Bekanntheit als Bestätigung für den eigenen Aufwand und für die Kommunikation. Seeger: „Das funktioniert hier leider nicht!“

Eigeninitiative

Ob das mit dem staatlichen Label anders wird, bleibt abzuwarten. Ob es am Ende im Sand der verlorenen Chancen versickert wird sich zeigen. Ganz ohne Label geht es aber auch, wie Gabriele Mörixmann aus Melle in Niedersachsen zeigt. Die Agrarökologin hat in Mecklenburg-Vorpommern einen Biobetrieb geführt, jetzt mästet die Familie Enten, Hühner und Schweine. Der Mist kommt in die Biogasanlage und die Gärreste auf die Felder für den Marktfruchtanbau. Vor drei Jahren musste der 40 Jahre alte Stall umgebaut werden. Mörixmanns haben die Gelegenheit genutzt und für die Schweinemast drei Gruppen aufgebaut, die jeweils Zugang zu verschiedenen Räumen haben: Außenklima, Fressbereich, Spielbereich und Ruheraum. Die Tiere können dabei auch noch zwischen Spaltenboden und Strohauflage wählen. Da Schweine nicht schwitzen können, liegen sie im Sommer gerne auf „dem nackten Boden“. Die Außenterrasse Nord mit Spaltenboden ist im Hochsommer der Lieblingsplatz.

Die Familie hatte die Wahl zur ITW oder Teilnahme am Siegel von Deutschen Tierschutzbund. Der hätte das Label auch vergeben, aber keinen Mehrpreis bezahlt. Erst durch persönliches Engagement hat die Praktikerin einen Abnahmevertrag für ein paar Schweine beim örtlichen „Markant“ erreicht, der den Mehraufwand von 25 Cent pro Kilo Schlachtgewicht auch bezahlt. Die Schulung der Verkäufer für die Eigenmarke „Aktivstall“ wurde gleich mit durchgeführt. Informationsmaterial hat Kunden aufgeklärt und der Verkauf steig mengenmäßig um 20 Prozent an. Weil der „Markant“ aber keine 3.000 Schweine abnehmen kann, hat sie den „aktivstall“ in den sozialen Medien bekannt gemacht, online vermarktet und am Ende sogar noch die Erzeugergemeinschaft Osnabrück (EGO) gewinnen können.

Zu viel Bewegung im Spiel

Es funktioniert. Auch ohne Label. Es funktioniert aber auch, weil hinter der Idee eine pfiffige Betriebsleiterin steckt. Es funktioniert, weil Handel und Verarbeiter am gleichen Strang ziehen. Und es funktioniert vor allem, weil sie Angebote von fünf Cent mehr ablehnen konnte. „Für fünf Cent mehr verkaufen wir uns nicht“, sagte Mörixmann. Diesen Weg konnte sie gehen, weil der Betrieb vielseitig aufgestellt ist. Über das Preistal am Schweinemarkt haben Geflügel und Ackerbau hinweg geholfen.

Rudolf Festtag ist Geschäftsführer der EGO. Label beschreiben „moving targets“, sagte er. Immer wenn ein neues Label aufgelegt wird, kommen neue Kriterien hinzu. Das ist gerade in der Tierhaltung mit Abschreibezeiten von 20 bis 30 Jahren an der Betriebsrealität vorbeigeplant. Schweinehalter Seeger hat für die Teilnahme am ITW 60.000 Euro investiert, die über einen Mehrwert von vier Cent pro Kilo Fleisch an der Theke wieder hereinkommen müssen. Ein Fortschreiten des Tierwohls wird nicht von den Landwirten verhindert. Die wollen sich und die Betriebe verändern. Es liegt nach seinen Angaben auch nicht an den Schlachthöfen, die „nur als Dienstleister“ in der Kette fungieren. Nach Festag liegt es am Handel, der die Bewerbung umsetzen muss und am Kunden, der seine Kaufwilligkeit stabil beweisen müsse.

Roland Krieg

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