Hof sucht Bauer
Landwirtschaft
Genug Betriebsleiter, aber genug qualifizierte Arbeitskräfte?
Hinter dem Begriff der Überalterung landwirtschaftlicher Betriebsleiter steht ein hochbrisantes Thema: Die Hofnachfolge. In der EU gibt es rund elf Millionen landwirtschaftliche Betriebe. Nur 5,6 Prozent der Betriebsleiter sind jünger als 35 Jahre. Fast ein Drittel ist älter als 65 Jahre und wird seinen Betrieb demnächst übergeben – oder aufgeben. Alleine diese Betriebe bewirtschaften in der EU eine Fläche von 20 Millionen Hektar. Auf dieser Fläche könnten 1,2 Millionen Betriebe mit der EU-Durchschnittsgröße von 16,2 ha wirtschaften [1].
Das sieht in Deutschland nicht anders aus. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind eindeutig: Der Anteil an über 45-jährigen Betriebsleitern hat sich zwischen 2005 und 2013 von 60 auf 74 Prozent erhöht. Egal, ob Haupt- oder Nebenerwerb. Lediglich bei einem Drittel der Haupterwerbsbetriebe und einem Viertel der Nebenerwerbsbetriebe gilt die Hofnachfolge als gesichert. Gehen Deutschland zuerst die Betriebsleiter und dann die Familienbetriebe aus?
Betriebe im Wandel
Das Thema ist viel komplexer. Treiber des Strukturwandels sind technischer Fortschritt und wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Aufgegeben werden Höfe in der arbeitsteiligen Gesellschaft durch zunehmende Attraktivität der nichtlandwirtschaftlichen Arbeitssektoren. Mit der Zahl und Struktur der landwirtschaftlichen Betriebe hat sich auch die Arbeitsverfassung verändert. 1950 arbeitete noch ein Viertel der Beschäftigten in der Landwirtschaft. 2015 waren es noch immer fünf Prozent. Im Jahr 2016 waren es mit 940.000 nur noch 1,6 Prozent. Zuletzt hat sich der Strukturwandel verlangsamt.
Jetzt aber wird die Überalterung der Betriebe den Strukturwandel wieder beschleunigen. Und sogar erhöhen, sagen Prof. Stephan von Cramon-Taubadel und Dr. Carsten Holst in ihrer Studie „Zukünftige Herausforderungen der deutschen Landwirtschaft vor dem Hintergrund der aktuellen Alters- und Ausbildungsstruktur landwirtschaftlicher Betriebsleiter“.
Die Agrarökonomen der Universität Göttingen [2] gehen von einem Strukturwandel von vier Prozent bis zum Jahr 2030 aus. Von den heute noch existierenden 245.000 Einzelunternehmen bleiben nur noch 134.000 übrig. Damit braucht die Landwirtschaft in den nächsten 15 Jahren jährlich rund 2.400 neue Nachwuchskräfte. Hinzu kommen 200 Geschäftsführer für juristische Personen und 900 Betriebsleiter für die Personengesellschaften.
Arbeitsverfassung im Wandel
Gleichzeitig verschiebt sich die Arbeitsverfassung auf den Betrieben. Weit verbreitet und altbewährt setzen die Familienangehörigen ihre Kraft gemeinsam für die Erwirtschaftung ihrer Lebensbedürfnisse ein. Die Arbeitskapazität der Familie aber ändert sich von Generation zu Generation in Abhängigkeit der Kinderzahl. In den ersten Jahren nach der Heirat sinkt die Arbeitskapazität. Rund 20 Jahre später hat sie ihren Höhepunkt erreicht. Durch die Realteilung und höhere Attraktivität der Arbeit in anderen Sektoren werden die Betriebe kleiner und haben zu Unterbeschäftigungen geführt. Geraten diese Betriebe in wirtschaftliche Rezession sind sie alles andere als attraktiv für einen neuen Betriebsleiter.
Im Zug der Industrialisierung des Agrargewerbes haben sich Betriebe zunehmend spezialisiert und sind größer geworden. Saison- und ständige Arbeitskräfte werden gebraucht, die ebenfalls im Zuge der Professionalisierung und Mechanisierung der Betriebe weiter ausgebildet werden müssen.
Das spiegelt sich in den aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes wider. Seit 2010 ist die Zahl der Familienarbeitskräfte um 15 Prozent auf 449.000 gesunken. Gesunken ist auch die Zahl der Saisonarbeitskräfte um 14 Prozent auf 286.000. Dafür stieg die Zahl der ständigen Arbeitskräfte um sechs Prozent auf 205.000 an.
Familienarbeitskräfte werden durch ausgebildetere ständige Arbeitskräfte ersetzt und können ihren eigenen Lebensweg gehen. Vielleicht auch gewollt, um ein zweites Standbein für den Betrieb zu schaffen. Daher braucht die Landwirtschaft nicht nur Betriebsleiter, sondern auch vermehrt qualifiziertes Fachpersonal, die mit dem einst ungelernten Landarbeiter rein gar nichts mehr verbindet. Sichtbar wird das durch die Digitalisierung, die immer mehr Betriebsbereiche erfasst und ein Mindestmaß an Qualifikation und Verantwortung braucht.
Reicht die Zahl der ausgebildeten Fachkräfte?
Die Agrarökonomen haben in ihrer durch die Rehwinkel-Stiftung geförderten Studie ein Rechenbeispiel angefertigt. Im Ausbildungsjahr 2016/2017 haben sich 13.600 Auszubildende für die „grünen Berufe“ entschieden. Mit 11.000 hat Westdeutschland ein Plus von 3,6 Prozent, mit 2.500 Azubis Ostdeutschland ein Minus von 9,2 Prozent zu verzeichnen. Im Durchschnitt der vergangenen drei Jahren gab es 3.057 Abschlüsse als Landwirt, 299 als Tierwirt, 288 neue Winzer, 193 neue Fachkräfte Agrarservice und 484 Abschlüsse als Gärtner mit landwirtschaftlichem Schwerpunkt.
Von den 3.000 ausgebildeten Landwirten entscheiden sich jährlich 1.200 für eine weitere Fachqualifizierung zum staatlich geprüften Betriebswirt. Weitere 1.000 erhöhen den Abschluss um den staatlich geprüften Wirtschafter und hinzu kommen 650 geprüfte Landwirtschaftsmeister.
Aus den Agrar-Hochschulen kommen jährlich 2.190 Bachelor-Absolventen, 1.540 Master und 330 Promotionen. Langfristig müsste ein Viertel davon einen landwirtschaftlichen Betrieb übernehmen, um den Bedarf an Betriebsleitern mit Hochschulabschluss zu decken. Immerhin suchen 21 Prozent der Absolventen von den Fachhochschulen und 14 Prozent aus den Universitäten ihre ersten Berufserfahrungen auf Betrieben mit landwirtschaftlicher Produktion.
Kurz und knapp: Dem jährlichen Bedarf an 3.500 Betriebsleitern inklusive 2.800 mit einem landwirtschaftlichen Abschluss stehen 4.000 erfolgreiche Absolventen gegenüber. Rechnerisch reicht auch die Zahl der Hochschulabsolventen.
Radikaler Imagewechsel nötig
Cramon-Taubadel und Holst wollen aber nur eine Teilentwarnung geben. Ob die Zahlen für den steigenden Bedarf an angestellten Mitarbeitern reichen, ist derzeit noch offen.
Dafür sind zwei Hintergrundbereiche verantwortlich. Entscheidend ist die Wirtschaftlichkeit der Betriebe. Das gilt nicht nur für den Betriebsleiter. Für die angestellten Fachkräfte müssen die Umsätze reichen, die entsprechenden Gehälter zu bezahlen.
Zum anderen bietet die Digitalisierung eine Riesenchance, das Image der Landwirtschaft für Angestellte und Öffentlichkeit attraktiv zu gestalten. Fütterungsautomaten, Melkanlagen und Traktoren sammeln schon eine Riesenflut an Daten. Das automatische Arbeiten gewinnt an Bedeutung. Aber: Die Daten müssen auch vor dem landwirtschaftlichen Hintergrund vernetzt und verstanden werden. Da darf, wie die Agritechnica diesen November zeigte, die Landwirtschaft auf junge technologieoffene Menschen bauen. Das Berufsfeld steht vor einem radikalen Wandel in der Landwirtschaft. Diese Form der Professionalisierung muss auch der Öffentlichkeit präsentiert werden.
Die Frage der Hofnachfolge ist aber auch eine Frage des Loslassens. Viele Betriebe setzen auf die traditionelle Nachfolge innerhalb der Familie. Doch was, wenn Sohn oder Tochter nicht wollen? Oder das Familienoberhaupt den mit eigenen Händen aufgebauten und durch viele Krisen gesteuerten Betrieb einfach emotional nicht übergeben kann? Denen sei zugerufen: Übergebt die Glut und nicht die Asche!
Dafür werden die Programme der Junglandwirte ausgebaut. Der aktuelle GAP-Entwurf für 2020 gibt den Mitgliedsländern mehr Verantwortung für deren Gestaltung und Bedarf. Die EU will die Erstausstattung mitfinanzieren.
Lesestoff:
[1] EU https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/das-altersproblem-europaeischer-landwirtschaft.html
[2] Die Studie der Rentenbank: https://www.rentenbank.de/dokumente/Arbeitsmarkt-Ausbildung-Migration-Perspektiven-fuer-die-Landwirtschaft-2017.pdf
Roland Krieg
Der Text erschien zuerst in der Weihnachtsausgabe der vfz Vieh und Fleisch Handelszeitung