Hoffnung für Hongkong

Landwirtschaft

Stillstand für Deutschland

>Lautlos entschwand Landwirtschaftsministerin Renate Künast auf den Fraktionssitz ihrer Partei, während unauffällig Umweltminister Jürgen Trittin das BMVEL übernimmt. Allerdings taucht er in den Presseterminen des Ministeriums nicht auf - und wird es auch künftig nicht, weil man diese Aufgaben nicht einfach so fortführt.
Die Parteien sind sich über die Regierungsbildung uneins und so fällt mindestens bis Weihnachten das BMVEL in eine Handlungsstarre. So war die Neuwahl vor 14 Tagen nicht geplant gewesen, weswegen Gerd Sonnleitner, Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV) vom "Schock des 18. Septembers" spricht. Denn ausgerechnet jetzt steht Mitte Dezember die nächste und eine entscheidende Verhandlungsrunde der Welthandelsorganisation (WTO) in Hongkong im Kalender. Auf der wissenschaftlichen Akademietagung der Andreas Hermes Akademie und des DBV über die Perspektiven der Agrarpolitik Ende letzter Woche im neubezogenen Haus der Land- und Ernährungswirtschaft in Berlin, zeigte Sonnleitner sich über die Unsicherheit, wer die Geschicke der Bauern leiten wird und über die verlorengehende Zeit, enttäuscht.

GAP, EU und WTO
Die seit Januar 2005 laufende Agrarreform um Marktorientierung, Entkoppelung der Prämien und Cross Compliance sei nicht das Ende der Reform, sondern erst der Anfang weiterer gemeinsamer Agrarpolitik (GAP), so Sonnleitner. Noch wichtiger als die Erhöhung der Erzeugerpreise seien den Bauern die "Angleichung der Wettbewerbsverhältnisse in der EU" und der Abbau der Bürokratie. Voreilige Umsetzungen von EU-Recht wie in der Legehennenhaltung und der Streit um die Kleinvoliere, ob sie ein Käfig sei oder nicht, lähmt Investitionen in die Umstellung und verhilft anderen Ländern, die noch auf die Käfighaltung setzen, zu einem Wettbewerbsvorteil. Sonnleitner sieht daher Künasts Amtsaufgabe als "Befreiung".
Mit den nationalen Themen gelingt aber auch die Verbindung zu den kommenden WTO-Verhandlungen, denn eine "schrittweise Marktöffnung für Agrargüter" hält der Bauernpräsident für sinnvoll. Die WTO gibt mit dem Abbau von Subventionen und Exporterstattungen die Richtlinie für die EU-Agrarpolitik vor. Die Preissenkungen für Zucker im Rahmen der Marktreform ist dafür ein Beispiel. Auch Sonnleitner sieht in einer Weltzuckerquotierung einen Kompromissvorschlag, europäische Produkte und Produzenten zu schützen. Zucker, Milch und Rindfleisch sollten einen Außenschutz genießen.
Im Brennpunkt steht dabei Brasilien, das von der Zuckerreform am meisten profitieren wird, jedoch mal als Schwellenland und mal als Entwicklungsland auftritt. Möglicherweise würden auch nur wenige Zuckerdynastien von der weltweiten Marktöffnung profitieren, jedoch gleichzeitig erbittet sich Brasilien als Entwicklungsland einen Außenschutz.
Gerd Sonnleitner sieht Armut und Unterentwicklung nicht nur als einseitige Folge europäischer oder amerikanischer Agrarsubventionen: Instabile Regierungen, Korruption, Vetternwirtschaft, mangelnde Infrastruktur und mangelhafte Gesundheits- und Bildungspolitik verhindern ebenso eine wirtschaftliche Entwicklung in den Ländern.

Perspektiven für Hongkong
Wenn sich jetzt die politischen Entscheidungsträger im Vorfeld der WTO-Verhandlungen einschalten, dann ist in Hongkong ein Erfolg mit politischem Willen möglich, wenn sich alle auf eine Balance einigen, die einen gemeinsamen Interessensausgleich erzielt, fasste Detlev A. Brauns aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit zusammen. Er gab als Teilnehmer an den Verhandlungen einen Zwischenbericht.
Dabei spielt die Landwirtschaft eine zentrale Rolle. Auch im Bereich der Industriegüter muss über Subventionen und Marktzugang geredet werden, allerdings blockieren die Verhandlungsführer das Thema, weil sie zuerst eine Einigung im Agrarbereich fordern. Selbst bei den Dienstleistungen werde aus Gründen der Verhandlungstaktik ein Fortschritt an den Agrarsektor gekoppelt. Ganz unlogisch erscheint das nicht, denn Landwirtschaft und Getränke haben einen größeren Anteil an der Weltwirtschaft als beispielsweise die Autoindustrie, stellte Brauns fest.
Das letzte Treffen 2003 in Cancun ist gescheitert, weil defensive Themen im Vordergrund standen. Brasilien forderte mehr Marktzugang im Agrarbereich, Indien im Industriebereich und die so genannten Singapurthemen "Transparenz bei öffentlichen Aufträgen, Wettbewerb und Umwelt" wurden von fast allen Ländern abgelehnt. Daraus entwickelte sich in Cancun eine neue Verhandlungsarchitektur auf die Europa nicht vorbereitet gewesen ist, wie Brauns bedauerte. Brasilien als Wortführer der G20 fordert mehr Markt, während gleichzeitig Indien innerhalb dieser Gruppe mit rund 600 Millionen Subsistenzbauern eigentlich den eigenen Markt abschotten möchte.
Europa hat mit dem Juni-Paket 2004 die WTO-Runde erneut belebt, weil im Agrarbereich konkrete Festlegungen wie die Abschaffung aller Exportförderungen, leichterem Marktzugang und Bürokratieabbau bei Zollvorschriften vereinbart wurden. Letzteres wird das Handelswertvolumen alleine schon um 4 bis 5 Prozent erhöhen.
Wichtig ist Hongkong, weil eine Einigung im Dezember bis Ende 2006 umgesetzt werden müsste, damit in der ersten Hälfte 2007 alle WTO-Mitglieder das Paket billigen können. Denn: Im Juli 2007 läuft in den USA die Trade Promotion Authority des US-Präsidenten aus. Dann wird auch der Kongress ein neues Handelspaket als Ganzes billigen oder ablehnen.
Einzelne Punkte zum Nachbessern wird die US-Regierung nicht herausnehmen. Das zeige leider auch die Abhängigkeit der WTO-Verhandlungen von den USA, stellte Brauns fest.

Mehr Wettbewerb für Deutschland
Da die weltweiten Zeichen auf mehr Wettbewerb stehen hat Prof. Dr. Folkhard Isermeyer von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL) in Braunschweig die Auswirkungen auf die deutsche Agrarwirtschaft skizziert.
Unter der Prämisse Wettbewerb werde die "Wünsch dir was"-Leitbilddebatte der künftigen Agrarstruktur an Bedeutung verlieren.
Die Entkoppelung der Direktzahlungen ist eine Vorleistung der EU für die laufende WTO-Runde, enthalte aber einen Konstruktionsfehler: Für einzelne Produkte gibt es die Möglichkeit der Teilentkopplung. Länder, die davon Gebrauch machen, sichern sich innerhalb der EU einen Wettbewerbsvorteil, was "mit den Prinzipen des Europäischen Binnenmarktes nicht vereinbar ist". Positiv besetzt ist auch die Cross Compliance, dass Zahlungen nur vollständig geleistet werden, wenn Anforderungen an den Umwelt- oder den Tierschutz erfüllt sind. Prof. Isermeyer sieht darin allerdings wiederum eine "Ankopplung" der Gelder an Produktionsverfahren, die sogar noch über bestehendes Fachrecht hinaus gehen könnten. Das führe zu unterschiedlichen Wettbewerbsbedingungen in den Mitgliedsländern. Gingen die Bedingungen nicht über das eigentliche Fachrecht hinaus, bekämen die Bauern Geld nur für die Einhaltung bestehender Regelungen, wie beispielsweise künftig nur noch 170 kg Stickstoff je Hektar Acker- und Grünland zu düngen. Das sei auf die Dauer nicht durchzuhalten.
Für die Zuckermarktordnung fordert der Ökonom eine einheitliche Strategie und sieht auch eine Lösung in der weltweiten Quotenzuteilung. Brasilien kann mit Zuckerrohr den kostengünstigsten Zucker produzieren, so dass die Zuckerrübe in einer Freihandelssituation von den Feldern verschwinden wird. Die Neuseeländer haben bereits auf den Anbau verzichtet. Hier müsse die Politik entscheiden was sie will: Soll die Rübe erhalten bleiben, hätte der Preis nicht so stark herabgesetzt sein dürfen, weil die Entwicklungsländer dann das Interesse an der Produktion verlieren. Dann würden die Europäer Verhandlungspartner hinzugewinnen. Verzichte sie auf die Partner, dann muss der Preis weiter gesenkt werden, um den europäischen Kerngebieten der Zuckerproduktion in Nordfrankreich den globalen Wettbewerbsvorteil zu sichern.
Biotechnologie ist eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts und im Gegensatz zur roten ist die grüne Gentechnik in Deutschland umstritten und wird von der Mehrheit abgelehnt. Weltweit allerdings ist die grüne Gentechnik auf dem Vormarsch, weswegen Prof. Isermeyer in der anhaltenden Diskussion nur einen Aufschub zur Markteinführung sieht. In 10 bis 15 Jahren gäbe es die grüne Gentechnik auch in Europa. Unter dem Aspekt des Wettbewerbs ist der jetzige Stillstand bei der Einführung ein Rückschritt gegenüber den anderen Ländern. Statt einer Blockade brauche Deutschland eine risikoorientierte Forschung, die auch die Koexistenz zwischen verschiedenen landwirtschaftlichen Bewirtschaftungsformen absichere.
Bei nachwachsenden Rohstoffen habe die Wirtschaft die weltweiten Signale erkannt und richtig reagiert. In den nächsten Jahren werde die Produktion aber noch von staatlicher Förderung abhängen. Hier warnt der Ökonom, dass nicht um jeden Preis gefördert werden soll. Wenn der massenhafte Bau von Biogasanlagen zu einer Verdrängung der Rindermast führe, dann könnte man in 20 Jahren feststellen müssen, dass der Standortvorteil für Deutschland in einer liberalisierten Welt nicht unbedingt bei Biogas liege, so sein Szenarium. Eine künftige Regierung sei deshalb aufgerufen, die Förderpolitik in eine ökonomische Gesamtstrategie einzubinden.
Bei allen Betrachtungen legt Prof. Isermeyer Wert darauf, dass seine Agenda auf die Themenstellung "Wettbewerbsfähigkeit" ausgerichtet ist. Es gibt jedoch noch andere Politikziele, die zu anderen Betrachtungen führen können.

In seinem Positionspapier zu einer neuen Legislaturperiode für eine leistungsfähige Landwirtschaft wünscht sich der DBV bei den laufenden WTO-Verhandlungen, dass "ein Mindestmaß an Gemeinschaftspräferenz erhalten und die hohen europäischen Standards im Tier-, Natur- und Umweltschutz sowie in der Lebensmittelsicherheit zum Schutz der Verbraucher, aber auch zur Wahrung des europäischen Agrarmodells abgesichert werden."

Roland Krieg

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