Im Märzen der Bauer die Rößlein einspannt...

Landwirtschaft

Bauern fordern Bekenntnis zum Oderbruch

„Im Märzen der Bauer die Rößlein einspannt, er setzt seine Felder und Wiesen instand.“ Während überall im Land die Vorbereitungen für die Frühjahrsbestellung laufen, wissen die Bauern im Oderbruch noch immer nicht, was sie auf welchen Feldern
anbauen können. Der Traktor im Seelower Bruch laviert entlang der Eiskante. Doch selbst wenn er den Boden gelockert hat, bleibt offen, ob und welche Saat in die Krume kommt.
In den letzten Wochen haben die Städter die ersten längeren Sonnenstunden genießen können, doch für die Menschen im Oderbruch könnte das Wetter den Super-Gau bedeuten, so Henrik Wendorff, Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Märkisch-Oderland. Seit August 2010 stehen die Felder durch Überschwemmungen unter Wasser oder wegen Binnenhochwasser im Wasser. Der Boden im Oderbruch arbeitet mit dem nachts frierenden und tagsüber auftauenden Wasser. Das Heben und Senken zerrt an den Wurzeln, die reißen ab und die Pflanzen verlieren ihre Wasserleitungen in den Boden. Sie welken. Welche Schäden dieser „Trockenfrost“ für den Winterraps hervorgerufen hat, wird sich erst in den kommenden Wochen zeigen. Für die Bauern wäre der Ausfall der neuen Saat eine Katastrophe, denn sie haben im letzten Herbst schon ihre Ernte verloren und wissen derzeit nicht, was sie noch was aussäen können – die Vegetationszeit wartet nicht auf die Entwässerung. Plan B sieht Mai im Mais vor. Dann sollte das Wasser weg sein.

Schäden kaum bezifferbar

Nach Brandenburgs Bauernpräsident Udo Folgart belaufen sich allein die Ernteausfälle von insgesamt in Brandenburg betroffenen 60.000 Hektar Land auf 50 Millionen Euro. Die Hälfte davon liegt im Oderbruch und macht dort die Hälfte des landwirtschaftlichen Ackerlandes aus.
Es kommt aber noch mehr dazu. Die Preise für landwirtschaftliche Produkte sind gestiegen und die Bauern aus dem Oderbruch können nicht daran teilhaben. Sie bleiben sogar auf den steigenden Betriebskosten sitzen. Direkte Schäden sind im Herbst entstanden als die Mähdrescher mit Ketten noch versuchten das letzte Getreide zu ernten. Den Ernteeinsatz wird Gerhard Steffen, Geschäftsführer der Landwirtschaftlichen Vermögensverwaltungsgesellschaft (LVG), nicht so schnell vergessen: „Modderschlacht!“. Die Spuren auf dem Feld werden erst nach Abzug des Wassers richtig sichtbar. Ebenfalls auch erst später wird erkennbar, ob und in welchem Umfang Lücken im Grünland entstanden sind, die wieder nachgesät werden müssen. Vor allem zeigen sie den Bauern an, wie viel Futter er noch zukaufen muss.
Nach ersten Schätzungen von Henrik Wendorff sind an den Meliorationsgräben bereits bis zu 300 Kilometer Grabenabbrüche erkennbar, die nach Ablauf des Wassers beseitigt werden müssen.
Für Schäden an der Bausubstanz der Privathäuser und für das nichtlandwirtschaftliche Gewerbe gibt es derzeit noch keine Schadenslisten.
Am Dienstag hat das Brandenburger Landwirtschaftsministerium das „Hilfsprogramm Widrige Witterungsverhältnisse 2010“ aufgelegt und verkündet, dass die Genehmigung aus Brüssel vorliegt. Nach Klaus Licht von der Investitionsbank des Landes Brandenburg können die Bauern, die bis zum 08.April einen Antrag stellen, mit einer Anschubfinanzierung bis zu 30 Prozent rechnen. Insgesamt stehen drei Millionen Euro zur Verfügung.

Der Zorn der Oderbrücher

Der Landesbauernverband hatte nach Seelow geladen, um nicht nur die noch heute anhaltenden Auswirkungen des Hochwassers zu zeigen, sondern auch, um ein Umdenken in der Landespolitik zu fordern. Das Wasser gelangte nicht durch den Regen allein in den Oderbruch, dem größten Flußpolder Deutschlands. Umweltministerin Anita Tack sagte noch im Dezember zur regionalen Presse, dass Überflutungen zu einem Leben in trockengelegten Gebieten dazugehörten1). Heute allerdings will sie den Wirtschaftsraum Oderbruch aber auch als Wirtschaftsraum erhalten2).
Letztlich gab Friedrich II Ende des 18. Jahrhunderts den Startschuss zur Trockenlegung des Oderbruchs. Die Flächen wurden entwässert und mit Asche gedüngt. Dadurch stiegen die Erträge auf den guten Lehmböden. In der DDR wurde das Entwässern zur Steigerung der Produktivität zur nationalen Aufgabe und ab 1950 mit dem ersten „Fünfjahrplan zur Entwicklung der Volkswirtschaft“ in Großprojekten umgesetzt3).
Der Oderbruch ist eine Kulturlandschaft, deren Fortschreiten sichtbar wird, wenn die Entwässerung vernachlässigt wird. So rückt das Oderbruch in den Fokus zwischen landwirtschaftlicher Nutzung und Naturschutz.
Die Vernachlässigung der Entwässerungsanlagen reicht alleine nicht aus, um die heutige Situation zu beschreiben. Bürgerinitiativen und Landwirte wehren sich gegen den übertriebenen Schutz des Bibers, der die Deiche marode macht. Die Oderdeiche wurden nach Auffassung von Landwirt Gerhard Steffen so durchlässig gestaltet, dass das Oderbruch ständiger Gefahr der Überflutung ausgesetzt ist. Landwirt Bodo Schulz sieht einen Konflikt mit der Binnenschifffahrt. Der etwa 2013 abgeschlossene Neubau des Schiffshebewerks Niederfinow Nord; nördlich des Oderbruchs, soll die Steigerung des Binnenschiffsverkehrs von 2,2 auf 4,4 Millionen Frachttonnen verdoppeln helfen. Dafür müsse der Oderstrom einen höheren Pegel aufweisen als heute. Mit Auswirkungen auf die Landwirtschaft im Oderbruch. Ein neues Schöpfwerk am Oderberg könnte den Bauern helfen.
Sie sehen auch die Einrichtung von Retentionsflächen kritisch. Zum einen sind sie innerhalb des Oderbruchs kaum zu realisieren, weil sie nicht von den anderen Gebieten hydrologisch getrennt werden können, so Folgart, zum andern wollen die Bauern die Flächen auch weiterhin bewirtschaften können und sollen nach Worten von Wendorff keine „wilden Überschwemmungsflächen sein.“
Es trifft nicht nur die Landwirtschaft. Biber, Vogelschutz, Binnenschifffahrt und „einseitig geprägte Wunschvorstellungen von wieder vernässter Landschaft“4) betrifft auch die Menschen in den Dörfern und das nicht-landwirtschaftliche Leben. Die Vernachlässigung der Entwässerung, die zur aktuellen Situation geführt hat, wird von den Betroffenen als Puzzle verstanden, das aus dem Oderbruch einen Naturpark machen will, der ihnen ihre bisherige Wirtschafts- und Lebensweise nicht mehr erlaubt.

Welche Landschaft wollen wir?

Wenn die Landespolitik die Menschen im Oderbruch nicht mehr haben möchte, dann solle sie es offen sagen und mit der Umsiedlung beginnen, so der Tenor der anwesenden Bürgerinitiativen. Wenn nicht, dann müsse die Politik umdenken.
Das Betriebsmittel Boden wird weltweit bei steigender Bevölkerung knapp. Angesichts von mehr als 100 Hektar, die täglich in Deutschland unter Asphalt verschwinden oder bebaut werden, sollte auch der Boden eine neue Wertschätzung erfahren. Udo Folgart rechnet vor: Jeder Hektar der verloren geht, verringert bei vier bis fünf Menschen die Versorgung mit regionalen Lebensmitteln. Der Totalausfall von 1.000 Hektar bedeutet den Verlust der Ernährungsgrundlage für 4.000 bis 5.000 Menschen. Daher bündelt sich im Oderbruch mit lehmigen und ertragreichen Böden die allgemeine Frage nach der Balance zwischen Landwirtschaft und Naturschutz. Die Oderbrücher haben ihre Antwort.
Der Blick auf die Kosten ist sehr differenziert: Rund 13 Millionen Euro stehen für ein modernes Wassermanagementsystem zur Verfügung. Die Gräben müssen wieder hergestellt werden und möglicherweise braucht die Landwirtschaft im Oderbruch neue Schöpfwerke. Ein Fass ohne Boden? „Nein“, sagt Henrik Wendorff zu Herd-und-Hof.de. Man müsse zwischen Investitionen und Wartungskosten unterscheiden. Die Investitionskosten erscheinen hoch, gleichen aber nur die Folgen der Vernachlässigung der Gewässerinfrastruktur aus. Danach fallen bei gutem und wirtschaftlichen Wassermanagement nur noch die Unterhaltungskosten an, die niedriger sind.
Doch auch hier steckt die Tücke im Detail. Der Bau eines Schöpfwerkes wird aus Landesmitteln finanziert, die Bewirtschaftung unterliegt den Eigentümern. Die sind auch für die Gewässer der zweiten Ordnung zuständig, die in die Gewässer der ersten Ordnung münden, die der Landesaufsicht unterliegen. Dann erst gelangt das Wasser in den Bundesstrom. Der Zu- und Abfluss funktioniert nur, wenn alle Teile zusammen funktionieren.
Daher fordert Wolfgang Scherfke, Geschäftsführer des Brandenburger Bauernverbandes, die Festlegungen von Verantwortlichkeiten schon in den Gewässerentwicklungsplänen: „Die Vorausschau auf die Unterhaltung muss mit drin sein!“. Es müsse geklärt werden, was wir wollen, was alles zur Zielerfüllung dazugehört, was möglich ist und wer für die Bewirtschaftung zuständig ist. Die Vernachlässigung des ganzen Komplexes hat zum Zusammenbruch geführt. Und vorher vermissen die Bauern ein klares Bekenntnis zum Oderbruch. In Taten.

Lesestoff:
1) Märkische Allgemeine Zeitung, 10.12.10
2) Wassermanagement im Oderbruch: Herd-und-Hof.de vom 28.02.11
3) Karsten Drastig et al.: Wassermanagement in der Landwirtschaft, Diskussionspapier 3 der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften 2/2010
4) Positionspapier des Landesbauernverbandes zur Bedeutung der Gewässerbewirtschaftung vom 21. Februar 2011
Fachdialog Wasser des INKA BB: Herd-und-Hof.de vom 04.03.11

Roland Krieg (Text und Fotos)

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