Innere Stärkung gegen Krisen

Landwirtschaft

Bauerntag spricht Bauern Mut zu

Vor nicht einmal zwei Generationen war die Landbewirtschaftung in der Gesellschaft weit verbreitet. Der Wandel Deutschlands über eine Industrie- in eine zunehmende Dienstleistungsgesellschaft lässt die „Urproduktion“, die Erzeugung von Lebensmitteln immer kleiner werden. Brigitte Scherb, Präsidentin des Deutschen Landfrauenverbandes, bezeichnete auf dem Bauerntag in Hannover die heutige Lage der Landwirtschaft im Stellenwert gesellschaftlicher Diskurse wie folgt: „Nicht der Mangel, sondern der Überfluss ist zum Thema geworden!“ Es wird an den Lebensmitteln genörgelt, an der Art der Bewirtschaftung und die Sicht auf die Landwirte verteilt sich nach Scherb in den Medien auf den Deppen in „Bauer sucht Frau“, den Massentierhalter und den „Landlord“ im sonntäglichen Rosamunde-Pilcher-Film.

Hat die Erzeugung der Lebensmittel für alle endgültig ihren Halt in der Gesellschaft verloren? „Was nicht verstanden wird, kann nicht auf Verständnis hoffen“, warnte Scherb. Die landwirtschaftlichen Betriebe bekommen die Volatilitäten der Preise und die politischen Krisen der Welt deutlich zu spüren. Die Forderung nach Unterstützung und Hilfe endet vielfach aber im Kopfschütteln und mit dem „Fingerzeig auf den Berufsstand“.

Landwirtschaft braucht Leidenschaft

Dabei haben auch gerade die Frauen ihren Anteil an den Ertragssteigerungen, der Mechanisierung der Landwirtschaft und am Erhalt des Soziallebens im ländlichen Raum. Der wird nicht nur vom Arbeitsmarkt und von der Infrastruktur von den Städten und Mittelzentren abgehängt, er scheint als Umgebung für die Nahrungsmittelerzeugung auch mental vom gesellschaftlichen Leben vernachlässigt zu werden. Auch diese Krise zehrt am Selbstbewusstsein der Landwirtinnen und Landwirte. Daher brauche es schon ein „erhebliches Maß an Leidenschaft, aber auch an verlässlichen Rahmenbedingungen“, den Betrieb fort zu führen, stellt die Landfrauenpräsidentin fest.

Der wiedergewählte Präsident Joachim Rukwied schlug nach dem Bauerntag kämpferische Töne an. Das Buch des grünen Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter über die Massentierhaltung müsse genauso heftig kritisiert werden wie Umweltministerin Barbara Hendricks Schuldzuweisung an die Landwirtschaft, mit Mais und vertikalen Anbaureihen im Gelände die Schlammlawinen in Süddeutschland verursacht zu haben. Der Bauerntag habe das Signal ausgesandt, sich gegen ungerechtfertigte Kritik zu wehren. Dinge werden sich immer entwickeln und Landwirte ändern ihre Produktionsweisen „schon immer, aber nur mit praktischen Ansätzen, nicht unter Laborbedingungen“, sagte Rukwied.

… und Auszubildende

Als Zeichen für die Zukunft wurde die Bentloh KG im niedersächsischen Scharnhorst als Ausbildungsbetrieb des Jahres ausgezeichnet. Auf dem Milchviehbetrieb mit Getreide und Kartoffeln sind die zwei Auszubildenden nicht nur mit dem Melken und der Aussaat beschäftigt. Über die Milch-Tankstelle für Verbraucher, kommen sie auch mit den Konsumenten ins Gespräch. Die Betriebsgemeinschaft aus einem Vollerwerbs- und einem Nebenerwerbsbetrieb mit 275 Hektar hat bereits 17 Auszubildenden den Weg in den landwirtschaftlichen Beruf geebnet.

Prominente Ehrung für den Ausbildungsbetrieb 2016

Landwirte müssen Geld verdienen dürfen

Für den Weg zurück in die Gesellschaft braucht es einen langen Atem. Kurzfristig brauchen die Betriebe vor dem Hintergrund der Dauerpreiskrise andere Hilfe. „Man darf sich vor Situation nicht verstecken“, forderte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt am Donnerstag. Er erinnerte an den Bauerntag 1955 in Kassel, auf dem die Forderung formuliert wurde, die Landwirte am ökonomischen Aufschwung teilhaben zu lassen. Und fragte: Sind wir heute nicht noch immer bei dieser Forderung?

Der Minister und der Berufsstand, auch EU-Agrarkommissar Phil Hogan wollen keine Umweltlandwirte und Hobbybauern, sondern einen Berufsstand, der einer lukrativen Arbeit nachgehen kann. Bei den Schweinepreisen gibt es Licht am Ende des Tunnels, doch Schmidt warnte vor einem Nachlassen der Aufmerksamkeit. „Die Krise ist noch lange nicht vorbei.“ Und: „Wer den Bauern eine Verantwortung für die Gesellschaft zuschreibt, der müsse der Gesellschaft auch eine Verantwortung für die Bauern zugestehen.“

Farm Bill oder GAP?

Diesbezüglich hat der Bauerntag nichts Neues hervorgebracht. Die EU richtet die Landwirtschaft in Richtung Markt aus. Die USA sind da einen Schritt weiter. Bob Young von der American Farm Bureau Federation hatte in Hannover die Farm Bill vorgestellt, die in etwa der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU entspricht. Die 2014er-Version sieht für zehn Jahre ein Budget in Höhe von 956 Milliarden US-Dollar vor – und musste erhebliche Kürzungen hinnehmen. Der Löwenanteil wird allerdings für den „Titel IV“ veranschlagt. Mit 759 Milliarden US-Dollar könnte das Gesetz auch „Nutrition Bill“ heißen. Für die Landwirtschaft „Titel I“ verbleiben lediglich 44 Milliarden US-Dollar Hilfen für verschiedene Risikoabsicherungen [1]. Ein umfangreicherer Sektor sind Versicherungslösungen außerhalb der Farm Bill mit einem Volumen von 89 Milliarden US-Dollar. Die Versicherungsprämien liegen überall in gleicher Höhe vor. Der Wettbewerb zwischen den Versicheren findet im Bereich der Services statt. Zwischen 85 und 90 Prozent der amerikanischen Landwirtschaftsfläche sind mit ihren Erträgen versichert.

Das „X“ der Hilfspakete

Die EU kann derzeit die Krise ebenfalls nur eingeschränkt mit finanziellen Mitteln bewältigen. Hilfspakete wurden geschnürt. Das für Obst und Gemüse wegen des russischen Embargos gerade erst verlängert. Da die Betriebe erhebliche Liquiditätsprobleme haben, reicht das Geld vorne und hinten nicht. Für den alten und neuen Bauernpräsident Joachim Rukwied ist die „Hilfe nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“ Landwirtschaftsminister Christian Schmidt will noch einmal „100 Millionen plus X“ ausgeben. Wie groß das „X“ werde, solle er noch auf dem Bauerntag konkretisieren.

„National werden wir die Hilfen aufstocken“, verriet der Minister. Vorlage wird das neue Paket der EU sein, das auf dem nächsten Agrarrat im Juli vorgestellt wird. Es soll sich dabei um einen dreistelligen Millionenbetrag handel, der mindestens doppelt so hoch wie die feste Zusage sein wird. „Dann ist es mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.“

Der Vorstand des Bauernverbandes hat das „X“ konkretisiert. Nach dem Bauerntag konkretisierte Rukwied den Betrag auf 400 bis 500 Millionen Euro. Eigentlich würden zwei bis zweieinhalb Milliarden für den Ausgleich der ökonomischen Schäden gebraucht, aber eine Forderung müsse politisch umsetzbar bleiben, begründete Rukwied seine Zurückhaltung.

Der Minister wurde nicht konkreter. Warnte aber: Jetzt sei Zeit, die Pflöcke für die künftige Agrarpolitik zu machen. Die Lehren und Aufgaben nach der letzten Milchkrise 2008/2009 wurden nicht umgesetzt. „Nur mit einer Quotenerhöhung“ war ein „Soft landing“ für die Zeit nach der Milchquote „nicht zu erreichen“. Der Wandel innerhalb der Wertschöpfungskette wurde vernachlässigt. Das gehöre zu den vielen kleinen „Xen“, die hinter den 100 Millionen stehen. Steige der Milchpreis wieder über 35 Cent, lasse das Interesse an Veränderungen „sehr schnell“ wieder nach, warnte Schmidt. „Wenn sich in der Wertschöpfungskette nichts ändert und das Preisrisiko bei den Bauern bleibe, können wir die Uhr danach stellen, wann die nächste Krise kommt.“ Einen EU-Aufschlag erwartet Schmidt im Agrarrat am 18. Juli.

Fokus Genossenschaften

Schmidt appelliert an die Genossenschaftsmolkereien, ihre Lieferbedingungen zu ändern. Die Spanne der aktuellen Milchauszahlungspreise umfasst bis zu 15 Cent je Kilogramm. „Wie kommt das?“, fragte Schmidt. Die Bauern müssten über ihre Preise mit verhandeln können und rückt den Fokus auf die Genossenschaften, die mit Andien- und Abnahmepflicht derzeit von allen Seiten unter Feuer stehen. Die Molkereien bräuchten eine Diversifizierung und keine Konzentration, forderte Schmidt. Sein Milchgipfel brachte die Forderung nach einer Branchenorganisation hervor. Nicht neu. An verschiedenen Stellen des Bauerntages wurde ausreichend beklagt, dass die Lehren aus der letzten Milchkrise 2008/2009 nicht umgesetzt worden sind. Präsident Rukwied nahm sich die Genossenschaften auch noch einmal vor, ohne einen Keil zwischen dem Raiffeisenverband und Bauernverband zu treiben. Die Molkereien, auch die genossenschaftlichen, hätten auf dem Milchgipfel ihre Bereitschaft zur Branchenorganisation geäußert. „Wenn wir uns verändern wollen“, so Rukwied, „müssen wir über den Genossenschaftsbereich gehen!“.

Allein das wird nicht reichen, da die Genossenschaften bei ihren Lieferbeziehungen wenig Bereitschaft zu Änderungen zeigen. Rukwied weiß das und forderte seine Mitglieder in den Genossenschaften auf, in den Versammlungen auf entsprechende Änderungen stetig hinzuweisen. „Wir haben den Auftakt gemacht!“. Jetzt müssten die Milchbauern in den Genossenschaften „stetig den Druck aufrecht erhalten.“ Wie eine schnelle Lösung sieht das allerdings nicht aus.

DBV-Generalsekretär Bernhard Krüsken nutzte die Abschlusspressekonferenz zur weiteren Klarstellung. „Die Branchenorganisation ist keine Anstalt des öffentlichen Rechts zur Vermittlung von Lieferrechten und Quoten. Das ist keine Quote durch die Hintertür“ [3]. Es gehe vor allem um die Vermittlung von europäischen Fördergeldern, bei denen sich die deutschen Organisationen gegenüber anderen im Bereich des Marketings sehr zurückhalten. Rukwied ergänzt: Es müsse ein Forum geben, in dem sich Molkereien angstfrei vor dem Kartellrecht über Milchfragen austauschen können.

Molkereiexporte

Schmidt fordert Qualitätsmilch, die innerhalb und außerhalb der EU Wettbewerbsvorteile hat. Das sei ein ganz anderer Ansatz als ihn manche Mitgliedsländer schon fahren und heimische Produkte den Importen aus den Nachbarländern bevorzugen. Schmidt hält am Binnenmarkt fest, adressiert er gezielt und in Englisch in Richtung Hogan. Den kaufkräftigen Chinesen mit einem VW Santana vor der Tür dürfe die deutsche und international ausgerichtete Molkereiwirtschaft keine Qualitätsmilch vorenthalten. Auch müsse die EU baldigst eine Einigung mit Russland erzielen: „Wenn wir in einigen Jahren nicht mehr auf dem russischen Markt präsent sind, dann ist die russische Autarkie so weit, dass wir den Markt nicht mehr wiederkriegen.“ Erfreulich sei, dass Indonesien jetzt deutsche Molkereiprodukte aufnehme.

Im nächsten Jahr wird Deutschland den G20-Vorsitz übernehmen und das Thema Wasser und Landwirtschaft als ein Schwerpunktthema setzen. Vor dem Hintergrund des Pariser Klimaabkommens COP21 warnte Schmidt davor, eine wasserintensive Produktion in Länder zu übertragen, die Probleme mit der Wasserversorgung haben. Im Iran sinke der Grundwasserspiegel jährlich um mindestens einen Meter. Dort könne keine Milchproduktion gestartet, wohl aber Molkereiprodukte verkauft werden.

GAP 2020

Verschiedene Arbeitsgruppen beschäftigen sich bereits mit der GAP 2020. Dabei ist noch nicht einmal die erste Halbzeitbewertung der aktuellen GAP zum Greening durchgeführt worden. Der Bauerntag hat ebenfalls Wünsche in einem Workshop formuliert. Fazit: „Wir brauchen robuste Betriebe für eine flächendeckende Landwirtschaft“, sagte Vizepräsident Walter Heidl. Eine wirklich neue Agrarreform oder Rückkehr zu älteren Versionen wurde nicht gefordert. Hinter manchem markanten Wort stecken nur Detailfragen. Auch die Landwirtschaft ab 2020 brauche einen Werkzeugkasten, erklärte Heidl. Die 1. Säule solle weiterhin einkommenswirksam bleiben und möglichst wenig Minderungen erfahren. Benachteiligte Gebiete und Sondermaßnahmen für Umwelt- und Klimaprogramme sollten aus der 2. Säule finanziert werden. Es gibt nach Heidl viele Anforderungen an die Gelder der zweiten Säule, die am Ende in verschiedenen Umschichtungen der Gelder enden. Ein Kompromiss müsste nach Heidl möglich sein, weil „wir eine Brücke zwischen den Anforderungen der Landwirte und denen der Gesellschaft brauchen“. Wenn es gelinge, die Mittel zu erklären, dürfte mancher Streit kleiner werden.

Im Detail liest sich der Forderungskatalog allerdings detailreich. Jürgen Hirschfeld vom Landvolk Braunschweiger Land fordert für Deutschland eine vollständige Entkopplung der Prämien, Junglandwirt Fokko Brüning aus Ostfriesland fordert den Ausbau des Sicherheitsnetzes, Christoph Daun, stellvertretender Vorsitzender des Landjugendbundes, setzt für den Nachwuchs auf einen Fortbestand der Junglandwirteförderung und will die Gelder in der 2. Säule nicht als Entschädigung für einen Anbauverlust, sondern als Anreiz für neue Ideen formuliert wissen.

Ungeduld beherrscht das Thema Greening. In der Planungsphase verpönt, mittlerweile als Erfolg für neue Nutzpflanzen wie Leguminosen gefeiert, gibt es Nachbesserungsbedarf. Dieser resultiert vor allem aus strengen Vorschriften, wie Aussaat- und Erntezeitpunkt, Befahrungsverbot von Grünstreifen mit Traktoren oder Unterschiede zwischen Grün-, Ackerrand, Blüh- und sonstigen Streifen. Abteilungsleiter im niedersächsischen Landwirtschaftsministerium Thomas Dosch schlägt vor, Blühstreifen in ihrer Qualität von Imkern bescheinigen zu lassen, was den Kontrollaufwand deutlich reduziert. Da hat die EU ihre Nagelprobe vor sich, wie ernst sie es mit Vereinfachungen meint. Vor allem wie ernst sie es mit Europa meint, denn das Heer an Fachtechnokraten findet immer weniger Gehör bei den Praktikern. Dr. German Jeub aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium warnt vor übertrieben Erwartungen. Etliche Vereinfachungen seien bei der Halbzeitbewertung im nächsten Jahr realisierbar, aber niemand werde das Basisrecht vor der nächsten Reform ab 2020 aufmachen. Das unterstrich Phil Hogan, der beim nächsten Agrarrat erste Vorschläge für Vereinfachungen machen will. Vor allem sollen Sanktionen der Größe von Verfehlungen angepasst werden, was im Bagatellbereich auf deutliche Vereinfachungen hinweist.

Brexit

Dennoch sollte die EU sich auf die Hinterbeine setzen. Wie sie mit der Unzufriedenheit der Bauern umgeht, wird einen Einblick geben, wie sie mit dem Brexit verfährt. Dieser wurde ausschließlich als Mangel für Europas Zukunft in wirtschaftlicher und nach Jungbauer Daun auch als politischer, weil liberaler Sicht, bedauert.

Als wenn es nicht Krisen genug gäbe, stellt der Brexit die EU vor programmatische Probleme. Die Diskussion über einen neuen Mehrjährigen Finanzrahmen wird sich nach Jeubs Einschätzung verzögern. Damit bleibt das Agrarbudget länger undefiniert, was sich wiederum in Unklarheiten neuer Hilfspakete für die Landwirte auswirkt.

Agrarkommissar Hogan (Foto) versprach, sich für schnelle Verhandlungen einzusetzen, damit die EU so schnell wie möglich zu neuer Stabilität finde.

DBV 2020

Der Bauerntag in Hannover war im Wesentlichen ja ein Wahlbauerntag gewesen [3]. Der Verband muss sich selbst der Zukunft stellen. Mit dem Präsidium glaubt Rukwied für die Zukunft gut gerüstet zu sein und gab einen Ausblick auf seine nächste Amtszeit bis 2020. In den zurückliegenden Jahren habe der Verband seine Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit neu aufgestellt, was wehrhafter fortgeführt werden soll. Auf der letzten Klausurtagung wurden die Landesbauernverbände aufgefordert, anonym die Arbeit des Dachverbandes und der Einteilung der Fachforen zu bewerten. Derzeit läuft noch die Auswertung. Im Herbst sollen die Ergebnisse vorgestellt werden. Damit will Rukwied dem Verband „noch mehr Schub“ geben.

Lesestoff:

[1] Dairy Margin Protection Program

[2] Geldspritzen verlängern das Leiden

[3] Kontinuität in der Krise

Roland Krieg; Fotos: DBV, DLV

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