Insektenatlas 2020 – Ein Versuch

Landwirtschaft

Insektenschutz ist komplex

Die Heinrich Böll Stiftung hat zusammen mit dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) am Mittwoch den Insektenatlas 2020 vorgestellt. Rechtzeitig vor der Internationalen Grünen Woche mit dem Untertitel „Daten und Fakten über Nütz- und Schädlinge in der Landwirtschaft“. Basierend auf der Krefelder Insektenstudie hat sich die Zahl wissenschaftlicher Publikationen deutlich erhöht, wenn auch nur einige wenige Studien mehr als nur Indizien leisten.  Barbara Unmüßig von der Böll-Stiftung und der neue BUND-Vorsitzende Olaf Bandt verweisen auf die Studie aus  Sydney, die dem Forschungsgebiet mehr bietet als nur die Roten Listen der vom Aussterben bedrohten Insekten [1]. Nach Sánchez-Bayo sind 40 Prozent der Insekten von einem Rückgang betroffen.

Neu und alt

Der Insektenatlas ist eine Mischung zwischen neu und alt. Barbara Unmüßig nutzt den Atlas um vor allem gegen die Agrarchemie zu Felde zu ziehen, die mit zwei deutschen international agierenden Unternehmen weltweit das Insektensterben möglich machten. Das geplante Freihandelsabkommen Mercosur habe nur ein „läppisches Nachhaltigkeitskapitel“ und sei natur- und umweltpolitisch verantwortungslos. Im Atlas selbst muss man genau hinschauen, was hinter den großen Tönen steckt: „Der Klimawandel schädigt die Lebensräume von Insekten besonders dort, wo es heute warm ist. In gemäßigten Klimazonen wird sich das Verhältnis von Nützlingen und Schädlingen ändern und die Ernten bedrohen.“ Die wichtigen Bestäuber sind vom Klimawandel bedroht. Sie erkranken schneller, deren Bestände schrumpfen. Weil Pflanzen früher blühen, finden bestäubende Insekten keine Nahrung mehr. Mit zunehmender Trockenheit sind Habitatsspezialisten für feucht-nasse und kühle Lebensräume bedroht. Vom Klimawandel profitieren nur die Habitatgeneralisten. Zwischen dem Generalverdacht gegenüber der Landwirtschaft, finden sich auch solche Inhalte.

Datenlage und Bauern

Was sagen Unmüßig und Bandt nach der Vorstellung der Studie?

Baebara Unmüßig von der Böll-Stiftung

Barbara Unmüßig zur Datenlage: „Bei der Erstellung des Atlas haben wir natürlich feststellen müssen, dass die Daten- und Faktenlage weder regionalisiert in Deutschland vorliegt, noch aus Asien, Afrika und Lateinamerika Daten liefert. Es gibt diese große Überblicksstudie der Universität Sydney und zwei in Deutschland sowie die Roten Listen, die seit 40 Jahren in Deutschland dokumentieren, wie es um die Insektenbestände steht. Aber, selbst da, wo Wissen vorhanden ist, konzentriert man sich sehr stark auf die ökonomisch wertvollen Insekten, wie Bestäuber. Wir haben in Deutschland auch Untersuchungen zu Ameisen, aber wir haben relativ wenig Untersuchungen zu der immensen Vielfalt der Insekten. Vor allem in den Ländern, wo Landwirtschaft am intensivsten betrieben wird, wie Brasilien und Argentinien, gibt es kaum wissensbasierte Fakten. Für Deutschland gibt es für einzelne Insektenarten, aber keine detaillierten Studien. So können wir nur allgemein davon ausgehen, dass durch die Intensivierung der Weidewirtschaft die Zahl der Insekten zurückgeht. Ein Kuhfladen beinhaltet über 100 verschiedene Insektenarten, im Ökolandbau mehr als 150. Mit dem Rückgang der Weidewirtschaft geht auch die Vielfalt der Insekten zurück.“

Olaf Bandt zur Mitnahme von Bauern: „Die Landwirtschaft reagiert tatsächlich auf die Situation, dass in dem Insektenaktionsplan erstmals ordnungsrechtliche Vorgaben zur Reduktion von Pestiziden gesetzt werden. Das ist in der Politik eine Abkehr, wo jahrzehntelang nichts ordnungsrechtlich war und immer nur freiwillige Maßnahmen vorgeschrieben wurden. Wenn die Gesellschaft und die Politik das erwartet, braucht es an der Ladenkasse andere Preise. Da sind die fünf großen Handelskonzerne in der Pflicht und es sind Deutschland und die EU in der Pflicht, Finanzmittel für eine umweltschonende Landwirtschaft wieder möglich ist. Das tun die aber nicht. Wir hatten vor ein paar Monaten den ersten Round-Table Insektenschutz mit Frau Klöckner und Frau Schulze und habe genau diese Frage gestellt, ob mehr Mittel aus Brüssel kommen werden. Da haben sie gesagt, wenn es nach ihnen ginge, hoffen sie auf mehr Mittel – da hörte man schon in der Stimme, das wird so nicht stattfinden. Am Ende wird es irgendwelche Trostpflaster geben. Diese Politik- und Lösungsunfähigkeit dieser Bundesregierung polarisiert die Gesellschaft zwischen Naturschützern und Landwirten. Das müsste nicht sein, denn die Landwirte können zu Helden des Insektenschutzes werden. Dazu brauchen wir eine Finanzierung für die zusätzlichen Leistungen in der Landwirtschaft.

Rote Karte für Söder

Olaf Bandt nutzte den Insektenatlas für die Vorstellung seiner Landwirtschaft. Es gebe in Europa schon keine rein globalisierte Landwirtschaft. Die EU bräuchte einen europaweiten einheitlichen Standard für die Landwirtschaft, der auch an den Außengrenzen überwacht wird. Die Europäer müssen definieren, welche Landwirtschaft sie sich vorstellen. Die Kostenführerschaft werde Europa nicht übernehmen können. Damit könnte man auch die demonstrierenden Bauern gewinnen.

Nachdem CSU-Chef Markus Söder angekündigt hat, die Ausgestaltung der Roten Gebiete noch einmal zu überprüfen, zieht Bandt die rote Karte. „Da gibt’s es nichts mehr zu überprüfen. Die Gebiete sind mehrmals überprüft und abgesichert. Was momentan stattfindet ist das Ergebnis von jahrzehntelanger Untätigkeit. Es wäre besser gewesen, wenn schon Seehofer den Landwirten angeboten hätte, konkret etwas zu tun.“

Olaf Bandt im Interview mit Herd-und-Hof.de

HuH: Die Datenlage ist nicht so dicht, wie sich die Wissenschaft das wünscht. Wo gibt es da noch Forschungsbedarf?

Olaf Bandt: Es gibt insgesamt Forschungsbedarf und das wäre Aufgabe des Bundesforschungsministeriums, diese Zahlen vernünftiger zu erfassen und genauer zu gucken, wo stirbt denn was und welche Bedingungen braucht man, damit sich die Insektenpopulationen wieder erholen.

HuH: Der Untertitel des Insektenatlas lautet: Insektenatlas in der Landwirtschaft. Es gibt aber auch die Lichtverschmutzung, Zersiedelung und Zerschneidung von Biotopen. Gibt es schon eine Gewichtung, was den Insekten am meisten schadet?

Olaf Bandt: Was wir im Moment von der Wissenschaft hören, führt auf die Intensivierung der Landwirtschaft zurück. Lichtverschmutzung spielt auch eine große Rolle, allerdings sind zum Teil auch die Lösungen dort einfacher. Da kann ich umstellen, kann Beleuchtung reduzieren. Da gibt es oft Win-Win-Lösungen, die in der Landwirtschaft so noch nicht erkennbar oder umsetzbar sind.

HuH: Kommen wir zur politischen Ebene. Sie haben in der Pressekonferenz schon gesagt, mit dem Runden Tisch zum Insektenschutz waren sie nicht so ganz zufrieden. Was erwarten Sie denn von der Zukunftskommission Landwirtschaft, die Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner mit allen Akteuren jetzt zur Grünen Woche starten will?

Olaf Bandt, Vorsitzender BUND

Olaf Bandt: Ich finde das einen richtigen Schritt. Wir brauchen ein neues Leitbild für die Landwirtschaft  in der Gesellschaft. Die Bäuerinnen und Bauern sind ja diejenigen, die das Problem lösen können. Sie sind fachlich dazu in der Lage. Daher brauchen sie die Signale aus der Politik und aus der Gesellschaft, wie man sie am Ende für die Leistung auch fair bezahlt. Ich erhoffe mir genau dieses Ergebnis aus dieser Zukunftskommission.

HuH: Von Berlin nach Brüssel: Frau Klöckner und Frau Schulze sind mit ihren Zusagen so zaghaft bei den GAP-Änderungen sind, hat sicherlich auch etwas mit den osteuropäischen EU-Ländern zu tun. Die wollen zwar mehr Geld, aber weniger Umweltstandards. Da ist eine Mehrheitsbeschaffung schwierig.

Olaf Bandt: Da ist natürlich richtig. Deshalb brauchen wir die Debatte, die wir in Deutschland haben auch auf der europäischen Ebene. Ich glaube, wenn man sich die wissenschaftlichen Fakten anguckt, dann kommt niemand mehr dran vorbei. Aber natürlich wird es ein dickes Brett, diese Umstellung in der GAP herbeizuführen. Ich fürchte allerdings, wenn es nicht gelingt, verlieren die EU-Agrarsubventionen nach dem Gießkannenprinzip insgesamt ihre Berechtigung. Damit wären auch den Bäuerinnen und Bauern in den osteuropäischen Ländern überhaupt nicht geholfen.

HuH: Ein letzter Stopp noch in Stuttgart. Da ist das Volksbegehren, „Rettet die Biene“ gestoppt worden, weil die Landesregierung im Gesetzgebungsverfahren den Initiatoren entgegen kommt [2]. Da ist doch ein positives Zeichen, dass es nicht nur Protest gibt?

Olaf Bandt: Das ist ein sehr positives Zeichen. Es zeigt, dass Protest auch oft viel Nutzen kann und sinnvoll ist. Landwirtschaft und Naturschützer gehen aufeinander zu und erhoffen uns von dem Prozess in Baden-Württemberg konkrete Maßnahmen zum Insektenschutz. Übrigens müsste das auf der nationalen Ebene noch verstärkt werden, aber vielleicht gelingt das mit der Zukunftskommission.

HuH: Vielen Dank Herr Bandt.

Die Fragen stellte Roland Krieg

Olaf Bandt, BUND

Gemeinsam für den Insektenschutz

„Menschgemachte Faktoren, wie Verlust und Fragmentierung des Lebensraums, Verschmutzung, invasive Arten, Klimawandel und eine intensive Landwirtschaft führen weltweit zu einem Verlust von Insektenarten. Wir glauben dennoch, dass es gelingen kann das globale Insektensterben aufzuhalten – wenn zügig Maßnahmen ergriffen werden!“, erklärt Dr. Viola Clausnitzer vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz einen Tag zuvor.. Mit mehr als 70 Experten unterstützt sie den „Aktionsplans für den Insektenschutz und Insektenerholung“ des niederländischen Prof. Jeff Harvey vom Niederländischen Institut für Ökologie und der Vrije Universiteit Amsterdam [3].

„Die von uns zusammengestellten Maßnahmen sind in unmittelbare, mittel- und langfristige Handlungen unterteilt. Im ersten Schritt sollten die sogenannten ‚No-regret solutions’ umgesetzt werden, da sie der gesamten Insektenwelt zu Gute kommen. Hierzu gehören beispielsweise eine heterogene Landwirtschaft oder die Reduktion von Pestiziden“, erläutert die Görlitzer Wissenschaftlerin. Ebenfalls auf „Priorität 1“ setzt das internationale Team eine umfassende Bewertung des Populationszustands von Insektengruppen, um vorrangige Arten, Gebiete und Probleme definieren zu können.“ Neue wissenschaftliche Studien sollen im Detail klären, welche Stressfaktoren sich wie stark auf Insekten auswirken.

Lesestoff:

Den Insektenatlas finden Sie unter https://www.boell.de/insektenatlas  

[1] Francisco Sánchez-Bayo et al.: Worldwide decline of the entomofauna: A review of its drivers; in Biological Conservation, Vol. 232, April 2019, https://doi.org/10.1016/j.biocon.2019.01.020

Sofortprogramm Insekten der Bundesregierung: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/insekten-sterben.html

Bestätigung der Krefelder Studie: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/insekten-sterben-doch.html

DBV-Feldtag „Lebendige Landschaften“: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/dbv-feldtag-lebendige-landschaften.html

TU-München: Es schwindet nicht nur die Masse: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/studie-zum-insektenschwund.html

[2] Volksbegehren Biene in BW abgesagt: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/volksbegehren-biene-in-baden-wuerttemberg-abgesagt.html

[3] Jeffrey A. Harvey et al. (2020): International scientists formulate a roadmap for insect conservation and recovery. Nature Ecology & Evolution, January 2020, http://dx.doi.org/10.1038/s41559-019-1079-8

Roland Krieg; Fotos: roRo

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