Internationales Forum Agrarpolitik
Landwirtschaft
Health Check, Reform und 2013
Gerd Sonnleitner, Präsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV) fühlt sich bei dem Begriff "Health Check" sprachlich an die letzte Halbzeitüberprüfung der EU erinnert: Da wurde aus der Überprüfung die Reform 2003, sagte er heute Vormittag auf dem 28. Internationalen Forum Agrarpolitik zur Grünen Woche. Dass die Zwischenbewertung die Bauern wettbewerbsfähiger machen solle, könne der DBV mittragen, dass für die Zahlungen Degression und Kappung eingeführt werden, sei untragbar.
Wasser wird knapp
Dr. Wolfgang Burtscher, Direktor in der Generaldirektion Landwirtschaft und Ländliche Entwicklung und Mitautor des Health Check in Brüssel, erinnerte noch einmal daran, dass der Health Check dem Fahrplan der Agrarreform 2003 folgt, bis Mai erste Konsultationen im Detail zusammen gefasst werden sollen und danach noch Parlament und Rat der EU passieren muss. Doch seit Monaten wirbeln die Pläne Politik und Verbände durcheinander.
Nach Dr. Burtscher kommt die Zwischenbewertung allerdings genau rechtzeitig, denn Klimaveränderungen, wachsende Bedeutung der Biokraftstoffe und Wasserbewirtschaftung stellen die Landwirtschaft vor neue und große Herausforderungen.
Brüssel am Morgen: |
Peter Brabeck-Letmathe, Präsident von Nestlé, beschrieb die Herausforderungen aus der Sicht des Handels am Beispiel Wasser: Neben der Anzahl absolut Armen, haben immer mehr Konsumenten weltweit immer mehr Einkommen zur Verfügung. Je Kalorie im Essen geben die Menschen immer mehr aus. Bei einem Einkommen von 10.000 US-Dollar sind es rund 10 Cent je Ernährungskalorie, bei 30.000 US-Dollar bereits 15 Cent und wer noch mehr verdient, zahlt auch über 30 Cent für eine Kalorie. Nährwert ist nicht mehr der Hauptgrund für den Einkauf von Lebensmittel. Gesundheit, Wellness und Wohlbefinden treten in den Vordergrund – und das hat Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion.
Mit dem Konsum von mehr Fleisch, erhöht sich der Wasserbedarf drastisch. Die privaten Haushalte sehen ihren täglichen Wasserbedarf, noch den der Industrie, sie sehen aber nicht, den Wasserverbrauch, der für die Fleischproduktion notwendig ist. Je kcal wird etwa ein Liter Wasser verbraucht. Das macht bei 3.000 kcal pro Tag 3.000 Liter Wasser für Pflanzenwachstum, Bewässerung und Tränke. Ein Kalifornier beansprucht innerhalb der landwirtschaftlichen Produktion 5.908 Liter Wasser täglich1). Ein Tunesier verbraucht 2.964 Liter Wasser je Tag. In Kalifornien liegt der Fleischanteil an der Nahrung bei 64 Prozent, in Tunesien er bei 27 Prozent.
Bis 2050 wird der Wasserbedarf in Kubikkilometer pro Jahr steigen. Im Privatbereich von 384 auf 620, im industriellen Bereich von 776 auf 875 – aber im landwirtschaftlichen Bereich von 2.605 auf 7.700 km3. Das Energiedepartment der USA hat in seinem Bericht an die Regierung im Dezember 2006 den zusätzlichen Wasserbedarf für Bioenergie bis zum Jahr 2030 auf 1.000 bis 1.900 im Jahr km3 veranschlagt. Für einen Liter Biodiesel werden in der ganzen Herstellungskette über 9.000 Liter Wasser gebraucht. Für den Nestlé-Chef keine Frage: Würde Wasser reell berechnet, könnte sich niemand Biodiesel leisten.
Ernährten sich 12 Milliarden Menschen vegetarisch auf der Basis von 2.500 kcal pro Tag, dann liegen sie noch unter dem Limit des weltweit verfügbaren Frischwassers. Verzehrten hingegen sechs Milliarden Menschen die amerikanische Diät mit viel Fleisch und 3.600 kcal pro Tag, dann ist das Maximum der Frischwasserverfügbarkeit schon aufgebraucht 2). Beide Extreme seien kein Zukunftsmodell.
EU sieht Legitimationsdruck
Und auf den Feldern wächst das, was wir essen. So steht die Finanzierung der landwirtschaftlichen Betriebe vor einer großen Aufgabenkulisse. Nach Schleswig-Holsteins Agrarminister Dr. von Boetticher wollen die Bauern auch lieber ihr Einkommen über den Markt erzielen, als eine Unterstützung von der EU zu bekommen. Für die ferne Perspektive 2013, wenn die Finanzierung des Agraretats auf ganz andere Fundamente gestellt wird, sei die Zukunft der Marktfinanzierung durch die Erschließung der Märkte in China und Indien groß. Bis dahin aber müssen die Betriebe finanziert und gesellschaftliche Aufgaben, wie den Umwelt- und Ressourcenschutz bewältigt werden. Und hier sieht Dr. Burtscher einen öffentlichen Legitimationsdruck, offen zu legen, für welche Arbeit die Betriebe Subventionen bekommen.
Brüssel am Mittag: |
Die EU möchte Direktzahlungen der ersten Säule schneller in die zweite Säule umwidmen, der Finanzierung des ländlichen Raums. Hier wurde vor zwei Jahren überraschenderweise von den Mitgliedsländern gekürzt. Dr. Burtscher begründet die Erhöhung der Modulation mit einer Art Wiedergutmachung. Er erklärt auch, warum der Gegenwind aus Deutschland besonders stark sei: 80 Prozent der europäischen Betriebe sind von den Kürzungen überhaupt nicht betroffen. In Deutschland jedoch sei rund die Hälfte aller Betriebe von Kürzungen betroffen. 90 Prozent davon liegen in Ostdeutschland.
Ernährungssouveränität in der EU
Dr. Gerd Müller, Parlamentarischer Staatssekretär aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium lehnt Kürzungen ab, unterstützt jedoch die Anhebung der Mindestförderhöhe. Zahlungen sollten nur den "echten" Landwirten zukommen und nicht mehr den "Hobbypferdehaltern" sagte er. Als zweite Gruppe der "unechten" Landwirte, die ungerechtfertigt Unterstützung bekommen seien, die Energieversorger, die momentan auch nicht auf die staatliche Unterstützung angewiesen seien.
Brüssel am Nachmittag: |
Zunehmende Rindfleischimporte aus Brasilien bei rückläufiger Rinderhaltung in Deutschland zeigen den falschen Weg, dass die Agrarindustrie, ähnlich wie die Handyindustrie, aus Deutschland abzuwandern drohe. Dr. Müller möchte, dass sich Europa auch zukünftig selbst ernähren kann und nicht wie im Bereich der Energieversorgung von Importen abhängig ist.
Der Bauernverband bestreitet nämlich, dass eine Umwidmung der Gelder aus der ersten in die zweite Säule gleiche Einkommenseffekte mit sich bringen. Es müssten zunächst Produktionsauflagen erfüllt werden, wie sie im Bereich des Umweltschutzes auftreten.
Unterstützung findet das europäische Modell lediglich bei den Umweltverbänden. Prof. Weiger vom BUND fordert über die zweite Säule nämlich mehr Finanzierungsmöglichkeiten für Agrarumweltmaßnahmen und den Ressourcenschutz.
1): Peter H. Gleick, in: Water International, 21 (1996) 83 - 92
2): Zehnder, Swiss Federal Institut of Aquatic Science and Technology ETHZ 1999
Roland Krieg
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