Internationales Forum Agrarpolitik
Landwirtschaft
Landwirtschaft in der großen EU
> Heute hatte das Internationale Forum Agrarpolitik des Deutschen Bauernverbandes sein silbernes Jubiläum. Gezogen wird eine erste Zwischenbilanz der EU-Erweiterung, die zwar auf der ?ersten Grünen Woche danach? seine Berechtigung hat, jedoch kaum neue Erkenntnisse brachte. Zuviel wurde in den letzten Monaten bereits bilanziert.Bauernpräsident Gerd Sonnleitner schickte ein großes Lob nach Brüssel, dass es nach der Erweiterung ?keine agrarpolitischen Verwerfungen nach dem 01. Mai? gegeben hat. Er vergleicht die Erweiterung durchaus mit der politischen Wende in Deutschland. Dort verlief die Agrarwende erfolgreich, weil sie vor allem durch die Bauern vor Ort mitgetragen wurden. Die Bauern haben die Wende weitestgehend ohne Übernahme durch die Industrie selbst geschafft. Allerdings ging die Zahl der Beschäftigten in der Landwirtschaft von rund 800.000 auf 120.000 zurück, was den neuen EU-Staaten in der Zukunft noch bevorsteht. Das alles soll ohne Strukturbrüche auf dem Land geschehen. Dazu zählt Sonnleitner Abwanderung, Überalterung, Abriss von Wohnungsstätten und brach fallen von Infrastruktur. Damit skaliert die Problemlage der neuen Bundesländer auf alle neuen EU-Staaten. Polen und Tschechien haben in ihren Eröffnungskonferenzen im Vorfeld der Grünen Woche gezeigt, dass sie die Entwicklung des ländlichen Raums bereits assimiliert haben. Die Landwirtschaft tritt bei den laufenden Agrarreformen praktisch europaweit hinter andere strukturelle Lösungen zurück.
So bezeichnet Lars Hoelgaard, Stellvertretender Generaldirektor Landwirtschaft und ländliche Entwicklung der Europäischen Kommission, die Halbzeitbewertung der Agenda 2000, zwei Jahre später, auch ?als fundamentale Reform? für Nachhaltigkeit und Einkommenssicherheit. Diversifizierung des Einkommens und Tourismus nehmen innerhalb der so genannten zweiten Säule der Agrarreform längst ihren Platz in jeder Präsentation ein. Cross Compliance als Verbindung von Direktzahlungen durch Landschaftspflegedienste und Umweltschutz seien ein ?Kontrakt mit der Gesellschaft?. Der ländliche Raum und die Stadt finden wieder zueinander. Seine Bilanz aus dem ersten Halbjahr fällt sehr zufrieden aus. Das die landwirtschaftlichen Löhne in den neuen Ländern um 54 Prozent gestiegen sind und bis 2011 um 126 Prozent steigen, sei für die Agrarpolitiker keine Überraschung gewesen ? allerdings resultieren solche Zahlen aus niedrigen Anfangswerten. Aber die Zahlen spiegeln eine gute Ausgangssituation für steigenden Konsum wieder, so Hoelgaard. Probleme sieht er beispielsweise in der polnischen Landwirtschaft, in der für eine Million Bauern Beschäftigungen im ländlichen Raum gefunden werden müssen. Die einzelnen Märkte für Milch und Schweinefleisch werden in der Produktion und in der Nachfrage steigen. Lediglich bei Geflügel fürchtet er die starke Konkurrenz aus Thailand und Brasilien.
Erfreulich zeigt sich vor allem die Ernährungsindustrie, für die unter anderem Dr. Theo Spettmann, Vorstandssprecher der Südzucker AG referierte. Über Österreich hat das Untenehmen bereits 1991 Beteiligungen in Tschechien gefunden und unterhält nun europaweit 45 Zuckerfabriken und 22 Prozent der Rübenquoten in den zehn neuen Ländern. Die Ernährungsindustrie hat nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Wirtschaftsgemeinschaft COMECON brach fallende Industrien in der Ernährungsbranche vorgefunden. Im Baltikum ist die verarbeitende Industrie um 40-50 Prozent, in Polen um 10 Prozent zurückgegangen. Für Öle, Süßwaren und Getränke sei ein riesiger Investitionsbedarf für ausländische Beteiligungen vorhanden gewesen, der jedoch unterschiedlich gedeckt werden konnte. Ungarn zeigte früh ein investitionsfreundliches Klima, bei dem Beteiligungen an Firmen vergeben wurden, die ein Konzept und den Erhalt der Arbeitskräfte vorweisen konnten. Infolge dessen ist dort die Ernährungsindustrie ?als absolut wettbewerbsfähig anzusehen?, so Spettmann. In Polen ist die Kleinstruktur der Verarbeiter hingegen ein Hemmnis und diese auf lokalen Märkten zudem oft nicht vertreten. Für Auslandsbeteiligungen gibt es nur zögerlich Zugang. Insgesamt zeigen die Teilmärkte, in denen sich das Ausland engagiert die stärksten Wachstumsraten. Insgesamt zeigt sich, Die neuen Verbraucher preisbewusst sind und bevorzugen hohe Qualitäten. Convenience und Functional Food haben die besten Marktchancen. Das Markenbewusstsein hingegen ist geringer ausgebildet, so Spettmann. Südzucker hat im letzten Jahr Fruchtsäfte in sein Portfolio aufgenommen.
Axel Herweg, Landwirt in Polen, zeichnete kurz die Chancen für sich und seine Kollegen auf, die ihm die Erweiterung bietet. Preisunterschiede bei Betriebsmitteln können ausgenutzt werden und die geringen Lohnkosten ermöglichen es, Sonderkulturen, wie Wildfrüchte und Obst anzubauen. Er ist bereits vor der Erweiterung nach Polen gegangen, um einen existenzfähigen Ackerbaubetrieb aufzubauen. Für die Umsetzung will er nun die polnische Staatsangehörigkeit erwerben, um die bearbeiteten Flächen auch zu erwerben. Eine traditionelle Wahrheit wird offensichtlich auch in der erweiterten EU gelten: Es wird mehr an der Landwirtschaft als in ihr verdient.
roRo
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