Invasion fremder Arten

Landwirtschaft

Internationale Tagung in Berlin

>Sie sind mitten unter uns - und die meisten sind gekommen, um zu bleiben! Das Problem ist nicht neu und wird seit Jahren, seit Jahrzehnten bereits beschrieben, wie Prof. Dr. Georg Backhaus gestern morgen im ehrwürdigen Hörsaal 7 der Landwirtschaftlichen Fakultät der Humboldt Universität (HU) feststellte. Bereits die kolonialen Pflanzensammler verbrachten Pflanzen auf andere Kontinente und wenn es nicht gelang die fremdem Arten auszurotten und diese sich weiter ausbreiteten, dann wurden sie zu Schädlingen.
Dr. Backhaus ist Präsident der Biologischen Bundesanstalt für Land- und Forstwirtschaft (BBA) in Braunschweig. Er ist auch Vorsitzender der Deutschen Phytomedizinischen Gesellschaft (DPG), die zusammen mit dem British Crop Production Council (BCPC) über 160 Wissenschaftler aus 45 Ländern für drei Tage nach Berlin rief. Zu seinem Bedauern wurde einigen afrikanischen Experten auf Grund unklarer Visalage die Einreise verweigert.

Zwischen Exotik und Bedrohung
Seit gestern tauschen die Experten ihre Erfahrungen über die Ausbreitung, Bedrohung und Folgeschäden gebietsfremder Arten aus. Eine gebietsfremde Art ist die Herkulesstaude, genauso, wie die Miniermotte oder der Maiswurzelbohrer. Schöne Exoten, aber auch gefährliche Schädlinge. Die Verbraucher wollen Erdbeeren im Winter, schenken ihrer Begleitung kenianische Rosen in den Bars - Gartenpflanzen, Obst und Gemüse sind täglich verfügbar im globalen Supermarkt. Die Produkte reisen aber oft nicht allein, sondern haben "Begleiter ohne Tickets", wie sie Prof. Nagel, Dekan der Agrarier in der HU, nannte. In den USA verursacht der Westliche Maiswurzelbohrer (Diabrotica virgifera virgifera) jährlich einen Schaden von rund 1 Milliarde US-Dollar, so Hugh Oliver-Bellasis, Präsident der BCPC: "Invasoren sind gefährlicher als die Gentechnik". Nach der Umweltzerstörung sind die gebietsfremden Arten die zweitgrößte Bedrohung für die heimische Fauna und Flora, konstatierte Prof. Nagel.
Die Miniermotte ist den Berlinern das bekannteste Beispiel: Die Schmetterlingsmotte geht dem Baum des Jahres, der Rosskastanie gehörig an die Blätter. Aber hinter den Schlagzeilen gibt es eine Vielzahl an Insekten, Milben, Pilzen, Bakterien, Viren, Nematoden und Pflanzen, die von der European and Mediterranean Plant Protection Organisation (www.eppo.org) in einer Alarmliste aktuell aufgeführt und detailliert beschrieben sind.
Weltweit befinden sich rund 13.000 Arten auf Wanderschaft durch legalen oder illegalen Handel oder auch auf Grund klimatischer Veränderungen, erklärte Dr. Stephen Hunter von der Abteilung für Umwelt, Ernährung und ländliche Entwicklung des Foss House, London. Aber er hat mit der "Zehnerregel" auch ein wenig Trost: Nur 10 Prozent davon werden in fremder Gegend heimisch und davon ebenfalls nur zehn Prozent werden zu Schaderregern - was angesichts der Ausgangsbasis aber noch immer gewaltig ist.

Die holländische Ulmenkrankheit
Dr. Joan Webber, Forstwissenschaftlerin der britischen Regierung auf der Alice Holt Lodge in Surrey stellte drei Bedingungen vor, die aus einer invasiven Art eine weltweite Bedrohung werden lassen kann: Ausdünnen der Wälder und Rodungen führen zu gleichaltrigen Monokulturen, die Krankheitserreger begünstigen können. Fehlt in der neuen Umgebung die Entwicklung eines natürlichen Gegenspielers dann weitet sich der Erreger durch starke Vektoren, die ihn über weite Strecken transportieren, aus. Zunehmend beobachten die Phytomediziner, dass die Exposition in einer neuen Umgebung auch zu genetischen Veränderungen führen kann. Eines der Beispiele von Dr. Webber ist die holländische Ulmenkrankheit. Ein Pilz, der in zwei Pandemien fast 30 Millionen Ulmen in der nördlichen Hemisphäre abgetötet hat. Während des ersten Weltkriegs wurde die Krankheit als Ophiostoma ulmi identifiziert. Eine zufällige Verbringung des Pilzes nach Nordamerika im Jahr 1927 hat die für den Pilz empfänglichere amerikanische Ulme schwer getroffen. In den 1970er Jahren brach wieder das Ulmensterben in Europa aus, dass allerdings diesmal von dem aggressiveren Pilz Ophiostoma novo-ulmi verursacht wurde. Molekularanalysen haben gezeigt, das beide Pilze ursprünglich unbekannten Ursprungs aus Asien sind. Beide Pilze sind unabhängig nach Nordamerika gelangt und haben dort durch Hybridisierung und genetischer Interaktion die amerikanische Unterart O. novo-ulmi gebildet, welche die meisten europäischen Ulmen hat absterben lassen. Mittlerweile gibt es mehrere Unterarten, die ihren eigenen Hybridisierungsprozess schon begonnen haben.

Aufgaben der Regierung, Industrie und Verbraucher
Bereits am gestrigen Vormittag wurde klar, das neben der Gefahr für landwirtschaftliche Nahrungspflanzen, die Einwanderung von fremden Arten auch andere Ziele betrifft: In England fehlen die Ulmen im traditionellen Landschaftsbild und viele invasive Arten werden in Baumschulen und Gartencentern gehandelt, bis sie wie die Herkulesstaude "aus der Mode kommen". Was also bleibt zu tun?
Die Natur wird immer Pflanzen und Tiere über unseren Planeten wandern lassen. Zumindest die Italiener haben mit der Polenta dem Mais einen festen Platz in der Küche gegeben - also geht es nicht um die Unterbindung jeglicher Wanderung. Aber es geht um die Unterbindung einer Verschleppung, die Schaden anrichtet.
Für diesen Fall gibt es die Schädlings-Risiko-Analyse, zu der für Dr. Hunter die Untersuchung des gesamten Lebenszyklusses und der Lebensbedingungen des möglichen Schädlings gehört. Vielfach sind Vermehrung und Wirte noch unbekannt. Nicht nur im Rahmen des integrierten Pflanzenschutzes gehört zur Analyse auch die ökonomische Einschätzung dazu: Wie hoch ist der mögliche Schaden und wie hoch sind die notwendigen Kosten der Bekämpfung? Zwischen zwei Polen muss abgewogen werden: Sollen die fremden Arten ganz draußen bleiben oder sollen sie hier bekämpft werden?
Die Regierung hat die Analyse durchzuführen, so Dr. Hunter. Sie muss für Quarantänemaßnahmen sorgen, Forschungen ermöglichen und Gesetze erlassen. In Deutschland gibt es dafür die von der BBA zusammengestellten Pflanzenbeschauverordnung, die Anzeigepflichten und Zeugnisse für den grenzüberschreitenden Verkehr festlegt. Die Briten sind gerade dabei, Maßnahmen zu ergreifen, die sich nicht nur invasive Pflanzen umfassen. Auch die Industrie und der Handel haben bestimmte Aufgaben. Die vornehmste ist die Befolgung der Gesetze, so Dr. Hunter. Dem Handel schreibt der Experte die Rolle der Kontrollen zu, was allerdings vom Staat mitgetragen werden soll. Vieles ist noch offen: Soll bei der Einschleppung von Schaderregern auch das Verursacherprinzip gelten, soll es eine Versicherung oder einen Entschädigungsfonds geben? Der Kongress soll weitere Antworten geben.

Denn das ist alles andere als einfach. Glyn Jones aus dem Umweltbereich der Universität York berichtete aus den Erfahrungen mit der Praxis. Mitte der 1980er Jahre warnten die Phytomediziner in England vor der Westlichen Blütenthrispe, kleine Fransenflügler die Blüten parasitieren. Nach einem Ausbruch mit ernsthaften Schäden folgten mehrere Jahre nur kleiner mit geringeren Schäden für die Gartenbaubetriebe. Die Warnungen und Aufforderungen, die Bestände zu kontrollieren und einen Befall zu melden führte zu der Aussage in einem Fachmagazin: "natürlich sind sie gesetzlich gehalten einen Befall zu melden, aber sie kennen auch die Konsequenzen der darauf folgenden (behördlichen) Aktionen - die Phytomediziner werden auf sie zu kommen und mit aller Vielfalt der gesetzlichen Ordnung alles geschäftliche Leben, wie sie es bisher gewohnt sind, beenden". Mit solchen Ratschlägen versorgt, informierte ein Gartenbetrieb erst nach vier Monaten vergeblicher Kontrollen die Behörde.

Auch in Deutschland kämpfen die Behörden: mit immer weniger Geld für ihre Kontrollen und steht die Industrie im Generalverdacht, trotz ihrer finanziellen Ausstattung nur das zu kontrollieren, was ihr genehm ist.
Dr. Uwe Meier vom BBA hatte allerdings auch einen Ausweg für die Verbraucher parat. Er stellte Qualitätsmanagementsysteme vor, die geeignet sind, die unkontrollierte Verbreitung gebietsfremder Arten zu vermeiden. So gibt es eine Kooperation verschiedener Händler in Europa, die sich verpflichtet haben, Obst, Gemüse und Blumen nach umweltgerechten und sozialen Kriterien zu handeln. Das Flower Label Programm (FLP) gehört dazu. Neben diesem Siegel können Verbraucher sich beim Kauf an Labeln für umweltgerechte Forstwirtschaft (FSC) oder der Regenwald Allianz (RA) orientieren. Seiner Meinung nach steht in erster Linie der Handel in der Verantwortung für seine Ware. Der Staat gibt nur den gesetzlichen Rahmen vor und kontrolliert.

Informationsblätter über verschiedene Pflanzenkrankheiten gibt es unter www.bba.de

Roland Krieg

Zurück