IPCC: 5. Weltklimabericht
Landwirtschaft
„Zeitalter des anthropogen verursachten Klimawandels“
Die menschliche Beeinflussung des Klimasystems tritt
auf und klimatische Risiken beeinflussen Mensch und Ökosystem. Mit diesen
Sätzen beginnt der 5. Weltklimabericht des Intergovernmental Panel on Climate Change
(IPCC), der am Wochenende im japanischen Yokohama verabschiedet wurde [1]. Die
negativen Auswirkungen sind bereits auf allen Kontinenten sichtbar und die Welt
ist schlecht darauf vorbereitet. Dennoch gibt es auch Chancen, den Risiken zu
begegnen. Sie werden aber kleiner, je wärmer es auf der Erde wird.
„Wir leben in einer Zeit, in der das Klima vom Menschen verändert wird“, unterstrich Vicente Barros, Vize-Vorsitzender der II. Arbeitsgruppe, die den Bericht verfasst hat. Investitionen in die Vorbereitung gegen die Klimarisiken zahlten sich zweimal aus: Schon heute und noch mehr in der Zukunft. Sein Kollege Chris Field betont, dass Klimaanpassung längst keine exotische Agenda mehr ist. Regierungen, Firmen und Gemeinden versuchen sich bereits seit Jahren daran und sammeln Erfahrungen. Doch auch Fields warnt vor Grenzen. Der Klimawandel hat Landwirtschaft, Ökosysteme, menschliche Gesundheit, Ozeane, Wasserversorgung und Lebensgrundlagen bereits erfasst. Und nicht nur die von Europa weit entfernten kleinen Inseln.
Der Klimawandel äußert sich in Europa regional sehr unterschiedlich. Aber: Die Widerstandskraft gegen Hitzewellen und Brände ist in den letzten Jahren nicht größer geworden. Nur vereinzelt haben Länder ausreichenden Schutz gegen Hochwasser aufgebaut. Besonders die Ökosysteme in den Alpen und im Mittelmeerraum sind fragiler geworden.
Keine Überraschungen
Der mittlerweile fünfte Bericht schlägt keine großen Wellen mehr, wie der erste Bericht, der als Alarmsignal verstanden und den Beginn der Energiewende einleitete. Die Halbwertszeit der Aufregung wird bald wieder durch andere Nachrichten verkürzt werden.
Gesellschaftliche Herausforderung
Gemeinsam mit der Bundesforschungsministerin Johanna Wanke sieht Umweltministerin Barbara Hendricks den neuen IPCC-Bericht als „einen weiteren Beleg für die Dringlichkeit der Bekämpfung des Klimawandels als zentrale gesellschaftliche Herausforderung.“ „Klimawandel findet täglich statt: Die Menschheit muss sich an die neuen Bedingungen anpassen“, sagte Hendricks. Wanka: „Es wird deutlich, dass weiterhin Bedarf an der Erforschung des Klimawandels besteht. Wenn wir Wissenslücken schließen und verstehen, wie der Klimawandel funktioniert, können wir wirksamere Anpassungsstrategien entwickeln und uns besser vor den Folgen schützen“.
Hendricks verweist auf die nationalen Anpassungsstrategie und den Aktionsplan. Auch international beteilige sich Deutschland an der Internationalen Klimaschutzinitiative, die seit 2008 in Entwicklungs- und Schwellenländern Klimaschutz- und Biodiversitätsziele mit insgesamt 1,4 Milliarden Euro realisiere. Das Volumen der anpasssungsrelevanten Vorhaben betrage darin 250 Millionen Euro.
Klima, Hunger und Armut
Dr. Gerd Müller, Minister im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ): „Wir stehen vor einer gewaltigen Zukunftsaufgabe: Wir wollen ein Ende von Armut und Hunger weltweit, zugleich müssen wir die natürlichen Lebensgrundlagen unseres Planeten – die Schöpfung – bewahren. Zentral wird sein, ob es uns gelingen wird, den Klimawandel aufzuhalten und uns darauf einzustellen. Denn die Folgen der weltweiten Erwärmung führen nicht nur zu neuer Armut und Verwundbarkeit, sondern können Jahrzehnte von Entwicklungserfolgen in unseren Partnerländern zunichtemachen. So hat zuletzt die vorher nicht gekannte Stärke des Taifuns Haiyan auf den Philippinen im November vergangenen Jahres uns allen erneut erschreckend vor Augen geführt: Hier geht es nicht um ein abstraktes Szenario besorgter Wissenschaftler, sondern um unsere Gegenwart und die Zukunft unserer Kinder.“ Für Anpassung an den Klimawandel hat das BMZ allein 2012 rund 560 Millionen Euro investiert und leistet mit rund 1,8 Milliarden Euro insgesamt im Jahr 2013 etwa 90 Prozent der internationalen Klimafinanzierung der Bundesregierung.
Reform des EEG
Für Deutschland ist die Reform des EEG die zentrale Aufgabe für die Energiewende und Erreichung der Klimaziele. Heute berät Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Regierungschefs der Länder über das EEG. Thomas Bareiß, energiepolitischer Sprecher der CUD/CSU, sieht die Länder „in der Pflicht, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit unserer Energieversorgung vor ihre Länderinteressen zu stellen. Im Sinne aller Stromverbraucher müssen Überförderungen abgebaut und die erneuerbaren Energien zu mehr Markt und Wettbewerb verpflichtet werden.“ Für das Gelingen der Energiewende müssen Bund und Länder an einem Strang ziehen.
Energiegipfel
Dennoch reicht das nicht. „Anpassungsmaßnahmen ersetzen den Kampf gegen den Klimawandel nicht, und sie sind auch nicht preiswerter als Maßnahmen gegen den Klimawandel zu haben“, spezifizierte ein Sprecher des Umweltministeriums am Montag. Zudem werde das 40-Prozent-Ziel der Emissionsreduktion bis 2020 nur mit zusätzlichem Aufwand erreicht. Mit den derzeit eingeleiteten Maßnahmen sind nur 33 bis 35 Prozent realistisch. Hendricks hatte bereits mehrfach auf diese Lücke aufmerksam gemacht und will ein Sonderprogramm auflegen.
Der heute im Bundeskanzleramt stattfindende Energiegipfel ist dafür noch zu früh. Bundesregierung und Ministerpräsidenten wollten vor der Befassung im Bundeskabinett noch einmal zusammen kommen. Regierungssprecher Steffen Seibert zeigte sich am Montag skeptisch, ob mehr dabei herauskommt: „Ich denke, man kann nicht erwarten, dass dabei schon alle Schwierigkeiten ausgeräumt und alle unterschiedlichen Einschätzungen überwunden werden.“ Der Sprecher des Bundeswirtschaftsministeriums hingegen glaubt, dass die EEG-Umlagenbefreiung für Eigenstromproduzenten bleiben wird. Dieser Vorschlag von Minister Sigmar Gabriel scheint „jedenfalls nicht auf gravierenden Widerspruch getroffen zu sein.“
Falsche Weichenstellung
Niedersachsens Umweltminister Stefan Wenzel bezeichnet den IPCC-Bericht als „umweltpolitischen Warnschuss“. Deutschland hingegen stelle noch zu viele Weichen falsch: „Der Klimaschutz komme auch deshalb zu kurz, weil aktuell vom Bundeswirtschaftsminister nur die Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) angestrebt werde, aber die Fehlsteuerung durch den fast wirkungslosen Emissionshandel bestehen bleibt. Ohne höhere Preise für CO2- Verschmutzungsrechte bleibt die Energieeffizienz auf der Strecke und die Braunkohle feiert fröhliche Urständ." Hier liege der Kardinalfehler der Energiepolitik der großen Koalition“, erklärte Wenzel. Die Krise in der Ukraine zeige den notwendigen Wandel zu mehr Energieeinsparung und Verbesserung der Energieeffizienz auf.
Viel Willen, wenig Geld
Annalena Baerbock, Sprecherin für Klimapolitik bei Bündnis 90/Die Grünen, kommentiert: „Vor dem Hintergrund des Weltklima-Berichtes können die im Bundeshaushaltsentwurf 2014 von der großen Koalition gekürzten Mittel nur mit klimapolitischem Realitätsverlust erklärt werden. So kürzt Schwarz-Rot in fast allen Bereichen und hält internationale Zusagen nicht ein. Für den „Green Climate Fund" stellt Schwarz-Rot null Euro zur Verfügung und fährt mit leeren Händen zum „Ban Ki-moon“-Gipfel und zur Weltklimakonferenz nach Lima. Merkel und Gabriel riskieren somit den ohnehin schleppenden Prozess zu einem Kyoto-Folgeabkommen.“
Heiß und Hungrig
Oxfam hatte bereits zu Beginn der Konferenz in Japan die Kurzstudie „Hot and Hungry“ vorgestellt. Der Klimawandel beeinträchtigt Ernten und die Nahrungsmittelsicherheit. Oxfam kritisiert, dass die Weltgemeinschaft derzeit nur zwei Prozent der zugesagten Hilfen für die Klimaanpassung zur Verfügung stellen. Besonders die armen Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika werden unter dem Klimawandel leiden. Dort haben die Bauern kaum eine Versicherung gegen Wetterunbilden. In Malawi sind es nur ein Prozent der Bauern, während es in den USA 91 Prozent sind, die nach Hagelschlag oder Überflutung eine Versicherung beanspruchen können. Hinzu kommt, dass die leichten Erholungen der Getreidebestände immer noch auf historischem Tiefstand sind. Eine schwere Dürre könne jederzeit große Preissprünge verursachen [2].
Signal für Paris 2015
„Rechtzeitig vor der entscheidenden Runde der UN-Klimaverhandlungen nächstes Jahr in Paris hält uns die Wissenschaft vor Augen, wie verwundbar unsere Erde gegenüber den bereits heute stattfindenden Klimaveränderungen ist. Für Europa benennt der neue Weltklimabericht Überschwemmungen an Flüssen und Küsten, Wassermangel und Hitzewellen als Schlüsselrisiken, auf die sich Natur und Menschen auch in Deutschland einstellen müssen“, so NABU-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Obwohl der Bericht offen lässt, in welchem Ausmaß das weltweite Artensterben bereits auf den Klimawandel zurückzuführen ist, sieht der NABU keinen Anlass zur Entwarnung. „Für Arten, die schon durch intensive Land- und Forstwirtschaft bzw. die Belastung ihrer Lebensräume mit Schadstoffen stark beeinträchtigt sind, kommt der Klimawandel dann noch erschwerend hinzu. Wir müssen damit rechnen, dass sich die Natur, so wie wir sie kennen, rasch und deutlich verändert“, warnte Leif Miller.
Appell zum Handeln
Germanwatch bezeichnet den Bericht als Appell zum Handeln. Auch wenn der derzeitige Emssionstrend das Klima auf 3,5 bis 5,4 Grad erwärmen würde, gibt es noch ein Handlungsfenster für das Zwei-Grad-Ziel. Christoph Bals, Politischer Geschäftsführer verweist auf die Finanzierungslücke. Bis zu 109 Milliarden US-Dollar fehlten im Jahr und kritisiert die Bundesregierung: Im Haushaltsentwurf „ist kein Cent eingestellt, um den lang verhandelten internationalen Klimafonds mit Geld zu füllen“.
„Der Bericht zeigt zudem deutlich, dass international die Ernährungssicherheit wegen des menschgemachten Klimawandels abnehmen wird", sagt Sabine Minninger von Brot für die Welt. „Schon bei einem Grad Erwärmung werden die Erträge von wichtigen Grundnahrungsmitteln wie Weizen, Reis oder Mais in vielen Regionen der Welt zurückgehen. Derzeit steuern wir aber eher auf vier Grad oder mehr zu, wodurch die Risiken für die Ernährungssicherheit und die Wasserversorgung ganz massiv zunehmen.“
Tempolimit und Energieeffizienz
Prof. Dr. Hubert Weiger, Präsident des BUND listet eine Vielzahl an Maßnahmen auf: Tempolimits, Energieeffizienz und ein ehrgeiziges EU-Klimaziel von Verringerung der Treibhausgase um 60 Prozent bis 2030. „Es schadet nicht, wenn Umweltministerin Barbara Hendricks jetzt ein Sofortprogramm zum Klimaschutz ankündigt. Ihre Chefin, Bundeskanzlerin Angela Merkel, ist in letzter Zeit ja eher mit Blockaden gegen die Verringerung von Treibhausgasen aufgefallen. Merkel blockierte strengere Grenzwerte für neue Pkw, stärkere Anstrengungen zum Energiesparen durch mehr Effizienz und mehr Klimaschutz im Flugverkehr. Es ist die sogenannte Realpolitik, die der erforderlichen Verringerung der CO2-Emissionen im Wege steht. Die Politik muss die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Klimaforscher endlich zur Kenntnis nehmen und sich daran orientieren“.
Rollback beenden
Für Milan Nitzschke, Präsident der europäischen Industrieinitiative ProSun sieht nicht nur Deutschland hinterherhinken, sondern ganz Europa: „Europa muss das energiepolitische Rollback beenden.“ Unterneher im Bereich der erneuerbaren Energien beklagen sich über Blockaden zur Förderung der neuen Energien und über fehlende Ausbauziele. Vor allem der neue Beihilferahmen der EU könnte „das Ende der meisten Fördergesetze in Europa bedeuten“. Die Solarindustrie habe ihre Pionierarbeit geleistet. Die Kosten für den Solarstrom sind um 70 Prozent gesunken. Er ist mittlerweile in der Nähe von Strom aus Gaskraftwerken. Solaranlagen auf dem Dach erzeugen Strom zudem genau dort, wo er gebraucht wird.
Wider dem Kohlezeitalter
Für die Reduzierung der Emissionen müssen die Kohlekraftwerke geschlossen werden, zeigt eine neue Studie des International Institute for Applied Systems Analysis (IIASA) in Österreich. Kohlekraftwerke sind die größten Emittenten von Treibhausgasen und werden dennoch in China und Indien mit Laufzeiten von 30 bis 50 Jahren neu gebaut [3]. Eine strengere Klimapolitik könnte diese Kraftwerke allerdings unrentabel machen, was die Investoren verhindern wollten. Aus dieser Falle gibt es keinen Ausweg, erklärt IIASA-Forscher Nils Johnson: „Je länger wir mit weiterer Klimapolitik warten, desto mehr dieser „gestrandeten Kapazitäten“ sind gebaut.“ Zögerliches Handeln ermutige sogar Investoren für den Bau neuer Kohlekraftwerke. Rund 37 Prozent der Investitionen in neue Kohlekraftwerke in den nächsten 40 Jahren könnten auf diese Weise verloren gehen. Die Studie sucht daher nach Strategien zur Verringerung dieser „gestrandeten Kapazitäten“ bei Umsetzung des Zwei-Grad-Zieles.
Lesestoff:
[1] Climate Change 2014: Impacts, Adaptations and Vulnerabilitiy: www.ipcc.ch
[2] Hot and Hungry: How to stop climate change derailing the fight against hunger: Oxfam 2014 www.oxfam.de
[3] Johnson N, Krey V, McCollum DL, Rao S, Riahi K, Rogelj J. 2014. Stranded on a low-carbon planet: Implications of climate policy for the phase-out of coal-based power plants. Technological Forecasting and Social Change. www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0040162514000924
roRo, VLE