Jede Reform trifft auf ihre Grenzen

Landwirtschaft

Backhaus unter Bauern-Beschuss

Traditionell warten die Branchenvertreter bei der nächsten Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) die Vorschläge aus Brüssel ab und reagieren erst dann. Landwirtschaftsminister Dr. Till Backhaus hat das Heft selbst in die Hand genommen und über zwei Jahre lang an einem Gesamtkonzept gearbeitet, für das er am Donnerstag auf dem Landesbauerntag Mecklenburg-Vorpommern heftige und teils persönliche  Kritik erntete. In der Summe darf man feststellen: Der Vorschlag hat getroffen und Backhaus hat Brüssel als Zielscheibe der Kritik abgelöst.

Was soll die GAP?

Backhaus musste noch einmal daran erinnern, dass sein Vorschlag eine Einladung zur Diskussion ist. Einer seiner ersten Sätze, „Ich will gestalten und nicht verwalten“, klang dann auch eher als Trutzburg gegen die Unveränderlichen. Es geht ums Geld. Landwirte haben eine deutliche Einkommenslücke gegenüber anderen Wirtschaftssektoren. Die Direktzahlungen machen zwischen 40 und 60 Prozent des Betriebseinkommens aus und werden pro Hektar ausgezahlt. Viel Hektar viel Geld. Vor der McSharry-Reform wurde das Füllhorn nach Produktionsmenge verteilt: Viel Ernte, viel Geld.

Mittlerweile ist die Arbeit der Landwirte mit den Ressourcen Wasser, Boden und Luft in die gesellschaftliche Allgemeinbetrachtung gerückt und zum Gegenstand der Diskussionen aller. geworden. Dieser schleichende Prozess spiegelte sich in den GAP-Reformen wider. Das Greening war der erste Versuch, Umweltleistungen zu honorieren. Eine neue grüne Architektur wird das von den Landwirten als Bürokratiemonster beurteilte Segment ersetzen. Gleichzeitig begreift die Gesellschaft, dass sie das Agrarbudget aus seinen Steuergeldern finanziert und für öffentliches Geld entsprechende Leistungen sehen will.

Was Phil Hogan im letzten Jahr als Entwurf präsentierte ist ein Papier der Trends in Landwirtschaft und Gesellschaft [1]. Mehr Umwelt, mehr gesellschaftliche Leistungen und mehr Markt. Diese Allgemeinplätze werden in der nächsten Förderperiode ab 2020 und noch weiter ab 2027 umgesetzt. Sie passen sich an die Agenda 2030 und die Pariser Klimaverträge an. Doch wie werden die Versprechen ausformuliert? Vor diesem Hintergrund hat Backhaus ein konkretes Modell berechnet, das sogar noch einen Schritt weiter geht: Landwirte sollen keine Almosen für Ausgleichsmaßnahmen bekommen, sondern mit den entsprechenden Arbeiten auch einen wirtschaftlichen Beitrag für ihr Unternehmen erzielen können [2]. Damit hat der Agrarsektor allen anderen Branchen in der Bioökonomie die Nase vorn. Der landwirtschaftliche Beruf wandelt sich vom Ackerbauern und Tierhalter zu einem Dienstleister. Das steht seit Jahren in der Branche für die Zukunftsausrichtung der Betriebe. Backhaus formuliert es so: „Unser Modell ist eines für und nicht gegen die Landwirtschaft“.

Bauern brauchen Einkommen

Am Vormittag stellte Landesbauernpräsident Detlev Kurreck noch einmal die Hauptaufgabe des Verbandes in den Vordergrund. Die Einkommenssicherung der Bauernfamilien. Das ausgerechnet die Branche, Lebensmittel produziert nicht von ihrer Tätigkeit allein existieren kann, ist ungerecht – war aber selten anders. Die Wertschöpfung wird außerhalb der Betriebe erzielt. Wer „nur Rohstoffe“ herstellt, leidet unter den Volatilitäten des Marktes. Insofern trifft es alle Bauern, wenn an einem der Haupterwerbsfunktionen, den Direktzahlungen, herum geschraubt wird. Meist nach unten. Der Brexit und neue Aufgaben der Europäischen Union werden für den Mehrjährigen Finanzrahmen ab 2020, der Anfang Mai vorgestellt wird, für Überraschungen sorgen. Haushaltskommissar Günther Oettinger hatte erst im Februar dieses Jahres für sorgsamen Umgang der knapper werdenden Agrarmittel plädiert [3]. Die Logik ist einfach: Je mehr Konditionen an die Auszahlung gebunden werden, desto einfacher ist die Erhaltung des Budgets. Denn ob die Mitgliedsländer wirklich ihren Beitrag für die Gemeinschaft erhöhen wollen ist offen. Vizepräsident des Deutschen Bauernverbandes (DBV) Werner Schwarz gab auf dem Landesbauerntag einen Überblick. DBV-Präsident Joachim Rukwied plädiert für eine Erhöhung von einem auf 1,25 Prozent, das Europaparlament fordert 1,9 Prozent, aber neben Deutschland, Frankreich und Italien will niemand tiefer in die Tasche greifen.

Daher wollen auch die Bauern verständlicherweise nicht auf Einkommen verzichten. Die Konservierung der ersten Säule in Quantität und Qualität wird zur heiligen Kuh der Branchenvertreter.

Die Ökonomen von Dr. Backhaus plädieren für eine Basisrente von 100 Euro je Hektar. Das entspräche den Mehraufwendungen europäischer Landwirte für höhere Standards gegenüber dem Weltmarkt. Werner Schwarz zitiert eine andere Studie, die von 315 Euro ausgeht und damit den aktuellen Direktzahlungen entspräche. „Wer hat denn nun Recht“, fragte Schwarz aus der Gegenposition heraus. Da sollte aber doch ein wissenschaftlicher Konsens möglich sein.

Diese Rechnung wird sich nicht pauschalieren lassen und ist betriebsindividuell. So wie auch die Wünsche nach Agrar- und Umweltmaßnahmen. Backhaus stellt sich einen Katalog vor, über den die Landwirte ihre Zahlungen aus der ersten Säule einkommensrelevant auf die jetzige Prämienhöhe aufstocken können. Kurrecks Vorgänger Rainer Tietböhl entgegnete, er wolle als Landwirt nicht mehr als drei Kriterien erfüllen. Je mehr Kriterien, desto höher der Bürokratieaufwand für die Landwirte und Kontrollaufwand für die Länder.

Details gegen Trends

Der Landesbauerntag hat einmal mehr gezeigt, dass die Diskussionen um die GAP detailverliebt sind. Ob die Umweltmaßnahmen in der ersten oder zweiten Säule angesiedelt sind, ist für Backhaus weniger wichtig als für den Bauernverband. Kompromiss möglich. Gegen die Maßnahmen spricht sich niemand aus. Ob ein Entgeltplus von 15 bis 30 Prozent je Maßnahme für die Einkommensrelevanz ausreicht, wird für den einen Betrieb stimmen, für einen anderen nicht. Am Ende entscheidet das Management viel mehr über den Betriebserfolg als Kostendruck und Risikoabsicherung. Der Landwirt als Unternehmer sollte diese Rolle ernst nehmen, wie Enno Karstens von der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein im März in den DLG-Mitteilungen empfohlen hat. Um Kappung und Degression zu verhindern, spricht sich Schwarz für eine stärkere Förderung der ersten 70 Hektar aus. Plus Junglandwirteförderung. Kappung Degression sind jedoch offenbar vom Tisch [4]. Schwarz wurde deutlich: „Als DBV lehnen wir den Vorschlag aus Mecklenburg-Vorpommern ab.“ Das Urteil lässt keinen Spielraum mehr für eine Bewertung eines konkreten Vorschlags aus Brüssel zu.

16 oder 27 GAP-Reformen?

Was Brüssel mit 27 Ländern ausgleichen will [5], strebt Deutschland mit 16 Bundesländern an. Das Modell aus Schwerin hat plötzlich eine ganze Reihe an konkreten Modellen hervorgebracht. Die Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft und der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft arbeiten mit einem Öko-Punktemodell wie der Deutsche Landschaftspflegeverband. Dessen Modell mit dem Fokus der Naturschutzfinanzierung findet beim DBV mehr Anklang. Landesbauernpräsident Schwarz konnte sich sogar vorstellen, das Schleswig-Holstein ein eigenes Modell fahren könnte. „Das ist aber nicht wünschenswert!“ Landesregierung und Landesbauernverband trafen sich vor zwei Wochen mit den dänischen Kollegen zu einem GAP-Austausch.

Die deutsche Solidargemeinschaft gegen Kappung und Degression besteht derzeit nur auf dem Papier. Die Länder im Süden mit deutlich kleineren Familienbetrieben und mehr als der Hälfte der Betriebe im Nebenerwerb wollen diese Wirtschaftsformen auf den benachteiligten Flächen erhalten. Es gibt kaum mehr Luft nach unten. Von derzeit 220.000 landwirtschaftlichen Betrieben bleiben 2030 alleine durch die Überalterung der Betriebsleiter nach Berechnungen einer Rentenbankstudie kaum mehr als 100.000 Betriebe übrig. Brauchen die noch das Agrarbudget von heute? Backhaus hat auf dem Landesbauerntag Schwarz eine Interessengemeinschaft des Nordens vorgeschlagen, weil der Süden „sich bereits bündelt“.

Die GAP-Diskussion reduziert sich trotz aller gegenteiligen Versprechen auf den Fokus Geld. Was aber nicht negativ sein muss, denn diese Frage stellen sich Ökonomen angesichts der Bioökonomie und eines Wachstumspfades „jenseits des Bruttosozialbegriffs“ auch für andere Sektoren. Die GAP-Diskussion und die Landwirte sind der restlichen Sektoren in der Zeit voraus.

Ein Argument von Schwarz macht allerdings nachdenklich. Ab welcher Flächenzahlung steigen die Ackerbauern aus der GAP aus? Wann wird sie so unattraktiv, dass Landwirte mit Blick auf den Markt, den Aufwand und der Bürokratie sich gegen die Förderung wenden und wie die gewerbliche Tierhaltung ohne Brüsseler Gelder weiter wirtschaften? Rein auf der Basis des Ordnungsrechtes? Bei weniger als 150 Euro pro Hektar glauben Schwarz und Kurreck.

Lesestoff:

[1] Hogan im Agri-Ausschuss: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/die-intelligentere-gap.html

[2] Der GAP-Hammer aus Schwerin: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/der-gap-hammer-aus-mv.html

[3] Wie viel fehlt dem Agrarbudget? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/gap-eine-zwei-drei-milliarden.html

[4] März-Agrarrat: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/maerz-agrarrat-in-bruessel.html

[5] Die Briten arbeiten im Gleichklang der weltweiten Trends an den gleichen GAP-Zielen. Wird die BAP am Ende besser als die GAP? https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/the-british-future-of-food-and-farming.html

Roland Krieg

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